Freitag, 11. August 2006

Brüsseler Blindheit in Sachen Betrug - Korruption und Unregelmäßigkeiten kosten die EU jährlich Hunderte Millionen Euro

Wenn es um Korruption und Misswirtschaft geht, dann zeigt man gern auf Italien. Dort streitet man gerade um die Einzelheiten für eine Generalamnestie, die noch der ehemalige Regierungschef Berlusconi auf den Weg gebracht hatte. Doch für Häme haben die anderen 24 EU-Mitglieder kaum Grund, auch wenn der kürzlich angenommene Betrugsbericht des Europaparlaments positive Entwicklungen vermerkt.

Die Europäer haben mit Korruption und Misswirtschaft so ihre eigenen Erfahrungen machen müssen – und sind noch längst nicht überm Berg. Der große Crash des Jahres 1999, als EU-Kommissionschef Jacques Santer und alle 20 Kabinettsmitglieder – darunter die Deutschen Bangemann und Wulf-Mathies – zurücktreten mussten, brachte nicht etwa das erhoffte reinigende Gewitter, sondern allenfalls mehr Vorsicht. Den Stein hatte seinerzeit der Europäische Rechnungshof ins Rollen gebracht. Es ging um verschwundene Hilfsgelder der EU-Organisation Echo, die eigentlich für Bosnien und Afrika gedacht waren. Santer wehrte sich verbissen gegen die Vorwürfe der Abgeordneten, die Kommission decke die Betrügereien. Fast ein drei viertel Jahr lang dauerte die Auseinandersetzung an, und in der Folge gab es wenigstens ein Resultat, das hoffnungsvoll stimmte: die Gründung des Dezernats für Betrugsbekämpfung, das zunächst unter dem Namen Uclaf firmierte.

Als Santer verschwand, kam der unbeugsame Italiener Romano Prodi. Er kündigte einen harten und unerbittlichen Kampf gegen Betrügereien jedweder Art an. Die Früchte seiner Arbeit waren indes eher mager: Die statistischen Berichte konnten kaum einen nennenswerten Erfolg ausweisen. Im Gegenteil. Allein im Jahr 2002 erreichte der nachgewiesene Betrug innerhalb der EU die astronomische Größe von 1,15 Milliarden Euro. Und die nächste Krise folgte. Im Mai 2003 erst wollte Romano Prodi erfahren haben, dass beim Statistischen Amt Eurostat Gelder in Millionenhöhe veruntreut wurden. Dabei liefen die Ermittlungen bereits seit 2000. Die Verfehlungen selbst datierten aus der unseligen Ära Santer.

Nach dem aktuellen Bericht, den der Österreicher Herbert Bösch den Parlamentskollegen vorlegte, gibt es inzwischen wenigstens teilweise Fortschritte. Durch Unregelmäßigkeiten und Betrug sei den Unionsländern und der EU im Jahre 2004 »nur« noch ein Schaden von 982 Millionen Euro entstanden. Vor allem im Agrarbereich, dem größten Etatposten, ist die Zahl der Fälle rückläufig, erklärte der Sozialdemokrat. Allerdings habe man im Berichtsjahr allein durch Zigarettenschmuggel rund 420 Millionen Euro weniger eingenommen. Und durch Mehrwertsteuerbetrug seien den EU-Staaten etwa zehn Prozent Einnahmen verloren gegangen.

Doch im Bericht von Bösch kommt auch die aktuelle Brüsseler Kommission unter der Leitung des Portugiesen José Manuel Barroso nicht gut weg. Im »sensiblen Bereich« der Heranführungshilfen, der die Programme zur finanziellen Unterstützung der Beitrittsländer umfasst, sei die Höhe der vermuteten Unregelmäßigkeiten »bedenklich«, sagte er. »Aber viel schlimmer ist noch die Tatsache, dass die Kommission nach eigenem Bekunden eigentlich nicht weiß, welcher Art die aufgedeckten Unregelmäßigkeiten waren, und damit natürlich auch nicht weiß, was zurückzuholen ist und wie das wieder eingetrieben werden kann – und zwar in 90 Prozent der Fälle!« Die Kommission sei »praktisch blind auf diesem Gebiet«, konstatierte Bösch.

Die Betrugsbekämpfer von Uclaf wurden inzwischen über Umwege zu Olaf (»Office de lutte antifraude«) umfunktioniert und erhielten weitergehende Kompetenzen. Allerdings gehen auch die Meinungen im Parlament schon sehr weit auseinander, wenn es um die Wirksamkeit der Behörde geht. Sie sei nach wie vor zu starr und agiere an Nebenkriegsschauplätzen, meinen etwa die Kritiker. So ermittelte man in einem Fall, in dem es um 44 Euro ging. Auch ist heftig umstritten, welche Kompetenzen Olaf nach der bevorstehenden Reform überhaupt erhalten soll. Bösch fordert, dass sich die Ermittler nur noch auf die EU-interne Betrugsbekämpfung konzentrieren sollten.

Eben diese unterschiedlichen Ansichten sorgten auch dafür, dass man sich in den europäischen Gremien fast ein Jahr lang nicht auf einen neuen Olaf-Generaldirektor einigen konnte. Der deutsche Staatsanwalt Franz-Hermann Brüner, der dieses Amt die vergangenen Jahre innehatte, war alles andere als ein Wunschkandidat, weder der Mitgliedstaaten noch des Parlaments. Am Ende war Brüner der Nutznießer der europäischen Uneinigkeit, denn er darf aus Mangel an Alternativen nun doch weitere fünf Jahre residieren.

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