Freitag, 20. April 2007

Türkei will bis 2013 fit für die EU sein


Die EU-Aufnahmeverhandlungen mit der Türkei treten auf der Stelle. Jetzt kündigte Ankara weitere Reformen an. Bislang fanden Veränderungen aber vor allem auf dem Papier statt.

Dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan (Foto: EU-Kommission) sind derzeit alle Mittel recht, um das Ansehen seines Landes im Hinblick auf einen EU-Beitritt zu heben. Zur Eröffnung der Hannover Messe präsentierte er die Türkei am Montag als blühenden Wirtschaftsstandort. Nur einen Tag später offerierte Ankara ein Reformprogramm, mit dem die Tore zur Union, möglichst bis 2013, endgültig aufgeschlossen werden sollen.

Die Bilanz, die Erdogan in Hannover aufmachte, ist auf den ersten Blick tatsächlich beeindruckend: Sein Land stellt sich als starker Partner vor und die dort gezeigten Produkte widerlegen das Vorurteil, aus der Türkei komme vor allem Massenware von zweifelhafter Qualität. Selbst die deutsche Kanzlerin Angela Merkel musste ihrem Gast bescheinigen, dass dieser auch einen großen Schritt zur Sanierung der türkischen Staatsfinanzen gemacht habe. Ankara erfülle bereits einen Teil der Maastricht-Kriterien.

Kaum war die Werbebotschaft von Erdogan verklungen, verkündeten Außenminister Abdullah Gül und der EU-Verhandlungsführer und Wirtschaftsminister Ali Babacan ein Reformprogramm, mit dem sich die Türkei für die angestrebte EU-Mitgliedschaft fit machen will. Allein in diesem und im kommenden Jahr sollen auf dessen Grundlage rund 200 Gesetzesänderungen beschlossen werden, mit denen sich Ankara »vom Druck aus Brüssel befreien« möchte, wie Gül erklärte. Erdogan untersetzte die klare zeitliche Vorgabe mit der Forderung, die Deutschen mögen dem Land mehr Unterstützung geben.

Gerade diese Forderung trug in den vergangenen Tagen kaum dazu bei, die ohnehin starken Spannungen zur Brüsseler EU-Kommission und zum Europäischen Parlament abzubauen. Die Kommission wolle an der Entscheidung festhalten, die Beitrittsgespräche mit Ankara wegen des Zypern-Konflikts – die Türkei hatte sich geweigert, ihre Luft- und Seehäfen für Flugzeuge und Schiffe der Republik Zypern zu öffnen – teilweise auf Eis zu legen, hieß es. Das EU-Parlament hat indes eine stärkere Berücksichtigung des Themas Frauenrechte in den Verhandlungen gefordert.

Merkel hatte nach einem Gespräch mit Erdogan deutlich gemacht, dass sie trotz des derzeitigen Gesprächsstopps in diesem Jahr noch Fortschritte in den Beitrittsverhandlungen für möglich hält. Während der bis Ende Juni laufenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft könnten noch zwei weitere Kapitel eröffnet werden. Auf die Forderung des türkischen Staatschefs nach mehr Hilfe aus Deutschland ging sie indes nicht ein.

Samstag, 14. April 2007

Kennzeichnung statt Verbot


Das Brüsseler Europaparlament hat sich darauf verständigt, dass gesundheitsgefährdende Stoffe auch weiterhin in Medizinprodukten Verwendung finden dürfen. Sie müssen lediglich gekennzeichnet sein.

Die grüne Europaabgeordnete Hiltrud Breyer war nach der jüngsten Plenardebatte über die neue Medizinprodukterichtlinie verärgert. Es sei ein »Armutszeugnis«, dass aufgrund der Blockade der EU-Mitgliedstaaten krebserregende, mutagene und fortpflanzungsschädigende Stoffe (CMR-Stoffe) weiter verwendet werden dürfen, selbst wenn sichere Alternativen vorhanden sind. Mit der Einigung in erster Lesung sei »der große Wurf für ein Verbot hochgefährlicher Stoffe in Medizinprodukten ausgeblieben«, schimpfte Breyer.

Laut Parlament sollen medizinische Produkte spätestens ab dem Jahr 2012 keine toxischen Weichmacher mehr enthalten dürfen. Bis dahin wird der Industrie aber lediglich eine Kennzeichnungspflicht vorgegeben. Für die Produzenten verbindet sich mit dieser Schonfrist vor allem der Vorteil, etwas Zeit gewonnen zu haben, um krebserregende oder fortpflanzungsschädigende Stoffe nach und nach durch weniger toxische Alternativen zu ersetzen. Allerdings ermögliche sie dem medizinischen Personal nunmehr, ganz bewusst Produkte ohne Weich-PVC einzusetzen, was auch durch die Verbraucher aktiv eingefordert werden könne.

Breyer zufolge würden die Produzenten stärker in die Pflicht genommen werden. Sie müssten begründen, warum Medizinprodukte mit Weich-PVC bei Kindern und Schwangeren verwendet werden dürften. Klare Begrenzungen für die Verwendung riskanter Weich-PVC in Beatmungsschläuchen, Magensonden und Infusionsgeräten seien »längst überfällig«. Diese enthielten nämlich hohe Konzentrationen des fortpflanzungsschädigenden Weichmachers DEHP, der vor allem für Babys, Kinder und Dialysepatienten gefährlich ist. Allein aus Schläuchen nehmen Frühgeborene eine bis zu 200fach erhöhte DEHP-Dosis auf, argumentiert die Abgeordnete und schlussfolgert: »Diese gefährlichen Weich-PVC gehören nicht in Produkte, mit denen wir in Kontakt kommen.«

Breyer ist überzeugt, dass die Richtlinie höchstens eine »Übergangslösung« sei und nachgebessert werden müsse. Selbst die EU-Kommssion habe vor wenigen Tagen auf der Grundlage einer bereits seit 2001 vorliegenden Risikobewertung empfohlen, die Verwendung von DEHP in Medizinprodukten für bestimmte Risikogruppen ganz zu verbieten. Nun wurde die Kommission durch das Parlament aufgefordert, bis Ende des Jahres einen diesbezüglichen Gesetzesvorschlag vorzulegen.

Die neuen Vorschriften müssen zwölf Monate nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU angewendet werden. Die Definition eines Medizinproduktes schließt laut der geänderten Richtlinie nun auch die »vom Hersteller speziell zur Anwendung für diagnostische und/oder therapeutische Zwecke bestimmten und für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinprodukts eingesetzte Software« ein. Außerdem werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, Mängel eines Gerätes, die zum Tod, einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes eines Patienten oder zu einer Rückrufaktion geführt haben, zentral zu erfassen und zu bewerten.


Der europäische Medizinprodukte-Markt ist nach dem der USA der zweitgrößte in der Welt. Mit einem geschätzten Umsatz von 55 Milliarden Euro steht er für 30 Prozent des globalen Verkaufs. In dem Sektor arbeitet etwa eine halbe Million Menschen.

Freitag, 13. April 2007

Fußballkarten und Aufsichtsratsposten


Die EU-Parlamentarier sind angehalten, ihre finanziellen Interessen jährlich aufzuschlüsseln und auf der Parlaments-Website zu veröffentlichen. Einige deutsche Abgeordnete nehmen es damit offensichtlich nicht so genau. Andere füllen die Fragebögen nicht aus oder verzögern die Abgabe.

Der wohl prominentestete »Verzögerer« ist der grüne EU-Abgeordnete Cem Özdemir. Der 41-jährige Sozialpädagoge ist Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten und hat mit den Forderungen nach mehr Transparenz schon seine eigenen bitteren Erfahrungen machen müssen. Vor fünf Jahren stolperte Özdemir nämlich über die sogenannte Hunziger-Affäre. Der PR-Profi soll dem damaligen Bundestagsabgeordneten Özdemir ein Darlehen über 80 000 Mark gewährt und den beliebten Politiker für die Teilnahme an Veranstaltungen bezahlt haben. Özdemir musste sein Mandat niederlegen – und ging nach Brüssel.

Özdemir ist durchaus bekannt, dass es auch dort eine Offenlegungspflicht gibt. Inzwischen ist seine »Erklärung der finanziellen Interessen« veröffentlicht. Unverständlich bleibt aber, warum der diesbezüglich gezeichnete grüne Abgeordnete sich zur Abgabe des Formulars regelrecht tragen lassen musste und damit sein politisches Ansehen aufs Spiel setzt.
Nach wie vor gehört dem Klub der Säumigen die 60-jährige Christdemokratin Godelieve Quisthoudt-Rowohl an, die als stellvertretende Vorsitzende des Handelsausschusses tätig ist. Auch ihre Fraktionskollegen Kurt Joachim Lauk und Karsten Friedrich Hoppenstedt haben bislang das Dokument nicht öffentlich gemacht.

Allerdings geben auch einige Auskünfte von Parlamentariern Rätsel auf. So ist auf dem Formular des christdemokratischen Schwergewichts Elmar Brok zu lesen, dass er »nebenberuflich« als Senior Vicepresident Media Development der Bertelsmann AG tätig ist. Eigenartigerweise will Brok, der von 1999 bis Januar dieses Jahres den Vorsitz des außenpolitischen Ausschusses innehatte, keinen Cent bei Bertelsmann für sein Engagement erhalten haben. Auch die Vorwürfe eines möglichen parlamentarischen Interessenkonflikts kontert Brok schon mehr als zwölf Jahre lang kontinuierlich: Er enthalte sich bei Abstimmungen zu Gesetzesvorlagen, die die Medienindustrie betreffen, seiner Stimme.
Kaum Zeit für seinen Job im Parlament scheint der Unternehmer Vural Öger (SPD) zu haben, der gleich mehrere hochdotierte Posten in den eigenen Touristikunternehmen angibt, die er gegen Entgelt bekleidet. Dagegen könnte die Auskunft des Abgeordneten Alexander Radwan (CSU), er habe im vergangenen Jahr als materielle Zuwendung im Rahmen seiner politischen Tätigkeit eine Einrittskarte zur Fußball-WM durch den FC Bayern München erhalten, geradezu Ögers Mitleid erregen.

Der 34-jährige Andreas Schwab (CDU) ist nebenher immer noch als Rechtsanwalt tätig, sein Fraktionskollege Thomas Ulmer gab an, als Allgemeinarzt zu arbeiten und nebenbei auch als Vize-Aufsichtsrat der Volksbank eG in Mosbach. Für beide Positionen will Ulmer kein Entgelt bekommen haben. Auch Karl von Wogau (CDU) gibt an, in der Sozietät des Grafen von Westphalen in Freiburg zu schaffen, allerdings auch ohne Bezahlung. Dagegen erzielt der CSU-Abgeordnete Alfred Dess in der Genossenschaft Bauernland in Nürnberg für seine Vorstandsarbeit nach eigener Auskunft zusätzliche Einnahmen.

Über den Wert von derlei Auskünften gibt es unterschiedliche Auffassungen. Ein Mitarbeiter der Verwaltung des EU-Parlaments zweifelt an, dass man auf die ausgefüllten Bögen überhaupt einen Pfifferling geben kann. Wer etwas zu verbergen habe, der werde sich mit einem solchen Papier kaum selber an den Pranger stellen, sagte er gegenüber ND. Außerdem besäßen die Fragebögen ohnehin keinen juristischen Wert: Kaum ein Abgeordneter habe seine eigenen Angaben mit seiner Unterschrift quittiert.

Zitiert:
Laut Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments (Anlage 1, Artikel 2) muss ein Register geführt werden, »in dem jedes Mitglied persönlich und genau folgendes angibt:
a) seine beruflichen Tätigkeiten sowie alle sonstigen gegen Entgelt ausgeübten Funktionen oder Tätigkeiten,

b) jegliche finanzielle, personelle oder materielle Unterstützung, die dem Mitglied zusätzlich zu den vom Parlament bereitgestellten Mitteln im Rahmen seiner politischen Tätigkeit von Dritten gewährt wird, wobei die Identität dieser Dritten anzugeben ist.
Die Mitglieder versagen sich bei der Ausübung ihres Mandats die Annahme aller anderen Geschenke oder Zuwendungen.

Die Erklärungen (...) müssen jährlich auf den neuesten Stand gebracht werden.«(ND)