Sonntag, 4. März 2007

Regionen wollen mehr Autonomie


Die Nervosität vor den Parlamentswahlen in Belgien am 10.Juni ist augenscheinlich. Nach Meinung von Experten könnte der Ausgang der Entscheidung wesentliche Einblicke darüber verschaffen, wie es um die Zukunft des belgischen Staates bestellt ist.

Das Gespenst, dass über dem kleinen zehn Millionen Einwohner zählenden Land hinweggeistert, ist keinesfalls neu: Belgien präsentiert sich im Inneren zerrüttet und hat alle Mühe, das öffentliche Bild wenigstens einigermaßen kaschieren zu können. Besonders deutlich wurde der immer währende Konflikt zwischen der flämischen und der wallonischen Bevölkerung, als ein fiktives TV-Spektakel des öffentlich-rechtlichen Fernsehens RTBF vor wenigen Monaten für Aufruhr sowohl im Inland als auch im Ausland sorgte. Flandern habe sich vom Rest des Landes abgespalten, König Albert II. sei auf der Flucht ins Ausland, verkündete der Sender. Wörtlich hieß es: „Belgien existiert nicht mehr!“ Per Liveschaltungen berichteten Journalisten aus dem Parlament und dem Königspalast. Einige hatten sich auch vor dem Atomium, dem Wahrzeichen Brüssels postiert, wo angeblich die Minister der Regierung Zuflucht gesucht hatten.

Es dauerte einige Wochen, bis sich die Wogen nach dem TV-Schock einigermaßen wieder geglättet waren. Der Chef des Senders wurde zum zuständigen Minister beordert und bekam eine gewaltige Kopfwäsche. Doch die darauf erfolgte Entschuldigung konnte das reale Problem in der belgischen Gesellschaft nicht verdecken: Die Auseinandersetzung um die Gleichberechtigung der niederländischen Sprache und Kultur mit dem dominierenden Französisch, die bis in die Mitte des 19.Jahrhunderts zurückreicht, hat sich bis in die heutigen Tage nicht auflösen lassen. Zwar gab es im Rahmen mehrerer Reformpakete bereits ab den 50er Jahren auch eine klare Regelung von Sprachgebieten. An den Versuchen, Abspaltungen oder anderweitige Autonomiebestrebungen ins Gespräch zu bringen, änderten diese allerdings kaum etwas.

Die belgische Politik trägt an der Verschärfung der Situation selbst einen großen Teil der Schuld. Im Vorfeld der Kommunalahlen im vergangenen Jahr, die zu einem Erstarken der äußersten Rechtsparteien, wie dem Vlaams Belang, führten, hatten sie den Streit erneut forciert. Es gab heftige Auseinandersetzungen der Regionalpolitiker, die zumeist auch noch in der Öffentlichkeit ausgetragen wurden. Außerdem legen sich die Regionen Flandern, Brüssel und die Wallonie auch nur noch mit der belgischen Regierung an, obwohl diese in den vergangenen Jahren immer mehr Kompetenzen abgegeben hatte. Daneben hantieren die Sprachgemeinschaften, darunter die 70.000 Deutschsprachigen, die wiederum arge Verständigungsschwierigkeiten mit den Regionen offenbaren. Das Ergebnis dieser Entwicklung: Fünf Parlamente hat das kleine Belgien, sieben Regierungen und Teilregierungen mit insgesamt mehr als 50 Ministern. Statt der Entwicklung hin zu einer „einheitlichen Sprache“ zerfällt Belgien immer mehr in nationalstaatliche Strukturen und hat mit deren Egoismen zu kämpfen.

Dieser Prozess ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Die flämischen Politiker fordern im Zuge der Parlamentswahlen eine weitere Staatsreform ein, die mehr Autonomie der drei Teilstaaten ermöglichen soll. Spätestens 40 Tage vor dem Wahlakt muss das belgische Parlament dazu eine Erklärung vorlegen und eine parlamentarische Zustimmung erfordert eine Zweidrittelmehrheit.

Auch die deutschsprachige Gemeinschaft (DG) will von diesem Reform-Kuchen, der gerade in Gesprächen zwischen den politischen Parteien gebacken wird, einige Stücke abhaben.
Deren Ministerpräsident, der Sozialdemokrat Karl-Heinz Lambertz (SP), fordert ebenfalls Reformgespräche zur konstitutiven Autonomie und will wenigstens eine garantierte Vertretung in Kammer und Senat. Die deutschsprachigen Parteien forderten nach der Gesprächsrunde die Wiederaufnahme von Verhandlungen über die Übertragung weiterer Zuständigkeiten von der Wallonischen Region ein, weil de deutschsprachigen Belgier keinen garantierten Vertreter dort haben. Überhaupt stellen sie die Provinzzugehörigkeit in Frage.

Lambertz hatte sich übrigens im Zusammenhang mit dem TV-Spektakel einigen Ärger eingefangen. Er gehörte nämlich zu den Politikern, die sich in einer Live-Schaltung „authentisch“ zu Wort gemeldet hatten und, wie er bestätigte, zu den Eingeweihten zählte. Zu dem Vorgang musste er sich im eigenen Parlament heftige Kritik gefallen lassen. Auf die Frage, warum er überhaupt teilgenommen habe, antwortete er, weil diese Sendung den Versuch unternommen hatte, „den schleichenden Prozess des Infragestellens des belgischen Staates zu stoppen, den wir seit Jahrzehnten erleben, der sich ständig fortsetzt und in der Bevölkerung große Fragen, Ängste und Beunruhigungen hervorruft“. Die Autoren der Sendung hätten „mit der Fiktion einen Bewusstseinsbildungseffekt erzielen“ und „dem Prozess der ständigen Infragestellung -direkter oder indirekter Art - der Weiterexistenz Belgiens einen deutlichen Riegel“ vorschieben wollen.

Auf die Frage, wie es denn mit der Deutschsprachigen Gemeinschaft weitergehen würde, wenn Flandern wirklich seine Unabhängigkeit erklären würde, habe Lambertz geantwortet, „dass wir deutschsprachige Belgier es äußerst bedauern“ würden, wenn „der belgische Staat nicht mehr den Rahmen für unsere eigene Autonomie darstellt.“ Aber er habe darüber hinaus auch deutlich gemacht, dass „nach einem solchen in der Tat historischen Ereignis die Deutschsprachige Gemeinschaft nicht ohne Alternative da steht“. Diese Botschaft sei ihm „persönlich nicht aus fiktiven, sondern aus sehr realen Gründen äußerst wichtig“ gewesen.

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