Sonntag, 4. März 2007

Friedensformel im Wodka-Krieg?

Was sich Millionen europaweit zumeist gedankenlos „hinter die Binde gießen“, kann im Europaparlament durchaus zu heftigen Auseinandersetzungen führen. Es geht um ein EU-weites „Reinheitsgebot“ für Wodka, um das sich Polen und die baltischen Staaten bemühten, aber mit dem sie sich schon im Ausschuss für Lebensmittelsicherheit nicht durchsetzen konnten. Vor der Abstimmung am 12.März im Straßburger Plenum geht es nun um die Suche nach einer „geeigneten Friedensformel“.

Schon in den vergangenen Wochen waren die Ausschussmitglieder auf der Suche nach einer gangbaren Lösung. Sie bestätigten einen Bericht, in dem es um die zukünftige EU-Verordnung zur „Begriffsbestimmung, Bezeichnung, Aufmachung und Etikettierung von Spirituosen“ geht und der im März-Plenum zur Abstimmung stehen wird. Der strittigste Punkt in dem Vorschlag ist, auf welchen Flaschen, in denen sich der Hochprozentige befindet, in Zukunft „Wodka“ stehen darf. Polen und mehrere Länder Nordosteuropas sind der Meinung, dass echter Wodka allein auf der Grundlage von Kartoffeln und Getreide und allenfalls noch mit Rübensirup hergestellt werde dürfe, weil das dort traditionell schon über seit 500 Jahren praktiziert werde.

Doch die Praxis sieht anders aus, denn Wodka kann grundsätzlich aus so gut wie allen landwirtschaftlichen Produkten hergestellt werden, deren Stärke sich vergären lässt. Mehrere bekannte Wodkasorten in Deutschland, so Gorbatschow, Smirnoff und Ciroc, aber auch „Wässerchen“ in Frankreich, Großbritannien, den USA und Russland, werden auf der Basis von Trauben, Früchtemischungen, Soja, Molke oder Pressresten hergestellt. Die USA, sowohl wichtiger Importeur europäischen Wodkas als auch selbst Exporteur, kündigten bereits an, dass sie eine restriktive Definition von Wodka im Rahmen der Welthandelsorganisation anfechten würden.

Die EU-Kommission hatte zunächst eine Definition vorgeschlagen, die die unterschiedlichen üblichen Ausgangsstoffe zulassen wollte. Allerdings hätten die – im Kleingedruckten - auf dem Etikett vermerkt sein müssen. Der im Ausschuss erzielte Kompromiss sieht dagegen vor, dass traditionell auf der Basis von Kartoffeln, Getreide oder Melasse hergestellter Wodka auch so – ohne Zusatz - benannt werden darf. Hochprozentiger, dessen Alkohol aus anderen Produkten hergestellt wird, müsste dann beispielsweise als „Wodka aus Trauben“ etikettiert werden. Folgt das Parlamentsplenum diesem Vorschlag, dann wäre die Grundlage für eine schnelle Einigung mit dem Ministerrat gegeben.

Dass es den Polen und den Nordosteuropäern dabei nicht etwa um die Sache an sich geht, das wird beim genauen Hinschauen deutlich, denn weltweit werden mit Wodka über neun Milliarden Euro jährlich umgesetzt. In der EU werden 70 Prozent im Baltikum, in Polen sowie in Finnland und Schweden produziert und es sind eben diese Länder, die absolut auf der teuren Kartoffel-Getreide-Basis bestehen und anderen Schnäpsen die Bezeichnung Wodka per EU-Verordnung absprechen wollen. Die Tradition werde nur vorgeschoben, urteilte die SPD-Europaabgeordnete Dagmar Roth-Behrendt verärgert. „Mit der Forderung nach einem 'Reinheitsgebot' sollten etablierte Produkte vom Markt gedrängt werden.“

Und Roth-Behrendt weiß, wovon sie spricht: In ihrem Berliner Wahlkreis ist die Traditionsdestille Gorbatschow beheimatet, die – ihrer Auffassung nach - von einem solchen „Reinheitsgebot“ durchaus existenziell betroffen sein könnte. Das „Wässerchen“ des Firmengründers Leonotowitsch Gorbatschow, der während der Oktoberrevolution von Russland aus nach Berlin emigriert war und dort 1921 mit der Wodka-Produktion begann, gilt hierzulande als Marktführer und gehört inzwischen zum Wiesbadener Henkell & Söhnlein-Konzern. Ein Zusatz auf dem Etikett, der auf die Bestandteile des Berliner Klaren hinweist, wäre demnach also das kleinere Übel für das Unternehmen. Letztlich sei nach Auffassung von Roth-Behrendt deshalb der Kompromiss „mit Blick auf eine klare Mehrheit“ im Plenum „akzeptabel.“

Dennoch vermutet die Berlinerin, dass der Ärger mit dem Wodka auch nach der Abstimmung noch nicht ausgestanden sein könnte. „Sollte der jetzt angenommene Text sich im endgültigen Gesetzestext wiederfinden, bin ich auf die dann absehbare Befassung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) gespannt“, räumte sie skeptisch ein. Genauso wie beim deutschen Bier oder der italienischen Pasta rechtfertigten traditionelle Herstellungsmethoden keine Sonderbehandlung gegenüber abweichenden Produktionsverfahren, begründete sie. Für den Fall, dass sich Polen und Nordeuropäer wider Erwarten doch bei der „wässrigen“ Abstimmung am 12.März durchsetzen, wolle man ein „Reinheitsgebot“ beim Bier einfordern, kündigte Roth-Behrendt an.

Und auch das Lieblingsgetränk der Deutschen wird bereits an diesem Mittwoch (28.Februar) auf der Agenda des Wirtschaftsausschusses auftauchen, wenn es um die Kommissionsvorlage geht, die eine Angleichung der Verbrauchssteuern auf Alkohol innerhalb der EU einfordert. Die Deutschen müssten nach dem Willen der Kommissare ab dem Jahr 2010 bis zu 1,2 Cent für einen halben Liter Bier mehr berappen. An sich wäre das kein Problem, meinte sogar der Deutsche Brauerbund. Nur nach der Erhöhung der Mehrwertsteuer zu Beginn des Jahres 2007 könnte sich der Vorstoß der Kommission in Deutschland zu einem Politikum auswachsen. Das hatte offenbar auch die Bundesregierung befürchtet. Auch sie sträubt sich – wie einige andere Staaten - gegen die derzeit eher unpopulären Pläne.


Selbst Gesundheitskommissar Markos Kyprianou (Foto: Europäische Kommission) sekundierte den Steuerplänen seiner Kollegen und scheiterte gnadenlos mit einem Versuch, alle möglichen alkoholischen Getränke – ähnlich wie bei Tabakwaren – mit Warnhinweisen zu versehen. Denn letztlich geht es bei dem Vorhaben der Kommission erneut um andere, handfeste Gründe, wie das Beispiel Finnland nachhaltig belegt. Das Land hatte beispielsweise erst seine Alkoholsteuer gesenkt, weil sich die Landsleute ihre harten Getränke in den Nachbarstaaten besorgten. Wenn sich aber die Finnen schon ruinieren, dann soll die einheimische Wirtschaft davon profitieren, meinten offenbar die politischen Verantwortungsträger. Nun gehört das Land zu den glühenden Verfechtern einer EU-weiten „Steuerangleichung“, die, so die Hoffnung, den Anreiz der trinkfreudigen Finnen vermindern könnte, sich ihren Hochprozentigen weiterhin woanders zu besorgen. Erst dann spielen die gesundheitspolitischen Aspekte wirklich eine Rolle.

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