Montag, 5. März 2007

»Letzte Warnung« aus Brüssel für Polen

Der Streit zwischen der EU-Kommission und der polnischen Regierung wegen der begonnenen Bauarbeiten für Umgehungsstraßen, die durch wichtige Naturlandschaften im Rospuda-Flusstal und im nordostpolnischen Wald-Heidegebiet der Puszcza Knyszyska führen sollen, scheint allmählich zu eskalieren. Die Kommission will das seit Dezember 2006 laufende Vertragsverletzungsverfahren beschleunigen und hat Polen nun eine »letzte Warnung« zugestellt.

Der Vorwurf, den Umweltkommissar Stavros Dimas der polnischen Regierung vortrug, war klar und deutlich: Auch wenn die Kommission den Ausbau des Straßennetzes befürworte, besonders im Nordosten im Verlauf des Fernstraßenkorridors zwischen Helsinki und Warschau, könne sie das Projekt der geplanten Umgehungsstraßen von Augustów und Wasilków nicht billigen, sagte Dimas. Die Gefahr sei akut, dass Urwälder und andere natürliche Lebensräume von »europäischer Bedeutung« verletzt werden. Die Arbeiten führten zu »unumkehrbaren Schädigungen« und wären »weder notwendig noch gerechtfertigt«.

Zwar sieht sich die polnische Regierung schon etwas unter Druck, doch grundsätzlich will sie ihre Haltung offenbar nicht überdenken. Im Gegenteil: In der vorangegangenen Stellungnahme wird dem Vorwurf widersprochen, das Bauvorhaben verstoße gegen EU-Recht. Die polnische Regierung zeigte sich von der Rechtmäßigkeit des Investitionsvorhabens überzeugt. Premier Kaczynski (Foto: EU-Kommission) sagte noch Ende vergangener Woche, dass er zwar Verständnis für die Proteste der Umweltschützer aufbringe, ihnen aber keinesfalls nachgeben werde. Denn so etwas könnte Schule machen und dann anderen Projekten im Wege stehen.

Damit ist Kaczynski fein raus, denn auch in Polen gibt es für derlei gewichtige Vorhaben, die den Unmut der Menschen herausfordern, keinerlei gesetzliche Möglichkeiten, um ein Referendum in Gang zu setzen. Mit einer solchen Möglichkeit hätten die Gegner des Straßenbaus durchaus realistische Chancen gehabt, das Projekt doch noch aus eigener Kraft stoppen zu können. In einer Meinungsumfrage, die im Auftrag der Tageszeitung »Gazeta Wyborcza« vom Institut PBS durchgeführt wurde, sprachen sich 65 Prozent aller Polen für eine alternative Streckenführung aus.

Gerade an diesem Fakt erhitzen sich die Gemüter im fernen Brüssel: Die polnischen Behörden hatten eine andere Streckenführung, die vor allem von Naturschützern als Alternative ins Spiel gebracht wurde, rundweg abgelehnt. Sie begründeten es damit, dass das Vorhaben aus Gründen der Straßenverkehrssicherheit von »überragender Bedeutung« sei. Dieses Argument wollte indes Kommissar Dimas nicht gelten lassen: Der Verkehrssicherheit könne auch durch andere Streckenführungen angemessen Rechnung getragen werden, bei denen irreparable Schäden an dem Schutzgebiet vermieden würden.

Die EU-Kommission betrachtet die Angelegenheit jedenfalls als »äußerst dringlich«, da die Abholzungsarbeiten bereits eingesetzt haben und sich die Bauarbeiten ab 19. März nahtlos anschließen sollen. Geht innerhalb der nächsten Tage von Warschau aus keine positive Antwort nach Brüssel, dann droht die Kommission mit raschen Maßnahmen beim Europäischen Gerichtshof, etwa mit einer einstweiligen Verfügung. So könnten die Bauarbeiten ausgesetzt werden, bis in dieser Sache eine Anhörung stattgefunden hat.


Der Bürgermeister von Augustów, Leszek Cieslik, bislang ein glühender Verfechter der Baupläne, machte der EU nun sogar ein »Angebot«, berichtete ein polnischer Radiosender: Wenn die EU-Kommission die Schließung des polnisch-litauischen Grenzübergangs bei Augustòw für Lastwagen veranlasse, dann stimme die Stadt einem Baustopp im Rospuda-Tal zu. Schließlich warte man schon seit 15 Jahren auf die Umgehungsstraße, meinte er. Ein Baustopp ohne Kompensation käme jedenfalls nicht in Frage. Proteste der Einwohner, die unter dem Durchgangsverkehr leiden, geben dem Bürgermeister da Rückendeckung.

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