Freitag, 22. Juni 2007

Sturmwolken über Schloss Meise

Für Bundeskanzlerin Angela Merkel steht auf dem Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs besonders viel auf dem Spiel. Zum Ende der deutschen Ratspräsidentschaft will sie einen neuen Verfassungsvertrag auf den Weg bringen und das zwölfseitige Mandat für eine Regierungskonferenz beschließen lassen, um die Europäische Union auf eine »erneuerte gemeinsame Grundlage« zu stellen. Doch es knirscht heftig im Brüsseler Getriebe.

Seit die Kaczynski-Zwillinge in Polen an der Spitze von Staat und Regierung stehen, zeigt das EU-Barometer häufig auf Sturm. Es vergeht kaum eine Woche, in der die Gebrüder nicht mit Forderungen zitiert werden. Unmittelbar vor dem Brüsseler Gipfel präsentierte Warschau ein »Quadratwurzel«-Modell, durch das Polen sein politisches Gewicht gegenüber Deutschland erhalten möchte. Immerhin hatte das Land bereits vor dem EU-Beitritt durchgesetzt, dass es Deutschland, das etwa doppelt so viele Einwohner zählt, in seinem Stimmengewicht nahezu gleichgestellt wurde. Die Debatte um künftige Stimmrechte spielt jetzt in Brüssel eine entscheidende Rolle, denn der Berliner Vorschlag für einen EU-Reformvertrag als Ersatz für die gescheiterte Verfassung soll die Ungleichgewichte beheben, die im derzeit gültigen Nizza-Vertrag festgeschrieben wurden. Seinerzeit hatte man kleine und mittlere Staaten gegenüber den großen wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien besser gestellt.

Der neue Verfassungsvertrag sieht das Prinzip der »doppelten Mehrheit« vor, gegen das Warschau so kräftig Stimmung macht. Zuletzt brachte Premier Jaroslaw Kaczynski sogar die polnischen Weltkriegstoten ins Spiel, um Bewegung in die umstrittene Abstimmungsfrage zu bringen. In Brüssel reiste schließlich Staatspräsident Lech Kaczynski an. »Ich hoffe, dass alle in dem Geist arbeiten werden, dass wir ein faires Übereinkommen bekommen«, sagte Merkel gestern bei ihrer Ankunft in Schloss Meise. Heute früh, nach der ersten »Nachtschicht«, wird man klüger sein. Fallen stehen in Meise in großer Zahl herum. Etwa wenn es um den künftigen EU-Außenminister geht. Zum einen plädieren viele EU-Mitgliedstaaten für eine wirksame europäische Stimme im internationalen Konzert, andere, allen voran Großbritannien, wollen sich aber auf keinen Fall ihre nationalstaatlichen Befugnisse beschneiden lassen.

In Brüssel ist zu hören, dass auch einige kleinere Staaten, vor allem Luxemburg, ihre Haltung zum künftigen Verfassungsvertrag vom Ergebnis der Gipfeldebatte abhängig machen wollen. Ministerpräsident Jean-Claude Juncker kündigte an, im Fall einer »Verwässerung« des ursprünglichen Textes zu handeln. Alternative Verfassungskritiker wiederum sehen mit Sorge die sich abzeichnende mangelnde Einbindung der EU-Bürger in den Entscheidungsprozess. Merkel hatte bei einigen ihrer Besuche in benachbarten Staaten deutlich gemacht, dass es ihr am liebsten wäre, wenn sich nationalstaatliche Abstimmungen vermeiden ließen. Schließlich könnte eine neuerliche Ablehnung, wie sie seinerzeit Franzosen und Niederländer praktizierten und damit eine handfeste EU-Krise auslösten, das endgültige Aus für das Verfassungsprojekt bedeuten.

Vor mangelnder Transparenz warnte auch die Vizechefin der GUE/NGL-Fraktion im Europäischen Parlament, Sylvia-Yvonne Kaufmann (Die Linke). Eine erneuerte vertragliche Grundlage der EU brauche die Legitimation der Bürgerinnen und Bürger. Sie sollten sehen und hören, wer sich in Brüssel für ihre Interessen einsetzt, wer – wie die polnische Führung – im Windschatten der USA versuche, ein sich politisch einigendes und geschlossen handelndes Europa zu boykottieren, wer unter Missbrauch des französischen und niederländischen Neins zur Verfassung bestrebt sei, sein »nationales Süppchen« zu kochen, und wer verhindern wolle, dass die EU das Gewicht und die Instrumentarien erhält, um die Globalisierung künftig sozialer zu gestalten. Juncker sah die Chancen auf einen Gipfel-Erfolg bei 50 zu 50. Andere äußerten sich pessimistischer.

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