Samstag, 14. April 2007

Kennzeichnung statt Verbot


Das Brüsseler Europaparlament hat sich darauf verständigt, dass gesundheitsgefährdende Stoffe auch weiterhin in Medizinprodukten Verwendung finden dürfen. Sie müssen lediglich gekennzeichnet sein.

Die grüne Europaabgeordnete Hiltrud Breyer war nach der jüngsten Plenardebatte über die neue Medizinprodukterichtlinie verärgert. Es sei ein »Armutszeugnis«, dass aufgrund der Blockade der EU-Mitgliedstaaten krebserregende, mutagene und fortpflanzungsschädigende Stoffe (CMR-Stoffe) weiter verwendet werden dürfen, selbst wenn sichere Alternativen vorhanden sind. Mit der Einigung in erster Lesung sei »der große Wurf für ein Verbot hochgefährlicher Stoffe in Medizinprodukten ausgeblieben«, schimpfte Breyer.

Laut Parlament sollen medizinische Produkte spätestens ab dem Jahr 2012 keine toxischen Weichmacher mehr enthalten dürfen. Bis dahin wird der Industrie aber lediglich eine Kennzeichnungspflicht vorgegeben. Für die Produzenten verbindet sich mit dieser Schonfrist vor allem der Vorteil, etwas Zeit gewonnen zu haben, um krebserregende oder fortpflanzungsschädigende Stoffe nach und nach durch weniger toxische Alternativen zu ersetzen. Allerdings ermögliche sie dem medizinischen Personal nunmehr, ganz bewusst Produkte ohne Weich-PVC einzusetzen, was auch durch die Verbraucher aktiv eingefordert werden könne.

Breyer zufolge würden die Produzenten stärker in die Pflicht genommen werden. Sie müssten begründen, warum Medizinprodukte mit Weich-PVC bei Kindern und Schwangeren verwendet werden dürften. Klare Begrenzungen für die Verwendung riskanter Weich-PVC in Beatmungsschläuchen, Magensonden und Infusionsgeräten seien »längst überfällig«. Diese enthielten nämlich hohe Konzentrationen des fortpflanzungsschädigenden Weichmachers DEHP, der vor allem für Babys, Kinder und Dialysepatienten gefährlich ist. Allein aus Schläuchen nehmen Frühgeborene eine bis zu 200fach erhöhte DEHP-Dosis auf, argumentiert die Abgeordnete und schlussfolgert: »Diese gefährlichen Weich-PVC gehören nicht in Produkte, mit denen wir in Kontakt kommen.«

Breyer ist überzeugt, dass die Richtlinie höchstens eine »Übergangslösung« sei und nachgebessert werden müsse. Selbst die EU-Kommssion habe vor wenigen Tagen auf der Grundlage einer bereits seit 2001 vorliegenden Risikobewertung empfohlen, die Verwendung von DEHP in Medizinprodukten für bestimmte Risikogruppen ganz zu verbieten. Nun wurde die Kommission durch das Parlament aufgefordert, bis Ende des Jahres einen diesbezüglichen Gesetzesvorschlag vorzulegen.

Die neuen Vorschriften müssen zwölf Monate nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU angewendet werden. Die Definition eines Medizinproduktes schließt laut der geänderten Richtlinie nun auch die »vom Hersteller speziell zur Anwendung für diagnostische und/oder therapeutische Zwecke bestimmten und für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinprodukts eingesetzte Software« ein. Außerdem werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, Mängel eines Gerätes, die zum Tod, einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes eines Patienten oder zu einer Rückrufaktion geführt haben, zentral zu erfassen und zu bewerten.


Der europäische Medizinprodukte-Markt ist nach dem der USA der zweitgrößte in der Welt. Mit einem geschätzten Umsatz von 55 Milliarden Euro steht er für 30 Prozent des globalen Verkaufs. In dem Sektor arbeitet etwa eine halbe Million Menschen.

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