Dienstag, 2. Dezember 2008

Unmoralisches Angebot aus Europa

Durch ein neues Zuwanderungsabkommen mit afrikanischen Staaten verfolgt die EU künftig alte Ziele: die Festung Europa auszubauen und nur erwünschte Fachkräfte einzulassen.

Auf einer europäisch-afrikanischen Konferenz zu Migration und Entwicklung verständigten sich Vertreter aller EU-Mitgliedstaaten in Paris mit 27 afrikanischen Staaten auf ein »neues Regelwerk« zur Zuwanderung. Dabei zeigte die Europäische Union lediglich altes Herangehen: Sie will durch eine Mischung aus Druck und Anreizen die legale Einwanderung einiger Erwünschter fördern und zugleich die Mitwirkung Afrikas am Ausbau der Wälle der Festung Europa erreichen. Darüber können auch blumige Worte der EU-Politiker nicht hinwegtäuschen.

Im Kern ist und bleibt es ein unmoralisches Angebot: Die EU bietet den afrikanischen Staaten Entwicklungshilfe an. Die soll aber an Abkommen geknüpft sein, mit deren Hilfe die Rückführung unerwünschter Migranten sichergestellt wird. Die Betonung liegt dabei auf »unerwünscht«, denn gleichzeitig erhalten alle in Europa knappen Fachkräfte nahezu freies Geleit. So werden Afrikas Staaten einerseits zu Erfüllungsgehilfen beim »Schutz der EU-Außengrenzen«, andererseits lassen sie eigene ökonomische Strukturen ausbluten.

Auf der Konferenz suchten europäische Politiker nach nebulösen Beschreibungen, um ihr Regelwerk in gutem Licht erscheinen zu lassen: Günter Gloser, Staatsminister im Auswärtigen Amt, erklärte etwa, dass legale Migration – gerade von Hochqualifizierten – den Ländern der EU helfen könne, »den demografischen Wandel und daraus reduzierenden Arbeitskräftemangel abzufedern«. Gleichzeitig sei sich die EU bewusst: »Kehrseite dieser Entwicklung kann ›Brain Drain‹ in den Entwicklungsländern« sein, sagte Gloser und warb für ein »aktives Management« der Migration.

Einen Teil dieses aktiven Managements kleiden die EU-Politiker in den Modebegriff der »zirkulären Migration«. Er bedeutet nach Ansicht der Organisationen Medico und Pro Asyl nichts anderes als eine neue Ära der alten Gastarbeiterpolitik mit Rückkehrzwang. Durch Rückübernahmeabkommen sollen die afrikanischen Staaten ihre Kooperationsbereitschaft bekunden, Flüchtlinge und Migranten im EU-Auftrag möglichst weit vor Europas Grenzen zu stoppen. Die Organisationen lehnen diesen Ansatz als »Eurozentrismus in partnerschaftlichem Gewande« ab. »Die Menschenrechte von Flüchtlingen bleiben dabei ebenso außer acht wie Flucht- und Migrationsursachen. Es geht nicht um die Rechte von Migranten, sondern um einen Handel zwischen Staaten: Beteiligung an der Abschottung gegen Gratifikationen in Form von ein paar Visa für selektive Immigration und entwicklungspolitischen Mittelflüssen«, sagt Martin Glase napp (Medico).

In den vergangenen Jahren sei die Bereitschaft gewachsen, das »Modell der Abschottung der Außengrenzen zu exportieren und sich zunehmend paramilitärischer Methoden zu bedienen«, bemerkt Bernd Mesovic (Pro Asyl). »Die Land- und Seemissionen der europäischen Grenzschutzagentur Fron tex sind ein schlagendes Beispiel dafür, dass die EU beim Versuch, die totale Kontrolle über Migrationsbewegungen zu erzwingen, kaum Skrupel kennt.« Dabei werde die EU-Südgrenze vor der Küste Mauretaniens ebenso »geschützt« wie – nach EU-Plänen – Libyens Südgrenze in der Sahara.

Sonntag, 23. November 2008

Deutschland blockiert weiter

Aus angeblicher Angst vor einer »Flut von Billiglohnarbeitern« will die große Koalition den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt auch für die kommenden beiden Jahre blockieren. Die EU lässt die Bedenken nicht gelten.

Genau vor anderthalb Jahren hatte der tschechische EU-Kommissar Vladimir Spidla die Bundesregierung schon einmal öffentlich angezählt und sie aufgefordert, ihre Arbeitsmärkte nicht länger abzuschotten. Es gebe »keinen direkten Zusammenhang zwischen Einwanderung und nationalen Bestimmungen«. So hätte Deutschland von Mai bis September 2005 etwa eine halbe Million Arbeitsgenehmigungen ausgestellt. In Großbritannien, das neben Irland und Schweden auf nationale Quoten verzichtet hatte, waren es dagegen nur 290 000. Insgesamt hätten diese drei Staaten von der Migration sogar profitiert.

In ihrem jüngsten Bericht hat die EU-Kommission nun vor allem analysiert, wie viele Bürger aus den neuen Mitgliedsländern ihre Heimat verlassen haben und wohin sie gezogen sind. Demnach verschlug es Polen, Litauer oder Slowaken vor allem in englischsprachige Länder. Der Anteil von Osteuropäern an der Zahl der Gesamtbeschäftigten in Irland beträgt z. B. 6,3 Prozent. Vergleichsweise bescheiden ist dieser Anteil mit 0,1 Prozent in Deutschland.

Ebenso wenig beliebt ist Deutschland bei Rumänen und Bulgaren. Die rund 1,6 Millionen Menschen, die bislang ihren Heimatländern den Rücken kehrten, zog es vor allem nach Spanien und Italien. Eine beeindruckende Zahl, wenn man davon ausgeht, dass insgesamt zwei Millionen Menschen aus den zehn neuen EU-Staaten zur Jobsuche die Heimat – zumeist nur wenige Monate – verlassen haben. Allerdings zeigt die neue Studie auch, dass die große Auswanderungswelle, die vor zwei Monaten ihren Höhepunkt erlebte, bereits wieder abebbt. Spidla führt dies darauf zurück, dass sich das Lohngefüge der Beitrittsländer dem der »alten« EU-Staaten allmählich angeglichen habe.

Deutschland gehört mit Österreich, Belgien und Dänemark zu den vier Staaten, die ihre Märkte noch immer nicht vollständig für Arbeitssuchende aus Osteuropa geöffnet haben. Sie nutzten dabei die Möglichkeit, eine vorübergehende Einschränkung, die durch die EU-Kommission geprüft und zugelassen wird, zu verfügen. Die Fristen können noch zweimal verlängert werden, so dass die vier Länder ihre Arbeitsmärkte letztlich erst im Jahr 2014 freigeben müssen. Um die Verlängerung genehmigt zu bekommen, müssen die Staaten nachweisen, dass sie ernsthafte Störungen ihrer Arbeitsmärkte zu befürchten haben. Auch wenn derzeit nichts auf solche Störungen hindeutet, wird davon ausgegangen, dass die Kommission die Fristen anstandslos verlängert.

Dabei hatte eine vor Monaten veröffentlichte Studie der EU-Kommission deutlich gemacht, dass das »alte Europa« künftig einen großen Bedarf an Einwanderern haben wird, um den niedrigen Geburtenraten und der höheren Lebenserwartung entgegenzuwirken. Bis 2030 benötigt die EU nach eigenen Berechnungen rund 20 Millionen zusätzliche Arbeitskräfte. Von den großen EU-Staaten weisen nur Frankreich und Großbritannien bis 2050 ein Bevölkerungswachstum auf.

Vor diesem Hintergrund hat auch das Europaparlament der geplanten »Blue Card« zur Anwerbung hochqualifizierter Einwanderer im Grundsatz zugestimmt. Europa müsse seine Attraktivität für Spitzenkräfte erhöhen, erklärte das Straßburger Plenum am Donnerstag. Die Abgeordneten empfahlen allerdings schärfere Zulassungskriterien. Die »Blue Card« ist eine kombinierte Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis, die in allen EU-Ländern gilt, die an dem Programm teilnehmen wollen.

Donnerstag, 13. November 2008

Agrarsektor bleibt das Sorgenkind

Es wird weiter getrickst und gemogelt: EU-Gelder werden zu Unrecht ausgezahlt oder verschwinden in dunklen Kanälen. Das ist das Ergebnis des in dieser Woche vorgestellten Jahresberichts des EU-Rechnungshofes, in dem auch der Kontrollmechanismus des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern kritisiert wird.

In dem Papier kommt vor allem die EU-Kommission schlecht weg. Der Vorwurf: Obwohl die Brüsseler Behörde bereits in den Vorjahren wegen ihrer Fördermittelpraxis immer wieder heftig kritisiert wurde, hat sie kaum etwas aus den Vorfällen gelernt. Vor allem hapert es beim 114 Milliarden Euro schweren Ausgabenposten der Landwirtschaft und den für schwache Regionen: Hier bescheinigt der Rechnungshof der Kommission, dass Zahlungen an die Begünstigten – nach wie vor – mit Fehlern behaftet wären. Das Urteil: Die Behörde erhält das 14. Mal in Folge nur eine eingeschränkte Zuverlässigkeitserklärung.

In der Regional- und Strukturpolitik sollen dem Bericht zufolge rund 4,6 Milliarden Euro zu Unrecht ausgezahlt worden sein. Auf Grundlage einer Stichprobe sei der Hof zu dem Schluss gelangt, dass »mindestens elf Prozent des Gesamterstattungsbetrags in der EU-Regionalförderung nicht hätten ausgezahlt werden dürfen«, sagte deren Präsident Vitor Caldeira. Der Besitzer eines Feriendorfes habe auf diese Weise zwar 50 Prozent Zuschüsse für die Unterhaltung seiner Anlage erhalten, vergab aber die Aufträge zur Renovierung auf Zuruf und ohne Ausschreibung. Zudem habe eine Universität die ihr überwiesenen Mittel zur Förderung benachteiligter Regionen einfach für Forschungsaufträge verwendet, die im Bescheid ausdrücklich untersagt worden waren. Recht unbescheiden legte außerdem die Leitung eines Sozialprojektes die Verwendung von Fördergeldern aus: Sie rechnete ihren gesamten Personalbestand ab, obwohl die Mitarbeiter zugleich auch für andere Aufgaben eingesetzt waren.

Das Sorgenkind des Rechnungshofes bleibt die Agrarwirtschaft, vor allem der Landbau. Fast die Hälfte des Gesamtbudgets fließt dorthin und der Großteil der Auszahlungen sei mit gravierenden Fehlern behaftet. Caldeira musste eingestehen, dass in diesem Bereich die Fehlerquote allenfalls grob geschätzt werden könne, denn es fehlten Verfahren, um die getätigten Zahlungen an Bauern und Agrarbetriebe überhaupt verlässlich überprüfen zu können. Zwei bis fünf Prozent des Budgets für Landwirtschaft sollen nicht korrekt bezogen worden sein.

Besonders heftige Mängel machte der Rechnungshof vor allem in Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und mehreren südeuropäischen Mitgliedstaaten ausfindig. Es sei aber »von Sizilien bis in den hohen Norden die Fantasie genauso stark entwickelt«, meinte der österreichische Rechnungsprüfer Hubert Weber. Die jüngsten Sonderberichte zu Bulgarien und Rumänien hätten zudem gezeigt, dass es auch in diesen beiden Ländern weiter große Probleme gebe. Verwunderlich sei dies allerdings nicht, sagte Weber fast entschuldigend, denn die Verwaltungen der beiden Staaten wären noch im Aufbau und daher sehr unerfahren. Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung »OLAF« hatte dagegen erst kürzlich erklärt, dass bei 76,1 Prozent aller Stichproben des Jahres 2007, die in Rumänien und Bulgarien durchgeführt wurden, Betrug oder Unregelmäßigkeiten registriert werden mussten.

Problematisch bleiben auch die im Rahmen der Regionalförderung ausbezahlten Gelder, die zumeist von den Mitgliedsstaaten selbst verwaltet werden. Hier stehen vor allem Portugal und Spanien am Pranger. Aber auch Mecklenburg-Vorpommern, als einziges deutsches Bundesland von den EU-Rechnungsprüfern durchleuchtet, musste sich ernste Kritik am »bedingt wirksamen« Kontrollmechanismus gefallen lassen.

Ebenfalls nicht neu ist die Forderung der Rechnungshofbehörde, die Kommission möge doch das zu Unrecht ausbezahlte Geld konsequent wieder eintreiben. Das wollte EU-Regionalkommissarin Daniela Hübner dann allerdings so nicht unkommentiert stehen lassen. »In diesem Jahr haben wir bisher 843 Millionen Euro zurückgeholt – drei Mal mehr als 2007«, sagte Hübner in Brüssel und kündigte weitere Rückforderungen an. Außerdem arbeite man »hart« an der Senkung der Fehlerquote.

Angesichts dieser Bilanz dürfte deshalb auch die Forderung des deutschen EU-Parlamentspräsidenten Hans-Gert Pöttering (CDU) auf einer Konferenz in Brüssel beurteilt werden, die Mitgliedsstaaten sollten den Haushalt der Europäischen Union mit zusätzlichen Mitteln ausstatten. Die Naturschutzorganisation WWF forderte am Rande der Konferenz zudem, die Vergabe sämtlicher EU-Fördermittel verbindlich an ökologische Kriterien zu knüpfen. Derzeit würden nicht einmal fünf Prozent der EU-Gelder dafür verwendet, den Ausstoß von CO2 zu verringern.

Europas verborgene »Schätze«

Die Europäische Kommission will die sieben EU-Regionen in äußerster Randlage »spezialisieren«. Das forderte die zuständige Kommissarin für Regionalpolitik, Daniele Hübner.

Europa müsse seine »verborgenen Schätze«, die sieben Regionen in Randlage, wiederentdecken, forderte Kommissarin Hübner in Brüssel und stellte eine erneuerte Strategie für die vier französischen überseeischen Departements Guadeloupe, Französisch-Guayana, Réunion und Martinique, die portugiesischen autonomen Regionen Azoren und Madeira sowie die spanische autonome Gemeinschaft Kanarische Inseln vor. Für entsprechende Projekte will die EU in den Jahren 2007 bis 2013 Gemeinschaftsmittel in Höhe von 7,8 Milliarden Euro bereitstellen.

Neben der geostrategischen Bedeutung verwies Hübner auf die geografischen und geomorphologischen Merkmale der Regionen, die sich »hervorragend für Versuche in verschiedenen Bereichen« – etwa beim Klimaschutz – anböten. Aufgrund ihrer biologischen Vielfalt und ihrer außergewöhnlichen Meeresökosysteme ermöglichten sie zudem Innovationen in Pharmazie und Landwirtschaft.

Zahlreiche Projekte zeigten bereits, dass sich die Regionen in bestimmten Bereichen erfolgreich spezialisieren und Pilotprojekte durchführen könnten, die der gesamten Union zugute kommen, so Hübner. Dies gelte insbesondere für innovative Projekte im Energiebereich. So entsteht gegenwärtig ein »multifunktionales Elektrizitätswerk« auf Madeira und mit dem Projekt GERRI soll die Energieversorgung auf Réunion aus eigenen Kräften sichergestellt werden. Weitere Projekte sind die Anlage für Agrarumweltforschung von Martinique sowie ein Zentrum für Meereskunde und Fischerei der Universität der Azoren. Außerdem finanziert die EU ein Institut für Astrophysik auf den Kanaren und das Projekt SEAS in Französisch-Guayana zur Satellitenüberwachung der Umwelt des Amazonas.

Donnerstag, 6. November 2008

Abfuhr für Sarkozys »Regierungspläne«

Eine Woche vor dem Weltfinanzgipfel in Washington treffen sich heute die europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel, um ihre Positionen abzustimmen. Einig sind sie sich in dem Vorhaben, schärfere Regeln für Ratingagenturen und Hedgefonds durchzusetzen. Dagegen trifft der Vorschlag des französischen Staatschefs Nicolas Sarkozy, eine gemeinsame EU-Wirtschaftsregierung zu bilden, auf wenig Gegenliebe.

Der französische Staatspräsident Nikolas Sarkozy hatte Mitte Oktober den Vorschlag entwickelt, eine Wirtschaftsregierung zu etablieren. Schließlich brachte sich Sarkozy selbst als deren Präsident ins Gespräch und erntete heftige Kritik. »Es wird keine institutionalisierte Struktur auf Ebene der Staats- und Regierungschefs der Währungsunion geben«, meinte etwa der Eurogruppen-Vorsitzende, der luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker, der sich durch diese Äußerung allerdings Ärger mit seinen französischen Nachbarn einhandelte. Auch der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück erklärte, dass die französische Ratspräsidentschaft ihre Vorschläge bis zum Brüsseler Gipfel überarbeiten werde. Von einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung soll in dem neuen Leitlinienpapier, das heute beraten wird, keine Rede mehr sein.

Halbwegs einig scheinen sich die europäischen Staatschefs allerdings in der Frage zu sein, was als Ergebnis des Weltfinanzgipfels in Washington herauskommen müsse. So sollten dort die globalen Spielregeln für künftige Krisenpräventionen festgelegt werden, hieß es. Außerdem wolle man den einzelnen Akteuren, wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF), ihre Rollen zuweisen und prüfen, wie die Institutionen die neuen Finanzmarktregeln durchsetzen können. Nach dem Willen Sarkozys soll kein Finanzinstitut und kein Markt unbeaufsichtigt sein.

Dass die Einführung derartiger Regularien tatsächlich auch über die EU-Grenzen hinaus gelingen könnte, davon zeigen sich die meisten Diplomaten vor dem Treffen überzeugt: »Marktwirtschaft funktioniert dann, wenn die Märkte Regeln haben, wenn sie durchschaubar sind und transparent«, meinte etwa Österreichs Finanzminister Wilhelm Molterer. Und diese Überzeugung habe sich inzwischen auch außerhalb Europas durchgesetzt.

Dabei dürften sich die EU-Staatschefs noch gut daran erinnern, dass derartige Verabredungen noch vor einem Jahr selbst in der EU kaum möglich waren. Schon vor Ausbruch der Krise hatte die Einführung strengerer Regulierungen der Finanzmärkte unter deutscher Ratspräsidentschaft 2007 eine Rolle gespielt. Seinerzeit stellte sich London quer – und auch die US-Amerikaner machten deutlich, dass sie solche Instrumentarien rundum ablehnen: Sie setzten weiter auf die Selbstregulierung der Märkte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hofft nun darauf, dass in Washington verbindliche Absprachen im »transatlantischen Rahmen« getroffen werden. »Diese Verhandlungen dürfen nicht verschleppt werden«, forderte sie. Sie sehe gute Chancen, dass die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer ein »klares Mandat für einen internationalen Finanzmarktrahmen« beschließen werden.

Beim Brüsseler Treffen wird es aber auch um die gekränkte Ehre einiger Diplomaten gehen. Ausgerechnet der Eurogruppen-Vorsitzende Juncker hat von den Amerikanern keine Einladung für den Washingtoner Gipfel erhalten. Ebenso erging es dem spanischen Ministerpräsidenten José Luis Rodriguez Zapatero. Als eine Art Nachbarschaftshilfe hat Sarkozy dem Spanier nun angeboten, den französischen Platz beim Weltgipfel einzunehmen, weil er in seiner Funktion als amtierender Ratschef ohnehin teilnehmen werde. Doch in Spanien führte das Angebot zu heftigen Protesten der Opposition: Sie sehen den Stolz ihrer Nation verletzt ...

Freitag, 24. Oktober 2008

Regierungschef im Jubeltaumel

Die internationale Geberkonferenz in Brüssel hat Georgien am Mittwoch fast 3,5 Milliarden Euro für den zivilen Wiederaufbau zugesagt. Noch in diesem Jahr sollen demnach 1,36 Milliarden Euro an das Land überwiesen werden. Deutschland kündigte an, 35 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Mit dem Geld verbindet der Westen allerdings klare Forderungen an die georgische Regierung.

Als die Zahlen auf der Brüsseler Konferenz bekannt wurden, setzte auf beiden Seiten Jubel ein: Geber und Bittsteller freuten sich gleichermaßen, weil keiner damit gerechnet hatte, dass am Ende so viel Geld zusammenkommen könnte. Der georgische Premier Lado Gurgenidse bekannte freudig erregt, dass seine Erwartungen deutlich übertroffen wurden. Georgien empfinde tiefe Dankbarkeit und werde den Steuerzahlern der Geberländer diese große Geste nie vergessen. Das Geld werde das Land stärker und wirtschaftlich erfolgreicher machen, sagte Gurgenidse und schob artig nach, dass sein Land auch demokratischer werde.

Gerade da hatte der Regierungschef den wunden Punkt getroffen. Denn den Preis für die Finanzspritze hatten die EU-Politiker zuvor festgelegt. »Wir erwarten, dass Georgien das Geld nutzt, um wichtige Reformen voranzubringen«, hatte EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner geäußert und dabei die Modernisierung des georgischen Justizsystems, eine bessere Verwaltung der öffentlichen Finanzen und mehr Pressefreiheit verlangt.

Noch deutlicher wurde EU-Kommissionschef José Manuel Barroso. Er machte klar, dass es sich bei der Finanzhilfe für Georgien nicht etwa um einen reinen Solidaritätsakt der Europäer handelt. Wenn dem Land geholfen werde, seine wirtschaftliche und politische Sicherheit sowie seine Infrastruktur zu verbessern, dann sichere dies auch Europas Energieversorgung, meinte der Portugiese. Denn jeder Konflikt an den Grenzen gefährde Sicherheit und Stabilität. Deshalb habe auch der Krieg im Kaukasus eine »Bedrohung für Europas unabhängige Energieversorgung« dargestellt – durch das Land führen drei Pipelines Richtung Europa. Diese waren zeitweilig ebenso abgeschnitten wie die Öltransporte auf der Schiene.

In die Brüsseler Jubelszenen und Gurgenidses Versprechen, Georgien nun demokratischer zu machen, mischten sich auch sorgenvolle Stimmen. Georgische Oppositionelle hatten in einem Brief gefordert, die finanzielle Hilfe zweckgebunden einzusetzen, damit die Armut bekämpft und nicht das Regime gestärkt werde. Das Geld müsse auf direktem Wege und mit der größtmöglichen Transparenz in Georgien verteilt werden. Auch die Organisation Transparency International fürchtet, dass ein Großteil der Hilfsgelder in dunklen Kanälen versickern könnte.

Nach Schätzungen der Weltbank, die mit der EU-Kommission die Geberkonferenz organisiert hatte, werden für Reparaturen, Investitionen und humanitäre Hilfen bis ins Jahr 2011 rund 2,4 Milliarden Euro benötigt. Zwar geht die Summe, die in Brüssel per Willensbekundung zusammenkam, deutlich über den Bedarf hinaus, doch zeigen Erfahrungen, dass sich Geber in der Vergangenheit oftmals an ihre eigenen Zusagen nicht gebunden fühlten. Auch auf dem Balkan klaffte seinerzeit eine gewaltige Lücke zwischen großzügigen Versprechen und den Hilfspaketen, die tatsächlich ankamen.

Dienstag, 14. Oktober 2008

Der Brandstifter in der Brüsseler Feuerwehr

Beim heute beginnenden EU-Gipfeltreffen in Brüssel sollte es ursprünglich vor allem um die Klimaschutzpolitik der Europäischen Union gehen. Doch nun werden sich die Staats- und Regierungschefs fast ausschließlich mit der Finanz- und Wirtschaftskrise zu befassen haben.

Die in den vergangenen Tagen von zahlreichen EU-Mitgliedsstaaten beschlossenen Rettungspakete für den Bankensektor haben für Aufwind an den Börsen gesorgt. Doch die jüngsten Wirtschaftsprognosen weisen weiter steil nach unten. Vor dem Hintergrund einer drohenden Rezession suchen die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel in Brüssel nun nach weiteren Rezepten. Und der Druck ist groß: Die Rufe nach einer noch weiter führenden Antwort auf die Finanzkrise werden lauter.

Allerdings gibt es einen grundsätzlichen Konflikt in der EU, der erst in der vergangenen Woche zum Streit zwischen Nicolas Sarkozy und Angela Merkel über einen EU-weiten Auffangfonds für Banken führte. Während der französische Ratspräsident Maßnahmen auch auf europäischer Ebene wünscht, will es die Bundeskanzlerin bei einer Koordinierung nationaler Programme belassen.

Die Regierungschefs haben sich im Vorfeld des Gipfels auf eine bessere Aufsicht der grenzüberschreitend tätigen Bankengruppen verständigt, doch ob es zu weitergehenden Maßnahmen kommen wird, ist eher zweifelhaft. Auch die vorgesehene Gründung eines EU-Gremiums zur Kontrolle von Banken birgt neuen Zündstoff: Ein Teil der Staaten will ein Instrument, das den stark vernetzten Märkten und den Krisen mit internationalem Ausmaß gerecht werden kann. Andere möchten dagegen den Einfluss der EU auf ein Minimum beschränken. Zudem will die EU-Kommission in den nächsten Wochen striktere Bilanzierungsregeln, schärfere Eigenkapitalrichtlinien und Vorschriften für Rating-Agenturen angehen. Auch in diesen Punkten ist Ärger programmiert.

Einer der Politiker, die sich in der Vergangenheit immer gegen strengere Kontrollen von Private-Equity- und Hedge-Fonds ausgesprochen hatten und unbeirrt auf die Selbstregulierungskräfte des Marktes setzten, ist ausgerechnet Charlie McCreevy. Der Ire hat als EU-Binnenmarktkommissar eine wirtschaftspolitische Schlüsselposition in Brüssel inne. Die Stimmen werden immer lauter, die Kommissionspräsident José Manuel Barroso dazu auffordern, McCreevy auf einen anderen Posten zu beordern, wo er weniger Schaden anrichten kann. Mit seiner Benennung in die vor wenigen Tagen geschaffene »Lenkungsgruppe« zur Finanzkrise habe Barroso »den Bock zum Gärtner« gemacht, schimpft etwa die grüne Europaabgeordnete Heide Rühle. Der Ire sei mit verantwortlich dafür, »dass wir auf europäischer Ebene bis heute keine funktionierende Finanzmarktaufsicht haben«.

Die Luft wird dünn für McCreevy und es ist durchaus möglich, dass sich Barroso – spätestens nach dem Gipfel – dem Druck beugen wird. »Der Mann ist in diesem Ressort nicht mehr zu halten«, erklärte der Fraktionschef der europäischen Sozialdemokraten, Martin Schulz. Man dürfe nicht jene, die das Feuer legten, anschließend in die Feuerwehr berufen.

Donnerstag, 9. Oktober 2008

Leipzig in EU-Wohlfühlspitze dabei

Das statistischen Amt der EU, Eurostat, untersuchte die Lebensqualität in 321 europäischen Städten. Besonders wohl fühlen sich der Umfrage zufolge die Leipziger.

Über 420 000 Datensätze zu den Themenbereichen Alterung der Bevölkerung, Migration, Wohnen und Umwelt haben die europäischen Statistiker zusammengetragen, um ein halbwegs zutreffendes Bild von der Lebensqualität in den Städten zu erhalten. Solide Informationen wären der Ausgangspunkt für eine gute Politik, sagte die zuständige EU-Kommissarin Danuta Hübner. Sie wären ein wichtiges Instrument im Rahmen der Kohäsionspolitik und der Strategie für Wachstum und Beschäftigung und könnten helfen, Maßnahmen und Investitionen besser am Bedarf auszurichten.

Als eine der Erkenntnisse verkaufte Hübner die Tatsache, dass in vielen Städten, vor allem in Zentral- und Osteuropa, die Bevölkerung abnehme. So sei in Rumänien in 13 der 14 betrachteten Städte die Einwohnerzahl im Vergleich zum Landesdurchschnitt, der selbst im Zeitraum 1996 bis 2004 gesunken sei, rückläufig. Dies lässt sich mit der Abwanderung ins Ausland und dem Umzug aus den Innenstädten in die Vororte erklären, sagte Hübner.

Das Städteaudit mache aber auch deutlich, dass anderswo die Einwohnerzahlen in den letzten Jahren beträchtlich gestiegen seien, vor allem in Palma de Mallorca (Spanien), Galway (Irland), Kalamata (Griechenland) und Oulu (Finnland). Eine Erklärung hierfür sei die Zuwanderung aus anderen Mitgliedstaaten und aus Ländern außerhalb der Union, meinte die Kommissarin.

Die Muster der städtischen Bevölkerungsentwicklung in Westeuropa werden in dem EU-Bericht als »komplex und vielfältig« beschrieben. Zumeist überschneiden sich Bevölkerungswachstum, Stagnation und Rückgang innerhalb des nationalen städtischen Systems. So sei in den Niederlanden die Entwicklung positiv einzuschätzen, während in Belgien »städtische Gebiete sowohl Wachstum als auch Stagnation zu verzeichnen hatten«. Ein ähnliches gemischtes Bild zeichnete Hübner für Frankreich und Deutschland: Vor allem städtische Zentren in der ehemaligen DDR büßten oft einen erheblichen Bevölkerungsteil ein.

Die Unterschiede in der Arbeitslosenquote sind zwischen den einzelnen Vierteln einer Stadt oft größer als zwischen den Städten und Regionen in der Union selbst, heißt es in dem Papier. Hübner nannte als Beispiel die Städte Hamburg, Athen und Bratislava, wo die Arbeitslosenquote in bestimmten Stadtteilen besonders hoch sei. Als Maßnahme auf europäischer Ebene versuche die Kommission, eine »Gettoisierung« zu verhindern. So werden in den Jahren von 2007 bis 2013 rund 6,3 Millionen Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) in die Sanierung des Hamburger Stadtteils Wilhelmsburg investiert.

Riesige Unterschiede offenbaren sich auch im Bereich Umwelt. Eine Erkenntnis ist beispielsweise, dass einige Städte – wie Dresden und Frankfurt am Main – ihren Müll zu fast 80 Prozent recyceln. Brüssel dagegen verbrennt mehr als 90 Prozent seiner Abfälle. Von 180 Städten, für die entsprechende Daten vorlagen, entsorgen 67 mehr als 80 Prozent ihres Mülls noch in Deponien. Die Kommission will diese Städte bei der Suche nach Lösungen unterstützen, kündigte Hübner an. Im Rahmen entsprechender Programme sollen von 2007 bis 2013 mehr als 6,2 Milliarden Euro in Projekte zur Entsorgung von Haus- und Industriemüll fließen.

Leipzig liegt übrigens in der Gunst seiner Menschen weit vorn: Eine Meinungsbefragung zur Lebensqualität in 75 europäischen Städten ergab, dass sich die Menschen in Leipzig nach Groningen (Niederlande) und Krakow (Polen) mit dem Leben in ihrer Stadt besonders zufrieden zeigen. Auf dem ersten Platz rangieren die Sachsen sogar bei der Frage, ob sich in ihrer Stadt leicht eine Wohnung zum vernünftigen Preis finden lasse. In der Erhebung zum besten öffentlichen Personennahverkehr rangieren nahezu alle deutschen Städte im Vorderfeld: Nach Helsinki, Wien und Rennes folgen Hamburg, München, Leipzig, Dortmund, Frankfurt an der Oder und Berlin.

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Russische Bank für 140 Euro verkauft

Die Nachrichten aus Moskau widersprechen sich: Einerseits bietet sich der Kreml als Retter in der Finanznot an, andererseits spielt auch die russische Börse verrückt. Selbst der Energieriese Gazprom bleibt nicht von den Turbulenzen verschont.

Mit politischen Paukenschlägen vermittelte der Kreml in den vergangenen Wochen der Weltöffentlichkeit den Eindruck, als funktioniere seine Finanzwirtschaft tadellos und nahezu abgenabelt vom arg gebeutelten Rest der Welt. Staatschef Dmitri Medwedew verkündete per Videoansprache über das Internet, Russland stehe nun bereit, die Krise auf dem internationalen Finanzmarkt aktiv zu bekämpfen. Es folgte Stunden später die Nachricht von einem angeblichen Milliardenkredit für die isländische Regierung, die kurz vor einem Finanzkollaps steht.

Spätestens seit Mittwoch gibt es ernsthafte Zweifel, ob Russland wirklich als ein Fels in der Brandung fungieren könnte. Die Moskauer Börse brach derart ein, dass sogar der Handel ausgesetzt werden musste. Der Moskauer Leitindex RTS, über Jahre ein Favorit unter den Börsen der Schwellenländer, verlor in den vergangenen sechs Monaten zwei Drittel seines Wertes. Auch die Folgen sind bereits deutlich sichtbar: Die Bauindustrie, die über Jahre sämtliche Rekorde in Europa brach, gerät angesichts ausbleibender Kredite ins Stocken. Und selbst der Energiegigant Gazprom, der noch im Juni von einem Marktwert von einer Billion Dollar (rund 750 Milliarden Euro) träumte, lag zuletzt nur noch bei 130 Milliarden Dollar.

Schwächelt der Riese Gazprom tatsächlich? Die Verantwortlichen bemühen sich jedenfalls, solche Befürchtungen zu zerstreuen. Sie sind sich bewusst darüber, dass der eigene Krebsgang einen Synergieeffekt auslösen könnte. Die Aktie von Gazprom hat in Russland eine Vorbildwirkung und fungiert als Seismograph für die gesamte Wirtschaft: Geht es es dem Energiekonzern gut, dann kann auch von einer halbwegs funktionierenden Gesamtwirtschaft ausgegangen werden.

Die führende russische Wirtschaftszeitung Kommersant («Geschäftsmann») berichtet in ihrer aktuellen Ausgabe nun davon, dass die russischen Erdöl- und Gaskonzerne, darunter auch Gazprom, Lukoil, Rosneft und TNK-BP, erstmals zugegeben hätten, in finanziellen Schwierigkeiten zu stecken. Sie besitzen zu wenig liquide Mittel, um ihre Kredite bei den westlichen Banken zu bedienen. Diese Darlehen aber sind notwendig, um die Produktion aufrecht zu erhalten und die Senkung der Fördermengen abzuwenden.

Bereits Ende September hatten sich die vier russischen Energiekonzerne (sie alle fördern 70 Prozent des russischen Erdöls und 91 Prozent des Gases) in einem Bittschreiben an den Staat gewendet, schreibt die Zeitung. In diesem Brief soll unter anderem stehen, dass die russische Energiebranche bei den westlichen Banken insgesamt mit 80 Milliarden US-Dollar in der Kreide steht. Man benötige das Geld nicht nur, um die Gläubiger auszahlen zu können, hieß es.

Die Tatsache, dass ausgerechnet Gazprom auf der Liste der Bittsteller zu finden ist, löst in der russischen Wirtschaft nun einige Unruhe aus. Noch Ende September hatte Gazprom-Chef Alexej Miller öffentlich geäußert, dass der Gasmonopolist von der weltweiten Finanzkrise nicht betroffen sei. Nun will der Kommersant aber aus der Chefetage erfahren haben, der Konzern wolle das Geld, um sich «für den Fall des Falles» abzusichern: «Es sei in einer Krisenzeit für die Aktionäre wichtig zu wissen, dass man nötigenfalls auf eine Notfinanzierung zurückgreifen kann, wird ein Gazprom-Sprecher zitiert. Von einem Liquiditätsengpass wollte der Informant indes nichts wissen.

Den russischen Banken geht es nicht viel anders, sie halten sich bereits seit Monaten mit Kreditvergaben an Investoren zurück. «Die meisten internationalen Investoren haben Russland von ihren Listen gestrichen», meint Jewgeni Retjunski von der Expobank, einer Tochter der britischen Barclays Bank. Die meisten russischen Banken drehten jeden Cent zwei Mal um, bevor sie ein Darlehen gewährten.

Russland als Retter in der Not? Zweifel sind angebracht. Die russische Regierung kündigte heute an, 450 Milliarden Rubel (etwa 12,6 Milliarden Euro) aus dem nationalen Reservefonds nehmen zu wollen, um die heimischen Banken zu unterstützen. Die Gelder sollen zuerst bei der Vnesheconombank geparkt werden, die dann diese Kredite an «notleidende» Banken weiterreicht.

Eben diese Vnesheconombank übernahm dieser Tage die Mehrheitsbeteiligung (98 Prozent) der – offiziell – ersten russischen Bank namens Svyaz, die vor dem Abgrund stand. Der Kaufpreis symbolisiert zugleich die Besonderheiten dieses einzigartigen Marktes: Svyaz ging für schlappe 5000 Rubel, das sind umgerechnet gerade einmal 140 Euro, über den Tisch. Das Kartellamt hatte den Deal gebilligt und die Zentralbank ihre Zustimmung signalisiert.

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Montag, 29. September 2008

Benelux-Staaten retten Fortis

Mit einer Finanzspritze in Höhe von 11,2 Milliarden Euro wollen die Regierungen Belgiens, der Niederlande und Luxemburgs eine Pleite des Finanzdienstleisters Fortis verhindern. Die Fortis-Gruppe ist ein internationaler Verbund von Finanzdienstleistern in den Bereichen Banking und Versicherung. Das Unternehmen mit 80 000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 120,5 Milliarden Euro in 2007 gehört zu den größten europäischen Instituten.

Bis Ende vergangener Woche hatte sich die Konzernführung bemüht, die finanzielle Lage herunterzuspielen: Falsche Gerüchte seien gestreut worden. Anleger müssten sich aber keine Sorgen machen, verkündete Bankchef Herman Verwilst, das Haus verfüge über eine ausreichende Eigenkapitaldecke. Doch die Beruhigungspille verpuffte: Binnen weniger Stunden brach der Aktienwert um mehr als 20 Prozent ein und Verwilst trat zurück. Ihm folgte noch am Freitag Filip Dierckx.

Am Wochenende schnürten die drei Benelux-Regierungen nun ein Finanzpaket, mit dem das populäre Bankhaus gerettet werden soll. An der Brüsseler Krisensitzung nahmen neben dem belgischen Premier Yves Laterme, dessen Notenbankchef Guy Quaden sowie Finanzministern der Niederlande und Luxemburgs, Wouter Bos und Luc Frieden, auch hochrangige EU-Vertreter wie Zentralbankdirektor Jean-Claude Trichet und Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes teil. Ergebnis: Belgien übernimmt für 4,7 Milliarden Euro Anteile der belgischen Fortis, die Niederlande investieren vier Milliarden Euro in die Fortis Bank Niederlande und Luxemburg steigt mit 2,5 Milliarden Euro an die Fortis Banque Luxembourg ein. Jede der Regierungen beteiligt sich auf diese Weise mit jeweils 49 Prozent.

Von Verstaatlichung wollte Premier Laterme auf einer eilends einberufenen Pressekonferenz am Montag nicht sprechen: Die Finanzspritze sei lediglich für die Stabilisierung der Bankaktivitäten vorgesehen, werde aber nicht in den Versicherungsbereich und die übergreifende Holding fließen, erklärte er. Es sei auch nicht an eine dauerhafte Beteiligung gedacht. In Belgien selbst soll der Kapitaleinstieg über eine Beteiligungsgesellschaft erfolgen. Da es sich um geliehenes Geld handele, seien keine Folgen für den Staatshaushalt zu befürchten, meinte Laterme.

Wie es mit der angeschlagenen Fortis weitergeht, ist noch unklar. Angeblich sollen die französische Bank BNP-Paribas und die belgische ING Interesse an einer Übernahme signalisiert haben. Der neue Fortis-Chef soll zudem verpflichtet worden sein, die erst vor einem Jahr für 24 Milliarden Euro erworbenen Anteile an der niederländischen Bank ABN Amro wieder abzustoßen, um schnell an flüssiges Kapital zu kommen. Dieser Kauf zur ungünstigen Zeit wird als ein Grund für die aktuelle Schieflage angesehen. Nach ND-Informationen sollen zudem Fortis-Filialen außerhalb der Benelux-Länder, so in der Türkei, und asiatische Versicherungen veräußert werden.

Inzwischen übernahm die belgische Regierung auch eine hundertprozentige Ausfallbürgschaft auf alle Einlagen der Fortis-Sparer. Normalerweise greift in Belgien nur bei Summen bis zu 20 000 Euro ein Garantiefonds, der von der Nationalbank verwaltet wird.

Fortis ist in 50 Ländern vertreten. In Deutschland hat der Konzern 91 Finanz-Shops, die neben Finanzierungen auch Altersvorsorge und Sparprodukte anbieten. Zudem ist er seit knapp zwei Jahren auf dem Versicherungsmarkt aktiv.