Mittwoch, 3. September 2008

Das Ende der Neutralität

Das Europäische Parlament hat am Dienstag über die Reform des Rechtsrahmens für elektronische Kommunikation, einschließlich Mobil- und Festnetztelefonie, Rundfunk und Internet, debattiert. Voraussichtlich am 23.September soll darüber abgestimmt werden.

Das Telekompaket enthält Sprengstoff. In ihm geht es nicht nur darum, die drei älteren Richtlinien »auf Vordermann zu bringen» - vielmehr wurde in der Debatte deutlich, dass schon auf Ausschussebene versucht wurde, die Richtlinienvorschläge mit allerlei neuen Regulierungszusätzen zu versehen. Ein Änderungsantrag beabsichtigte, Provider zu verpflichten, zum Schutz «geistigen Eigentums» den gesamten Datenverkehr ihrer Kunden zu filtern und zu überwachen. Falls diese Vorschläge am 23. September angenommen werden, befürchten Kritiker das Ende der Neutralität und der offenen Struktur des Netzes.

Einer der Anträge, der das Parlament passierte, soll Netzbetreiber durch den lapidaren Passus, sie dürften im Internet nur noch «gesetzeskonforme Inhalte» zulassen zur Kooperation mit Rechteinhabern zwingen. Doch wer kann eindeutig feststellen, was legale und was illegale Inhalte sind?

Das Vorbild dieser «modernen Richtlinie» kommt aus Frankreich. Dort ließ kein geringerer als Staatsschef Nicholas Sarkozy einen Gesetzentwurf auf den Weg bringen, der einen ähnlichen Passus beinhaltet und auch gleich die Konsequenzen benennt: Wer im Verdacht steht, gegen Immaterialgüterrechte verstoßen zu haben, der wird ermahnt. Drei Mahnungen bedeuten die "Rote Karte". Mit anderen Worten: Der Provider wird durch die Regulierungsbehörde angewiesen, den Anschluss des Kunden sperren.

Eva-Britt Svensson von der linken GUE/NGL-Fraktion machte in ihrem Diskussionsbeitrag am Dienstagabend unmissverständlich auf den Umstand aufmerksam, dass der Einfluss der Medienindustrielobby unübersehbar war: «Die Änderungsanträge», so Svensson, «kamen spät und dann noch durch die Hintertür.» Ihre Fraktion lehnte die geforderten Beschränkungen rundweg ab.

Wesentlich entspannter sieht das die CDU-Europaabgeordnete Christa Klaß. Sie erklärte in einem Forum, dass es beim EU-Telekompaket nicht etwa um eine Änderung der geltenden Vorschriften zum Fernmeldegeheimnis gehe, sondern um die «schwierigen Fragen zum Schutz des Urheberrechts in den Zeiten der Internettechnologie». Ihrer Ansicht nach wurde lediglich ein Prinzip der Zusammenarbeit von Urheberrechts-Anbietern und Providern entwickelt. Letztere seien «selbstverständlich an die relevanten geltenden Rechtsvorschriften zum Fernmeldegeheimnis und zum Datenschutz gebunden sind». Dort werde nichts geändert. Diese Vorschläge würden, so Klaß deshalb auch nicht in die «individuelle Freiheit und Privatsphäre im Internet ein[greifen].»

Die Netzneutralität wird mit der Richtlinie eher gefährdet als geschützt: Zwar sollen die nationalen Regulierungsbehörden Leitlinien mit Mindestanforderungen an die Dienstqualität veröffentlichen und gegebenenfalls Maßnahmen treffen können, um eine Verschlechterung der Dienste und eine Verlangsamung des Datenverkehrs zu verhindern. Die Behörden sollen aber lediglich dann eingreifen dürfen, wenn "der Zugang der Nutzer zu bestimmten Arten von Inhalten oder Anwendungen nicht in unzumutbarer Weise beschränkt wird".

Die Verteilung der Frequenzen

Frequenzen sind die Grundlage für viele moderne Technologien und Dienste – unter anderem für Internet, Mobiltelefonie, mobiles Fernsehen, Navigationssysteme und Flugsicherung. Bisher wurde jedem Dienst ein bestimmtes Frequenzband zugewiesen. Beispielsweise ist ein Großteil der Bandbreite im Bereich bis 1 Gigahertz für Rundfunk und Fernsehen reserviert. Die Digitalisierung ermöglicht jedoch die Übertragung von sechs bis acht Fernsehkanälen in der Bandbreite, die bisher ein analoger Kanal allein benötigte. Der Übergang zum digitalen Fernsehen bis 2012 soll viele Frequenzen freimachen, die in Zukunft für zusätzliche Fernsehprogramme, Breitbandinternet oder E-Government-Dienste verwendet werden könnten.

Der Bericht der französischen Abgeordneten Catherine Trautmann (SPE) über die Rahmenrichtlinie für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste unterstützt den Vorschlag der Kommission, die Neutralität der Kommunikationstechnologien und -dienste als verbindliche Prinzipien für die Frequenzvergabe einzuführen. Das heißt, im Einklang mit nationalen und internationalen Plänen für die Frequenzvergabe kann in Zukunft jede Anwendung in jedem Frequenzband angeboten werden.

Um sicherzustellen, dass drahtlose Dienste in Zukunft EU-weit kompatibel sind, sollten die Mitgliedstaaten untereinander und mit der Kommission bei der strategischen Planung und Harmonisierung der Funkfrequenznutzung zusammenarbeiten. Die Abgeordneten fordern die Kommission auf, einen Legislativvorschlag für ein Aktionsprogramm «Frequenzspektrum» vorzulegen.

Regulierung der Regulierungsbehörden

Der Industrieausschuss befürwortet außerdem den Vorschlag von Pilar del Castillo (EVP), ein neues Gremium der Europäischen Regulierungsbehörden für Telekommunikation (Body of European Regulators in Telecommunications - BERT) einzurichten, statt eine "Europäische Behörde für die Märkte der elektronischen Kommunikation" zu schaffen, wie von der Kommission ursprünglich vorgeschlagen.

BERT soll aus einem Rat der 27 nationalen Regulierungsbehörden bestehen, der als «unabhängiges Expertengremium» Empfehlungen zu Regulierungsmaßnahmen gibt, damit der europäische Rechtsrahmen EU-weit einheitlich angewendet wird. Das Gremium soll zu einem Drittel aus EU-Mitteln und zu zwei Dritteln aus Zuwendungen nationaler Regierungsbehörden finanziert werden.

Die abgeänderte Rahmenrichtlinie führt zudem ein neues «Verfahren der Koregulierung» ein. Nationale Regulierer müssen demnach zukünftig die Kommission und BERT konsultieren, bevor sie Maßnahmen zur Marktregulierung ergreifen. Falls die Kommission und BERT glauben, dass die Maßnahme ein Hemmnis für den Binnenmarkt darstellen würde, können sie den nationalen Regulierer zu einer Änderung auffordern.

Laut der überarbeiteten Richtlinie zum Netzzugang kann nun ein nationaler Regulierer in Ausnahmefällen einen etablierten Betreiber dazu auffordern, seine Netzinfrastruktur von den Abteilungen zu trennen, die Dienste über diese Infrastruktur anbieten. Das Netz verbleibt jedoch im Eigentum des Betreibers. Sowohl die Kommission als auch BERT müssen bestätigen, dass keine andere Maßnahme "wirksamen Wettbewerb" erreichen konnte.

Die Abstimmung über das Telekom-Paket ist für die Plenarsitzung vom 22. bis 25. September geplant.

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