Freitag, 8. September 2006

Brüssel bleibt auf neoliberalem Kurs - Trotz verbesserter Wirtschaftslage hat sich an Lebenssituation der Menschen nichts geändert

Die in dieser Woche gezogene Bilanz zur Hälfte der Amtszeit der Europäische Kommission fällt mager aus. Die stramm neoliberale Politik soll aber offensichtlich fortgesetzt werden.

Eigentlich sollten die vom EU-Statistikamt Eurostat herausgegebenen Zahlen den schwächelnden Optimismus wieder ein wenig auf die Beine helfen: Die Europäer befänden sich derzeit auf dem Weg, der sie näher an die wirtschaftlichen Wachstumsraten der konkurrierenden US-Amerikaner heranbringen könnte. Im ersten Quartal hatte die EU sogar die Nase leicht vor den USA. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs europaweit real um 3,6 Prozent, in den Mitgliedsstaaten registrierten die Statistiker in den meisten Fällen ebenfalls eine Zunahme.

Doch irgendwie bleibt die Freude über den europäischen Erfolg auf halbem Wege stecken. Denn trotz der Wirtschaftszahlen hat sich an der Lebenssituation der Menschen nichts geändert. Der Europaabgeordnete der Linkspartei.PDS Helmuth Markov erinnerte etwa daran, dass der Anteil der von Armut bedrohten Menschen keinesfalls sank. Er ist von 2000 bis heute bei 16 Prozent geblieben. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist in diesem Zeitraum sogar von 3,9 auf 4,1 Prozent gestiegen, die Beschäftigungsquote hat sich von 63 auf 64 Prozent nur geringfügig verbessert. »Wir liegen weitab von dem, was wir uns vorgenommen haben, und das, weil die Strategie falsch ist«, so Markov.

Auch die Verfassungskrise steckt den Politikern weiter wie ein dicker Klos im Halse. Selbst die eilig ausgerufene Reflexionsphase, in der über die Zukunft des europäischen Modells nachgedacht und das Vertrauen der Bürger zurückgewonnen werden sollte, vermochte die allgemeine Unsicherheit nicht aufzulösen. Im Gegenteil: Die letzten Meinungsumfragen verstärken den Eindruck, dass der Kreis der EU-Skeptiker keinesfalls kleiner geworden ist.
Ganz sicher mögen die »nationalen Egoismen« auch ein Grund dafür sein, dass es im gemeinsamen Europa nicht so recht vorangehen will. Ein Beispiel dafür liefert das alljährlich wiederkehrende Procedere um den EU-Haushalt des nächsten Jahres, das auch in dieser Woche zur Diskussion gestanden hatte. Für das Dokument von über 1800 Seiten mit mehr als 1500 Haushaltslinien hatte die Kommission im Mai ihren Vorentwurf verabschiedet, der für 2007 Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 116,4 Milliarden Euro vorsah, was knapp einem Prozent des Bruttonationaleinkommens der EU-Staaten entspricht. Mitte Juli hatten die EU-Finanzminister in der ersten Lesung des Rates beschlossen, mehrere Haushaltslinien zu kürzen. Der Streit um die Verteilung der Gelder ist nun im vollen Gange.

Auch die als Bolkestein-Hammer bezeichnete Dienstleistungsrichtlinie, die Millionen Europäer auf die Straßen gebracht hatte, offenbarte den Europäern nachhaltig, welche Rolle sie eigentlich im neoliberalen Europamodell spielen sollen. Nach dem halbherzigen Kompromiss, der zwischen Sozialdemokraten und Konservativen im Frühjahr ausgehandelt worden war, sollte das Papier eigentlich schon nach nur einer Lesung durchgepeitscht werden. Zwar setzte in dieser Woche der Binnenausschuss ein vorläufiges Stoppzeichen, doch verhindern wird er das weiterhin umstrittene Pamphlet nicht, zumal die Proteste abgeebbt sind. Die Parlamentarier setzten nämlich durch, die Änderungen, die der Rat in den Text zwischenzeitlich wieder eingefügt hatte, noch einmal prüfen zu können. Mitte September soll der Berichtsentwurf dann erneut diskutiert werden, die Entscheidung des Binnenmarktausschusses steht Ende Oktober auf der Tagesordnung. Schließlich wird über die Richtlinie im Straßburger Novemberplenum endgültig abgestimmt.

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