Europas Wanderzirkus (Das Blättchen)
Auf Außenstehende wirkt der Vorgang etwas eigenartig: Wenige Tage vor einer Sitzung des Europäischen Parlaments beginnen rund 1300 Eurokraten und deren rund 750 Mitarbeiter mit dem Packen der notwendigsten Utensilien. Sie werden fein säuberlich in mehr als 4000 Kisten verpackt und mit Namensschildchen versehen. Bis zu zehn Lastwagen manövrieren die parlamentarischen Inhalte dann die vierhundert Kilometer lange Strecke von Brüssel nach Straßburg. Nach ein paar Tagen geht die Fuhre wieder zurück in die belgische Metropole.
Alljährlich, ganz in der Nähe der Sommermonate, kommt dann die Diskussion darüber auf, ob sich das zwölf Mal wiederholende Schauspiel eigentlich lohne und ob nicht die zweihundert Millionen Euro, die der »Wanderzirkus« den europäischen Steuerzahlern kostet, an anderer Stelle besser aufgehoben sein könnten. Zumeist gibt es dann einige Initiativen, die ein Ende der Praxis verlangen. So haben die liberalen Parlamentarier in diesem Jahr öffentlichkeitswirksam eine Protestaktion via Internet inszeniert, die zur Läuterung der Verantwortungsträger und zu einem Ablassen vom »nationalstaatlich legitimierten« parlamentarischen Unfug beitragen sollte. Das Interesse schien anfangs rege. Inzwischen ist die Online-Revolution – erwartungsgemäß – wieder etwas abgeebbt.
Nationalstaatlich legitimiert? Bisweilen geht die Allgemeinheit davon aus, daß nur der europäische Verbund der Volksvertreter darüber entscheiden könne, wo sie ihre Sitzungen abhalten. So gesehen hätten also die Abgeordneten gegen sich selbst protestiert und sich in die Enge getrieben. Auch die deutsche Bundeskanzlerin hatte seinerzeit offenbar keine Kenntnis darüber, wer eigentlich ein derartiges Procedere in Gang setzen darf, um die Verschwendung von jährlich etwa zweihundert Millionen Euro zu stoppen. Angela Merkel meinte vor einem Mikrophon, daß über die Zukunft der Tagungsstätten bitte Brüssel entscheiden solle.
Frau Merkel befand sich – wie Millionen ihrer deutschen Landsleute – in dem irrigen Glauben, daß tatsächlich eine parlamentarische Demokratie, zumal auf europäischer Ebene, eine solche Entscheidungsbefugnis besitzt. Die Bilder der unwissenden Kanzlerin huschten über die Bildschirme und offenbarten, daß auch eine Frau Merkel inzwischen gelernt hat, ihre Unwissenheit mit einer gewissen Selbstverständlichkeit auszutragen. Das suggeriert Glaubwürdigkeit. Vor Monaten hätte sie in einer solchen Situation die unsichere Pfarrerstochter gemimt. Glückwunsch. Ihre Berater haben erfolgreiche Arbeit geleistet.
Inzwischen durfte Angela Merkel zum Gipfeltreffen nach Brüssel reisen und inmitten ihrer männlichen Kollegen über das Schicksal Europas referieren und über folgenschwere Entscheidungen brüten. Derweil wird sie auch erfahren haben, was das Blut einiger Parlamentarier in Wallung gebracht haben dürfte, außer der Tatsache, daß mancher einfach die Nase voll hatte vom ewigen Pendelverkehr zwischen der belgischen Hauptstadt und der französischen Kleinstadt. Für die Mieten der parlamentarischen Gebäude soll Straßburg nämlich über Jahre weit mehr verlangt haben, als sie an den Eigentümer, einer Immobilien-Holding, weiterreichte. Etliche Millionen sollen dem Steuerzahler auf diese Weise abhanden gekommen sein und sich nun in den Kassen der Stadt wiederfinden lassen. Ob die Vorwürfe stimmen, wird noch genau zu bestimmen sein. Und man wird der Neuen aus Deutschland sicher auch gesteckt haben, daß nicht das Parlament selbst, sondern nur die Regierungschefs auf einem ihrer Gipfeltreffen eine Entscheidung darüber herbeiführen können, wo die Volksvertreter tagen dürfen und wo nicht.
Zwar wissen die europäischen Regierungschefs noch immer nicht, wie sie in der verfahrenen Verfassungsfrage weiter operieren sollen, und entschieden sich daher, den Prozeß des Nachdenkens fortzuführen und ihn mit Aktionen zu garnieren, dafür waren sie sich in der Frage Straßburg oder Brüssel einig. Man hatte sich zu einem Schweigegelübde verabredet. Selbst Josep Borrell Fontelles, seit zwei Jahren der Präsident des Europäischen Parlaments und zuvor in Spanien Staatssekretär für Finanzen und Minister für Infrastruktur, Transport und Umwelt, fühlte sich diesem Gelübde verpflichtet, obwohl er zum Gipfel die Interessen seiner mehr als siebenhundert Abgeordneten zu vertreten hatte. Nein, sagte er gegenüber der Presse, man habe nicht über den künftigen Sitz des Parlaments gesprochen. Das Straßburg-Thema rangiere im Vergleich mit anderen Problemen, denen sich die EU und die Welt stellen müßten, nicht an erster Stelle. Außerdem sei der Parlamentssitz in Straßburg ein »historisches Symbol«.
Da also die Reflexionsphase weitergehen wird, werden die Staatsleute sicher noch einige Zeit zur Verfügung haben, um über den Zusammenhang von angeblicher politischer Verdrossenheit der europäischen Bürger und einem gescheiterten Verfassungsentwurf nachzudenken. Und darüber, warum in den »alten« EU-Staaten gerade noch 37 Prozent der Menschen der Union vertrauen, wie eine Umfrage der US-Kommunikationsberater Penn, Schoen & Berland für das Wochenmagazin European Voice ergab. Wenig Verständnis hatten demnach die Befragten auch für den »Wanderzirkus« des EU-Parlaments: 68 Prozent sprachen sich für einen einzigen Sitz der Institution aus, davon hielten 76 Prozent Brüssel für geeigneter als die Repräsentanz im französischen Straßburg.
Die Fragen unnachgiebiger Journalisten würgte Parlamentschef Borrell übrigens ab, indem er Paul-Henri Spaaks zitierte: »Aber wenn Schwierigkeiten auftraten, zogen wir aus unseren gemeinsamen Überzeugungen die Phantasie, die notwendig war, um sie zu überwinden.« Für die Zukunft Straßburgs bedeutet dies: Die Wähler spielen keine Rolle, wenn Millionenbeträge wegen des einstmals geschlossenen und mehr als zweifelhaften Vertrages von Amsterdam fließen. Die Phantasie bedeutet in diesem Fall nichts anderes als aussitzen – und damit haben wir Deutschen ja bereits unsere Erfahrungen gemacht.
Alljährlich, ganz in der Nähe der Sommermonate, kommt dann die Diskussion darüber auf, ob sich das zwölf Mal wiederholende Schauspiel eigentlich lohne und ob nicht die zweihundert Millionen Euro, die der »Wanderzirkus« den europäischen Steuerzahlern kostet, an anderer Stelle besser aufgehoben sein könnten. Zumeist gibt es dann einige Initiativen, die ein Ende der Praxis verlangen. So haben die liberalen Parlamentarier in diesem Jahr öffentlichkeitswirksam eine Protestaktion via Internet inszeniert, die zur Läuterung der Verantwortungsträger und zu einem Ablassen vom »nationalstaatlich legitimierten« parlamentarischen Unfug beitragen sollte. Das Interesse schien anfangs rege. Inzwischen ist die Online-Revolution – erwartungsgemäß – wieder etwas abgeebbt.
Nationalstaatlich legitimiert? Bisweilen geht die Allgemeinheit davon aus, daß nur der europäische Verbund der Volksvertreter darüber entscheiden könne, wo sie ihre Sitzungen abhalten. So gesehen hätten also die Abgeordneten gegen sich selbst protestiert und sich in die Enge getrieben. Auch die deutsche Bundeskanzlerin hatte seinerzeit offenbar keine Kenntnis darüber, wer eigentlich ein derartiges Procedere in Gang setzen darf, um die Verschwendung von jährlich etwa zweihundert Millionen Euro zu stoppen. Angela Merkel meinte vor einem Mikrophon, daß über die Zukunft der Tagungsstätten bitte Brüssel entscheiden solle.
Frau Merkel befand sich – wie Millionen ihrer deutschen Landsleute – in dem irrigen Glauben, daß tatsächlich eine parlamentarische Demokratie, zumal auf europäischer Ebene, eine solche Entscheidungsbefugnis besitzt. Die Bilder der unwissenden Kanzlerin huschten über die Bildschirme und offenbarten, daß auch eine Frau Merkel inzwischen gelernt hat, ihre Unwissenheit mit einer gewissen Selbstverständlichkeit auszutragen. Das suggeriert Glaubwürdigkeit. Vor Monaten hätte sie in einer solchen Situation die unsichere Pfarrerstochter gemimt. Glückwunsch. Ihre Berater haben erfolgreiche Arbeit geleistet.
Inzwischen durfte Angela Merkel zum Gipfeltreffen nach Brüssel reisen und inmitten ihrer männlichen Kollegen über das Schicksal Europas referieren und über folgenschwere Entscheidungen brüten. Derweil wird sie auch erfahren haben, was das Blut einiger Parlamentarier in Wallung gebracht haben dürfte, außer der Tatsache, daß mancher einfach die Nase voll hatte vom ewigen Pendelverkehr zwischen der belgischen Hauptstadt und der französischen Kleinstadt. Für die Mieten der parlamentarischen Gebäude soll Straßburg nämlich über Jahre weit mehr verlangt haben, als sie an den Eigentümer, einer Immobilien-Holding, weiterreichte. Etliche Millionen sollen dem Steuerzahler auf diese Weise abhanden gekommen sein und sich nun in den Kassen der Stadt wiederfinden lassen. Ob die Vorwürfe stimmen, wird noch genau zu bestimmen sein. Und man wird der Neuen aus Deutschland sicher auch gesteckt haben, daß nicht das Parlament selbst, sondern nur die Regierungschefs auf einem ihrer Gipfeltreffen eine Entscheidung darüber herbeiführen können, wo die Volksvertreter tagen dürfen und wo nicht.
Zwar wissen die europäischen Regierungschefs noch immer nicht, wie sie in der verfahrenen Verfassungsfrage weiter operieren sollen, und entschieden sich daher, den Prozeß des Nachdenkens fortzuführen und ihn mit Aktionen zu garnieren, dafür waren sie sich in der Frage Straßburg oder Brüssel einig. Man hatte sich zu einem Schweigegelübde verabredet. Selbst Josep Borrell Fontelles, seit zwei Jahren der Präsident des Europäischen Parlaments und zuvor in Spanien Staatssekretär für Finanzen und Minister für Infrastruktur, Transport und Umwelt, fühlte sich diesem Gelübde verpflichtet, obwohl er zum Gipfel die Interessen seiner mehr als siebenhundert Abgeordneten zu vertreten hatte. Nein, sagte er gegenüber der Presse, man habe nicht über den künftigen Sitz des Parlaments gesprochen. Das Straßburg-Thema rangiere im Vergleich mit anderen Problemen, denen sich die EU und die Welt stellen müßten, nicht an erster Stelle. Außerdem sei der Parlamentssitz in Straßburg ein »historisches Symbol«.
Da also die Reflexionsphase weitergehen wird, werden die Staatsleute sicher noch einige Zeit zur Verfügung haben, um über den Zusammenhang von angeblicher politischer Verdrossenheit der europäischen Bürger und einem gescheiterten Verfassungsentwurf nachzudenken. Und darüber, warum in den »alten« EU-Staaten gerade noch 37 Prozent der Menschen der Union vertrauen, wie eine Umfrage der US-Kommunikationsberater Penn, Schoen & Berland für das Wochenmagazin European Voice ergab. Wenig Verständnis hatten demnach die Befragten auch für den »Wanderzirkus« des EU-Parlaments: 68 Prozent sprachen sich für einen einzigen Sitz der Institution aus, davon hielten 76 Prozent Brüssel für geeigneter als die Repräsentanz im französischen Straßburg.
Die Fragen unnachgiebiger Journalisten würgte Parlamentschef Borrell übrigens ab, indem er Paul-Henri Spaaks zitierte: »Aber wenn Schwierigkeiten auftraten, zogen wir aus unseren gemeinsamen Überzeugungen die Phantasie, die notwendig war, um sie zu überwinden.« Für die Zukunft Straßburgs bedeutet dies: Die Wähler spielen keine Rolle, wenn Millionenbeträge wegen des einstmals geschlossenen und mehr als zweifelhaften Vertrages von Amsterdam fließen. Die Phantasie bedeutet in diesem Fall nichts anderes als aussitzen – und damit haben wir Deutschen ja bereits unsere Erfahrungen gemacht.
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