Samstag, 20. Mai 2006

Brüssel fühlt Unternehmen auf den Nerv - EU-Kommission verdächtigt Gaskonzerne, gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen zu haben

Auf dem europäischen Gasbereich gibt es praktisch keinen Wettbewerb. Die EU-Kommission möchte diesen jetzt auf juristischem Wege erzwingen.

Hinter vorgehaltener Hand wird in Brüssel schon mal von »Vetternwirtschaft« gesprochen, wenn es um die europäischen Energieversorger geht. Und das Thema spielte nicht umsonst eine besondere Rolle beim diesjährigen Frühjahrsgipfel. Russlands Präsident Wladimir Putin legte bei seinem Treffen mit dem Vorsitzenden der EU-Kommission, Jose Manuel Barroso, eine alternative Strategie für langfristige Gas-Lieferverträge vor. Der Preis für ungehinderten Zugang zu der wichtigen Energiequelle schien aber vielen EU-Staatschefs sehr hoch zu sein. Russland wollte nämlich als Gegenleistung den Zugang zu Transport, Verarbeitung und Vermarktung. Was in der Praxis geschehen kann, hatte der russische Gazprom-Konzern Anfang des Jahres mit Preiserhöhungen und Lieferstopp gegenüber der Ukraine illustriert.

Auch innerhalb der EU haben längst Verteilungskämpfe um die Energieressourcen begonnen. Auch die Gasversorger versuchen, sich ihre Pfründe auf Kosten der Verbraucher zu sichern. Kommissionschef Barroso hatte schon im vergangenen Jahr mehrfach angekündigt, Brüssel werde die Entwicklung auf diesem sensiblen Markt genau beobachten.

»Wir mussten nun reagieren«, sagt ein Mitarbeiter der Brüsseler Wettbewerbsbehörde. Das Treiben der Konzerne, das von »äußerster Aggressivität geprägt ist«, sei nun deutlich spürbar gewesen. Am Dienstag und Mittwoch dieser Woche schwärmten mehr als 100 Mitarbeiter der EU-Kommission, die von nationalen Kartellbehörden unterstützt wurden, zu einer Razzia aus, um unangekündigt die Büros großer Gasversorger in Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Belgien unter die Lupe zu nehmen. Dabei konzentrierten sie sich auf Korrespondenz- und Protokollunterlagen der Unternehmensvorstände und zogen die Festplatten von Computern ein. »Wir erhoffen uns wichtige Erkenntnisse über den E-Mail-Verkehr«, heißt es in Brüssel.

Bei den Ermittlungen der EU-Kommission geht es offenbar um Hinweise auf geheime Absprachen von Vorständen. Es hätten sich die Vermutungen erhärtet, dass man sich »auf höchster Ebene doch recht präzise abspricht«. Außerdem sollen die Konzerne ihre Leitungs- und Speicherkapazitäten verschleiert und nicht ausgebaut haben. Alles laufe darauf hinaus, dass die Gaskonzerne ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen, um die vor allem mittelständisch geprägte Konkurrenz zu behindern. Dieser sei der »Einlass nahezu verschlossen geblieben«.

Das Prinzip der Gasmultis soll dabei so einfach wie wirkungsvoll sein: Sie versperrten der drohenden Konkurrenz einfach den Zugang zu Leitungen und Speichern und teilten stattdessen die regionalen Märkte untereinander auf. Grenzüberschreitend sollen sich solche Absprachen beim Gasgroßhandel zwischen Frankreich, Italien und Deutschland abgespielt haben, erfuhr ND aus der Wettbewerbsbehörde.

Eigentlich hätten die Konzerne erahnen müssen, dass ihnen derlei unangenehmer Besuch ins Haus steht. EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes hatte bereits vor drei Monaten angekündigt, durch Kartellverfahren mehr Wettbewerb auf den Gas- und Strommärkten erzwingen zu wollen. Dabei hatte sich die Kommissarin auf eine Branchenanalyse bezogen, die ihre Behörde zuvor erarbeitet hatte. Die Quintessenz: Mangels Wettbewerbs zahlten in vielen EU- Ländern die Verbraucher überhöhte Preise für Gas und Strom.

Diese unangemeldeten Inspektionen sollen ein erster Schritt sein, dem Verdacht von Verstößen gegen das EU-Wettbewerbsrecht nachzugehen, rechtfertigte Kroes die zweitägige Razzia. Sollten sich die Verdachtsmomente bestätigen, hätte das vor allem finanzielle Folgen für die Konzerne. Nach einem Kartellverfahren blühten den Versorgern Strafen von bis zu zehn Prozent ihres Jahresumsatzes. Die Brüsseler Behörde indes hofft, durch drakonische Strafen »wieder halbwegs Normalität« auf dem Gasmarkt erhalten zu können.

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