Freitag, 24. Oktober 2008

Regierungschef im Jubeltaumel

Die internationale Geberkonferenz in Brüssel hat Georgien am Mittwoch fast 3,5 Milliarden Euro für den zivilen Wiederaufbau zugesagt. Noch in diesem Jahr sollen demnach 1,36 Milliarden Euro an das Land überwiesen werden. Deutschland kündigte an, 35 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Mit dem Geld verbindet der Westen allerdings klare Forderungen an die georgische Regierung.

Als die Zahlen auf der Brüsseler Konferenz bekannt wurden, setzte auf beiden Seiten Jubel ein: Geber und Bittsteller freuten sich gleichermaßen, weil keiner damit gerechnet hatte, dass am Ende so viel Geld zusammenkommen könnte. Der georgische Premier Lado Gurgenidse bekannte freudig erregt, dass seine Erwartungen deutlich übertroffen wurden. Georgien empfinde tiefe Dankbarkeit und werde den Steuerzahlern der Geberländer diese große Geste nie vergessen. Das Geld werde das Land stärker und wirtschaftlich erfolgreicher machen, sagte Gurgenidse und schob artig nach, dass sein Land auch demokratischer werde.

Gerade da hatte der Regierungschef den wunden Punkt getroffen. Denn den Preis für die Finanzspritze hatten die EU-Politiker zuvor festgelegt. »Wir erwarten, dass Georgien das Geld nutzt, um wichtige Reformen voranzubringen«, hatte EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner geäußert und dabei die Modernisierung des georgischen Justizsystems, eine bessere Verwaltung der öffentlichen Finanzen und mehr Pressefreiheit verlangt.

Noch deutlicher wurde EU-Kommissionschef José Manuel Barroso. Er machte klar, dass es sich bei der Finanzhilfe für Georgien nicht etwa um einen reinen Solidaritätsakt der Europäer handelt. Wenn dem Land geholfen werde, seine wirtschaftliche und politische Sicherheit sowie seine Infrastruktur zu verbessern, dann sichere dies auch Europas Energieversorgung, meinte der Portugiese. Denn jeder Konflikt an den Grenzen gefährde Sicherheit und Stabilität. Deshalb habe auch der Krieg im Kaukasus eine »Bedrohung für Europas unabhängige Energieversorgung« dargestellt – durch das Land führen drei Pipelines Richtung Europa. Diese waren zeitweilig ebenso abgeschnitten wie die Öltransporte auf der Schiene.

In die Brüsseler Jubelszenen und Gurgenidses Versprechen, Georgien nun demokratischer zu machen, mischten sich auch sorgenvolle Stimmen. Georgische Oppositionelle hatten in einem Brief gefordert, die finanzielle Hilfe zweckgebunden einzusetzen, damit die Armut bekämpft und nicht das Regime gestärkt werde. Das Geld müsse auf direktem Wege und mit der größtmöglichen Transparenz in Georgien verteilt werden. Auch die Organisation Transparency International fürchtet, dass ein Großteil der Hilfsgelder in dunklen Kanälen versickern könnte.

Nach Schätzungen der Weltbank, die mit der EU-Kommission die Geberkonferenz organisiert hatte, werden für Reparaturen, Investitionen und humanitäre Hilfen bis ins Jahr 2011 rund 2,4 Milliarden Euro benötigt. Zwar geht die Summe, die in Brüssel per Willensbekundung zusammenkam, deutlich über den Bedarf hinaus, doch zeigen Erfahrungen, dass sich Geber in der Vergangenheit oftmals an ihre eigenen Zusagen nicht gebunden fühlten. Auch auf dem Balkan klaffte seinerzeit eine gewaltige Lücke zwischen großzügigen Versprechen und den Hilfspaketen, die tatsächlich ankamen.

Dienstag, 14. Oktober 2008

Der Brandstifter in der Brüsseler Feuerwehr

Beim heute beginnenden EU-Gipfeltreffen in Brüssel sollte es ursprünglich vor allem um die Klimaschutzpolitik der Europäischen Union gehen. Doch nun werden sich die Staats- und Regierungschefs fast ausschließlich mit der Finanz- und Wirtschaftskrise zu befassen haben.

Die in den vergangenen Tagen von zahlreichen EU-Mitgliedsstaaten beschlossenen Rettungspakete für den Bankensektor haben für Aufwind an den Börsen gesorgt. Doch die jüngsten Wirtschaftsprognosen weisen weiter steil nach unten. Vor dem Hintergrund einer drohenden Rezession suchen die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel in Brüssel nun nach weiteren Rezepten. Und der Druck ist groß: Die Rufe nach einer noch weiter führenden Antwort auf die Finanzkrise werden lauter.

Allerdings gibt es einen grundsätzlichen Konflikt in der EU, der erst in der vergangenen Woche zum Streit zwischen Nicolas Sarkozy und Angela Merkel über einen EU-weiten Auffangfonds für Banken führte. Während der französische Ratspräsident Maßnahmen auch auf europäischer Ebene wünscht, will es die Bundeskanzlerin bei einer Koordinierung nationaler Programme belassen.

Die Regierungschefs haben sich im Vorfeld des Gipfels auf eine bessere Aufsicht der grenzüberschreitend tätigen Bankengruppen verständigt, doch ob es zu weitergehenden Maßnahmen kommen wird, ist eher zweifelhaft. Auch die vorgesehene Gründung eines EU-Gremiums zur Kontrolle von Banken birgt neuen Zündstoff: Ein Teil der Staaten will ein Instrument, das den stark vernetzten Märkten und den Krisen mit internationalem Ausmaß gerecht werden kann. Andere möchten dagegen den Einfluss der EU auf ein Minimum beschränken. Zudem will die EU-Kommission in den nächsten Wochen striktere Bilanzierungsregeln, schärfere Eigenkapitalrichtlinien und Vorschriften für Rating-Agenturen angehen. Auch in diesen Punkten ist Ärger programmiert.

Einer der Politiker, die sich in der Vergangenheit immer gegen strengere Kontrollen von Private-Equity- und Hedge-Fonds ausgesprochen hatten und unbeirrt auf die Selbstregulierungskräfte des Marktes setzten, ist ausgerechnet Charlie McCreevy. Der Ire hat als EU-Binnenmarktkommissar eine wirtschaftspolitische Schlüsselposition in Brüssel inne. Die Stimmen werden immer lauter, die Kommissionspräsident José Manuel Barroso dazu auffordern, McCreevy auf einen anderen Posten zu beordern, wo er weniger Schaden anrichten kann. Mit seiner Benennung in die vor wenigen Tagen geschaffene »Lenkungsgruppe« zur Finanzkrise habe Barroso »den Bock zum Gärtner« gemacht, schimpft etwa die grüne Europaabgeordnete Heide Rühle. Der Ire sei mit verantwortlich dafür, »dass wir auf europäischer Ebene bis heute keine funktionierende Finanzmarktaufsicht haben«.

Die Luft wird dünn für McCreevy und es ist durchaus möglich, dass sich Barroso – spätestens nach dem Gipfel – dem Druck beugen wird. »Der Mann ist in diesem Ressort nicht mehr zu halten«, erklärte der Fraktionschef der europäischen Sozialdemokraten, Martin Schulz. Man dürfe nicht jene, die das Feuer legten, anschließend in die Feuerwehr berufen.

Donnerstag, 9. Oktober 2008

Leipzig in EU-Wohlfühlspitze dabei

Das statistischen Amt der EU, Eurostat, untersuchte die Lebensqualität in 321 europäischen Städten. Besonders wohl fühlen sich der Umfrage zufolge die Leipziger.

Über 420 000 Datensätze zu den Themenbereichen Alterung der Bevölkerung, Migration, Wohnen und Umwelt haben die europäischen Statistiker zusammengetragen, um ein halbwegs zutreffendes Bild von der Lebensqualität in den Städten zu erhalten. Solide Informationen wären der Ausgangspunkt für eine gute Politik, sagte die zuständige EU-Kommissarin Danuta Hübner. Sie wären ein wichtiges Instrument im Rahmen der Kohäsionspolitik und der Strategie für Wachstum und Beschäftigung und könnten helfen, Maßnahmen und Investitionen besser am Bedarf auszurichten.

Als eine der Erkenntnisse verkaufte Hübner die Tatsache, dass in vielen Städten, vor allem in Zentral- und Osteuropa, die Bevölkerung abnehme. So sei in Rumänien in 13 der 14 betrachteten Städte die Einwohnerzahl im Vergleich zum Landesdurchschnitt, der selbst im Zeitraum 1996 bis 2004 gesunken sei, rückläufig. Dies lässt sich mit der Abwanderung ins Ausland und dem Umzug aus den Innenstädten in die Vororte erklären, sagte Hübner.

Das Städteaudit mache aber auch deutlich, dass anderswo die Einwohnerzahlen in den letzten Jahren beträchtlich gestiegen seien, vor allem in Palma de Mallorca (Spanien), Galway (Irland), Kalamata (Griechenland) und Oulu (Finnland). Eine Erklärung hierfür sei die Zuwanderung aus anderen Mitgliedstaaten und aus Ländern außerhalb der Union, meinte die Kommissarin.

Die Muster der städtischen Bevölkerungsentwicklung in Westeuropa werden in dem EU-Bericht als »komplex und vielfältig« beschrieben. Zumeist überschneiden sich Bevölkerungswachstum, Stagnation und Rückgang innerhalb des nationalen städtischen Systems. So sei in den Niederlanden die Entwicklung positiv einzuschätzen, während in Belgien »städtische Gebiete sowohl Wachstum als auch Stagnation zu verzeichnen hatten«. Ein ähnliches gemischtes Bild zeichnete Hübner für Frankreich und Deutschland: Vor allem städtische Zentren in der ehemaligen DDR büßten oft einen erheblichen Bevölkerungsteil ein.

Die Unterschiede in der Arbeitslosenquote sind zwischen den einzelnen Vierteln einer Stadt oft größer als zwischen den Städten und Regionen in der Union selbst, heißt es in dem Papier. Hübner nannte als Beispiel die Städte Hamburg, Athen und Bratislava, wo die Arbeitslosenquote in bestimmten Stadtteilen besonders hoch sei. Als Maßnahme auf europäischer Ebene versuche die Kommission, eine »Gettoisierung« zu verhindern. So werden in den Jahren von 2007 bis 2013 rund 6,3 Millionen Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) in die Sanierung des Hamburger Stadtteils Wilhelmsburg investiert.

Riesige Unterschiede offenbaren sich auch im Bereich Umwelt. Eine Erkenntnis ist beispielsweise, dass einige Städte – wie Dresden und Frankfurt am Main – ihren Müll zu fast 80 Prozent recyceln. Brüssel dagegen verbrennt mehr als 90 Prozent seiner Abfälle. Von 180 Städten, für die entsprechende Daten vorlagen, entsorgen 67 mehr als 80 Prozent ihres Mülls noch in Deponien. Die Kommission will diese Städte bei der Suche nach Lösungen unterstützen, kündigte Hübner an. Im Rahmen entsprechender Programme sollen von 2007 bis 2013 mehr als 6,2 Milliarden Euro in Projekte zur Entsorgung von Haus- und Industriemüll fließen.

Leipzig liegt übrigens in der Gunst seiner Menschen weit vorn: Eine Meinungsbefragung zur Lebensqualität in 75 europäischen Städten ergab, dass sich die Menschen in Leipzig nach Groningen (Niederlande) und Krakow (Polen) mit dem Leben in ihrer Stadt besonders zufrieden zeigen. Auf dem ersten Platz rangieren die Sachsen sogar bei der Frage, ob sich in ihrer Stadt leicht eine Wohnung zum vernünftigen Preis finden lasse. In der Erhebung zum besten öffentlichen Personennahverkehr rangieren nahezu alle deutschen Städte im Vorderfeld: Nach Helsinki, Wien und Rennes folgen Hamburg, München, Leipzig, Dortmund, Frankfurt an der Oder und Berlin.

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Russische Bank für 140 Euro verkauft

Die Nachrichten aus Moskau widersprechen sich: Einerseits bietet sich der Kreml als Retter in der Finanznot an, andererseits spielt auch die russische Börse verrückt. Selbst der Energieriese Gazprom bleibt nicht von den Turbulenzen verschont.

Mit politischen Paukenschlägen vermittelte der Kreml in den vergangenen Wochen der Weltöffentlichkeit den Eindruck, als funktioniere seine Finanzwirtschaft tadellos und nahezu abgenabelt vom arg gebeutelten Rest der Welt. Staatschef Dmitri Medwedew verkündete per Videoansprache über das Internet, Russland stehe nun bereit, die Krise auf dem internationalen Finanzmarkt aktiv zu bekämpfen. Es folgte Stunden später die Nachricht von einem angeblichen Milliardenkredit für die isländische Regierung, die kurz vor einem Finanzkollaps steht.

Spätestens seit Mittwoch gibt es ernsthafte Zweifel, ob Russland wirklich als ein Fels in der Brandung fungieren könnte. Die Moskauer Börse brach derart ein, dass sogar der Handel ausgesetzt werden musste. Der Moskauer Leitindex RTS, über Jahre ein Favorit unter den Börsen der Schwellenländer, verlor in den vergangenen sechs Monaten zwei Drittel seines Wertes. Auch die Folgen sind bereits deutlich sichtbar: Die Bauindustrie, die über Jahre sämtliche Rekorde in Europa brach, gerät angesichts ausbleibender Kredite ins Stocken. Und selbst der Energiegigant Gazprom, der noch im Juni von einem Marktwert von einer Billion Dollar (rund 750 Milliarden Euro) träumte, lag zuletzt nur noch bei 130 Milliarden Dollar.

Schwächelt der Riese Gazprom tatsächlich? Die Verantwortlichen bemühen sich jedenfalls, solche Befürchtungen zu zerstreuen. Sie sind sich bewusst darüber, dass der eigene Krebsgang einen Synergieeffekt auslösen könnte. Die Aktie von Gazprom hat in Russland eine Vorbildwirkung und fungiert als Seismograph für die gesamte Wirtschaft: Geht es es dem Energiekonzern gut, dann kann auch von einer halbwegs funktionierenden Gesamtwirtschaft ausgegangen werden.

Die führende russische Wirtschaftszeitung Kommersant («Geschäftsmann») berichtet in ihrer aktuellen Ausgabe nun davon, dass die russischen Erdöl- und Gaskonzerne, darunter auch Gazprom, Lukoil, Rosneft und TNK-BP, erstmals zugegeben hätten, in finanziellen Schwierigkeiten zu stecken. Sie besitzen zu wenig liquide Mittel, um ihre Kredite bei den westlichen Banken zu bedienen. Diese Darlehen aber sind notwendig, um die Produktion aufrecht zu erhalten und die Senkung der Fördermengen abzuwenden.

Bereits Ende September hatten sich die vier russischen Energiekonzerne (sie alle fördern 70 Prozent des russischen Erdöls und 91 Prozent des Gases) in einem Bittschreiben an den Staat gewendet, schreibt die Zeitung. In diesem Brief soll unter anderem stehen, dass die russische Energiebranche bei den westlichen Banken insgesamt mit 80 Milliarden US-Dollar in der Kreide steht. Man benötige das Geld nicht nur, um die Gläubiger auszahlen zu können, hieß es.

Die Tatsache, dass ausgerechnet Gazprom auf der Liste der Bittsteller zu finden ist, löst in der russischen Wirtschaft nun einige Unruhe aus. Noch Ende September hatte Gazprom-Chef Alexej Miller öffentlich geäußert, dass der Gasmonopolist von der weltweiten Finanzkrise nicht betroffen sei. Nun will der Kommersant aber aus der Chefetage erfahren haben, der Konzern wolle das Geld, um sich «für den Fall des Falles» abzusichern: «Es sei in einer Krisenzeit für die Aktionäre wichtig zu wissen, dass man nötigenfalls auf eine Notfinanzierung zurückgreifen kann, wird ein Gazprom-Sprecher zitiert. Von einem Liquiditätsengpass wollte der Informant indes nichts wissen.

Den russischen Banken geht es nicht viel anders, sie halten sich bereits seit Monaten mit Kreditvergaben an Investoren zurück. «Die meisten internationalen Investoren haben Russland von ihren Listen gestrichen», meint Jewgeni Retjunski von der Expobank, einer Tochter der britischen Barclays Bank. Die meisten russischen Banken drehten jeden Cent zwei Mal um, bevor sie ein Darlehen gewährten.

Russland als Retter in der Not? Zweifel sind angebracht. Die russische Regierung kündigte heute an, 450 Milliarden Rubel (etwa 12,6 Milliarden Euro) aus dem nationalen Reservefonds nehmen zu wollen, um die heimischen Banken zu unterstützen. Die Gelder sollen zuerst bei der Vnesheconombank geparkt werden, die dann diese Kredite an «notleidende» Banken weiterreicht.

Eben diese Vnesheconombank übernahm dieser Tage die Mehrheitsbeteiligung (98 Prozent) der – offiziell – ersten russischen Bank namens Svyaz, die vor dem Abgrund stand. Der Kaufpreis symbolisiert zugleich die Besonderheiten dieses einzigartigen Marktes: Svyaz ging für schlappe 5000 Rubel, das sind umgerechnet gerade einmal 140 Euro, über den Tisch. Das Kartellamt hatte den Deal gebilligt und die Zentralbank ihre Zustimmung signalisiert.

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