Freitag, 11. April 2008

Ein Akt auf dem Drahtseil

Die Zahl terroristischer Anschläge hat sich laut europäischer Polizeibehörde Europol im vergangenen Jahr deutlich erhöht. Demnach gab es in den EU-Staaten 583 Anschläge. Insgesamt 1044 Personen seien verhaftet worden, sagte Europol-Direktor Max-Peter Ratzel, der auf einem Forum zum Thema Terrorismusbekämpfung im EU-Parlament am Montag den Jahresbericht seiner Behörde vorstellte.

Den von Ratzel vorgelegten Daten zufolge wäre die Zahl der Anschläge im Vergleich zum Jahre 2006 um 24 Prozent und die der Festnahmen um immerhin 48 Prozent gestiegen. Der Großteil der Anschläge sei auf Aktivitäten baskischer und korsischer Separatisten in Spanien und Frankreich zurückzuführen, dagegen wurde mit nur vier Anschlägen ein Rückgang der Taten mit islamistischem Hintergrund registriert. Ebenfalls rückgängig waren 2007 die Aktionen von Linksextremisten. 21 registrierte Vorfälle richteten ausschließlich materielle Schäden an. Von deutschen Behörden wurden laut Europol im vergangenen Jahr 20 Anschläge vereitelt, 15 Verdächtige seien festgenommen worden. Frankreich führt die Statistik mit 409 Festnahmen an, gefolgt von Spanien (261) und Großbritannien (203).

Ratzel erklärte, die Attentate islamistischer Extremisten stellten vor allem ein großes Problem für die EU dar, weil die Aktionen darauf abzielten, möglichst große menschliche Verluste herbeizuführen. Darauf deuteten auch die im Internet verfügbaren Anleitungen für den Bombenbau hin. Im September 2007 waren zwei Deutsche und ein Türke unter dem Verdacht festgenommen worden, mehrere Anschläge, unter anderem auf eine US-Basis, geplant zu haben. Die Sprengkraft der dazu hergestellten Bomben war enorm. Sie hätten mehr Zerstörungskraft gehabt als jene Sprengsätze, mit denen in Madrid 191 Menschen getötet wurden. Ratzel erklärte, dass sich die Kommandostrukturen der islamistischen Terroristen in EU-Staaten als auch in Pakistan befänden.

Der Präsident der Unterkommission des Europarats zum Kampf gegen den Terrorismus, Dick Marty, übte während der Ausschussberatung in Brüssel heftige Kritik an den von der EU-Kommission geplanten neuen Antiterror-Bestimmungen. Diese berücksichtigten nur sehr ungenügend die fundamentalen Menschenrechte und stellten sogar die kürzlich angenommene Konvention des Europarates in Frage. Er forderte die EU-Mitgliedstaaten im Falle der Durchsetzung des Maßnahmekatalogs auf, sich an die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu halten.

Die als Berichterstatterin des Europäischen Parlaments zu den Beschlussvorschlägen eingesetzte französische Sozialdemokratin Rosalyne Lefrancois räumte ein, dass der von der Kommission eingebrachte Entwurf des Rahmenbeschlusses, der einerseits die Bekämpfung des Terrorismus zum Ziel habe, andererseits die Einhaltung der Menschenrechte garantieren soll, einen »Akt auf dem Drahtseil« darstelle. Es gehe darum, Freiheit und Sicherheit gegenseitig aufzuwiegen, sagte sie. Durch die neue Bestimmung würden künftig nicht nur Vergehen geahndet, sondern es werde bereits gegen Aufrufe zu terroristischen Taten vorgegangen. In dem Rahmenbeschluss aus dem Jahr 2003 war laut der damals ausgehandelten Terrorismus-Definition ausschließlich die Verfolgung von Straftaten benannt, die mit einem besonderen Vorsatz ausgeführt werden.

Das Stichwort: Rahmenbeschluss

Mit der vorgeschlagenen Änderung des EU-Rahmenbeschlusses des Rates vom Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung sollen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Bekämpfung des Terrorismus weiter angeglichen werden. Als terroristische Straftaten sollen künftig ausdrücklich auch die öffentliche Aufforderung zur Begehung eines Terroraktes, die Anwerbung für entsprechende Taten, die Ausbildung für terroristische Zwecke, schwerer Diebstahl mit dem Ziel, Materialien für einen Terrorakt zu erlangen und die Ausstellung gefälschter Verwaltungsdokumente gelten.

Millionen für den »Plan D«

Die zuständige EU-Kommissarin Margot Wallström hat dieser Tage eine positive Bilanz der vor knapp zwei Jahren gestarteten Offensive für einen verstärkten Dialog mit den Bürgern, genannt »Plan D«, gezogen.

Wallström kündigte an, dass die EU-Kommission vor der Europawahl im Juni 2009 noch rund sieben Millionen Euro für Informationsveranstaltungen in den 27 EU-Staaten ausgeben will. Im Rahmen der »Debate Europe« soll eine Reihe zivilgesellschaftlicher Projekte kofinanziert werden. So will die Kommission u.a. Aktionen auf Länderebene fördern, um die Bürger in die Lage zu versetzen, ihre Ansichten mit »Politikgestaltern« auf lokaler Ebene zu diskutieren. Ziel der Projekte sei es, die Bürger besser zu erreichen und die Trennung zwischen europäischer und nationaler Politik zu beseitigen. »Wir möchten dem Eindruck entgegenwirken, dass EU-Fragen zu abstrakt und zu sehr von der öffentlichen Debatte in den Mitgliedstaaten losgelöst sind, um für die Bürger interessant zu sein«, begründete Wallström. Der »Plan D« war im Jahr 2005 als Reaktion auf die Ablehnung des EU-Verfassungsentwurfs bei Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden ins Leben gerufen worden.

Nach Ansicht von Wallström müssten die Politiker dafür sorgen, dass die EU-Politik von den Bürgern verstanden wird und dass die EU-Organe gegenüber denjenigen, für die sie da sind, Rechenschaft ablegen. Nur wenn miteinander diskutiert werde, könnten nachhaltige politische Resultate erzielt werden. Die Menschen würden die europäische Idee nur unterstützen, wenn sie aktiv in die Gestaltung des europäischen Projekts einbezogen werden.

Gerade das ist auch für die politische Linke der springende Punkt, nicht zuletzt in der kritischen Auseinandersetzung mit dem Lissabonner Reformvertrag. Er sei de facto nichts weiter als der abgelehnte EU-Verfassungsvertrag. Mit der Einigung der Staats- und Regierungschefs auf den EU-Reformvertrags finde ein »Betrugsmanöver erster Ordnung seinen vorläufigen Abschluss«, meint etwa der Europaabgeordnete Tobias Pflüger (GUE/NGL). Pflüger kritisiert die mangelhafte Einbeziehung der Bürger in den Diskussions- und Abstimmungsprozess. Der neue EU-Vertrag sollte in jedem Mitgliedsstaat in Referenden zur Abstimmung gestellt werden, fordert Pflüger. Die klare Kursnahme auf Militarisierung, auf Überwachung und Abschottung gegenüber den Menschen aus anderen Ländern, auf fortgesetzte neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik und das Festhalten an entscheidenden demokratischen Defiziten zwinge die Linke zur Ablehnung des Reformwerkes, begründete seine parlamentarische Kollegin Gabriele Zimmer.

Freitag, 4. April 2008

Nokianer zweifeln an Hilfezusage

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso verbindet das Schicksal des Bochumer Nokia-Werks mit einer eher eigennützigen werbewirksamen Offensive, mit der er sich für eine Wiederwahl empfehlen will. Der portugiesische EU-Kommissar sicherte den Mitarbeitern die Hilfe der EU zu und bot der Bundesregierung an, sie möge doch Mittel aus dem Globalisierungsfonds beantragen, mit denen beispielsweise Umschulungsmaßnahmen finanziert werden könnten. Doch die Sache hat gleich mehrere Haken.

Eigentlich soll der von Barroso entwickelte und vor einem Jahr beschlossene Globalisierungsfonds den vom Strukturwandel und der Globalisierung direkt Betroffenen durch Umschulungsmaßnahmen und aktive Arbeitsmarkteingliederung oder bei Unternehmensgründungen helfen. Er will nach dem Willen der Kommission Unterstützung in jenen Fällen anbieten, in denen mehr als 1000 Arbeitnehmer von einer Werksschließung oder Verlagerung betroffen sind. Voraussetzung ist eine Teilfinanzierung des Maßnahmenpakets durch den betroffenen Mitgliedsstaat. Als das Thema vor einigen Wochen im EU-Parlament zum Teil heftig kritisiert wurde, da lobte ihn der portugiesische Landsmann und Abgeordnete José Silva Peneda von der konservativen EVP überschwänglich. Mit dem Fonds sei nun die »Antwort auf die Globalisierung« gefunden worden.

Selbst prominente Parteigänger Penedas hielten sich bei einer solchen Beurteilung des Globalisierungsfonds sichtbar zurück, zumal nun nach über einem Jahr diagnostiziert werden musste, dass er praktisch kaum genutzt wird. Der deutsche EVP-Abgeordnete Thomas Mann (CDU) räumte ein, dass das neue Lieblingskind Barrosos mit »heißer Nadel« gestrickt worden sei und deshalb einige Schwächen habe. Mann hegt etwa Zweifel an den Kriterien der Vergabe, und er sieht sich damit in einer Reihe kritischer Wirtschaftsexperten, die den praktischen Nutzen in Frage stellen und allenfalls von einer obligaten Solidaritätsbekundung der EU-Kommission gegenüber den Betroffenen sprechen.

Genau das ist auch der springende Punkt im Fall des Bochumer Nokia-Werkes. Barroso macht den Beschäftigten Hoffnung und fordert die Bundesregierung zu einem Schritt auf, der eigentlich klar im Widerspruch zu den Kriterien zur Nutzung des Fonds steht: Nokia verlagert die Arbeitsplätze bekanntermaßen nach Rumänien, also in einen EU-Mitgliedstaat. Der Fall schließt aber die Vergabe von Mitteln aus dem Fonds in einem solchen Fall aus.

Und noch eine Tatsache lässt den von Barroso ins Gespräch gebrachten Fonds eher als Muster ohne Wert erscheinen: Der Globalisierungsfonds speist seine öffentlich benannten 500 Millionen Euro keinesfalls durch eine eigene Mittelzuweisung, die eine halbwegs unbürokratische Auszahlung sichern würde. Wird einem Antrag stattgegeben, dann verfügt die für den Haushalt zuständige Behörde den Betrag aus einem der Töpfe des Europäischen Sozialfonds – vorausgesetzt, dort sind Mittel übriggeblieben. Experten bezweifeln die Rechtmäßigkeit dieser aufwändigen Fonds-Konstruktion, und Betroffene kritisieren ein neues aufgeblähtes Bollwerk der Brüsseler Bürokratie, das überwunden werden muss. Das Prozedere führt dazu, dass die Mittel frühestens ein halbes Jahr später ausgereicht werden können. Gerade in Fällen, wo schnelle Hilfe vonnöten ist, ist das ein unhaltbarer Zustand.

Klimaschutz: Ungenügend

Der nichtständige Ausschuss Klimawandel des Europäischen Parlaments hat am Dienstag die ungenügenden Anstrengungen der EU-Mitgliedstaaten zum Klimaschutz gerügt.

In einem Zwischenbericht des EU-Abgeordneten Karl-Heinz Florenz (CDU) werden die vorliegenden Studien des Internationalen Wissenschaftsrats zum Klimawandel (IPCC) als Grundlage anerkannt. Florenz zeigte sich gegenüber ND sicher, dass der Bericht auch in der Parlamentsdebatte im Mai eine »parteiübergreifende Zustimmung« erhalten wird. Dies lege das Abstimmungsergebnis im Ausschuss von 36 zu 4 Stimmen nahe.

Die wesentlichen Ergebnisse der von Experten zum Teil heftig diskutierten IPCC-Studie bestehen in der Erkenntnis, dass mit großer Wahrscheinlichkeit die vom Menschen verursachten Treibhausgase für den größten Teil der beobachteten Klimaänderung verantwortlich sind. Der Report macht außerdem deutlich, dass sehr konsequent gehandelt werden muss, damit die Erderwärmung nicht stärker als zwei Grad gegenüber vorindustriellen Werten ansteigt. Der IPCC stellt in seinen Berichten im Auftrag der Vereinten Nationen die wissenschaftlichen Grundlagen der Klimaänderung fest. An den jüngsten Studien wirkten hunderte Wissenschaftler mit, darunter 58 Forscher aus Deutschland.

Allerdings gab es auch Kritik an der IPCC-Analyse. Vor allem bemängelten Experten deren verzögerte Veröffentlichung. Das in vier Teilen präsentierte Papier sei in zahlreichen Punkten längst schon wieder überholt, heißt es. Daher sei zu befürchten, dass die im Weltklima-Bericht genannten Fakten nicht mehr zutreffen und damit das Problem letztlich noch ernster sei, als im Bericht geschildert.

Für Karl-Heinz Florenz stellt indes der Klimawandel nicht nur ein globales Umweltproblem dar, sondern vor allem ein Ressourcenproblem. »Schon heute wird in vielen Regionen der Erde das Wasser knapp, und große Küstenabschnitte sind überschwemmungsgefährdet.« Besonders in politisch instabilen Regionen sieht der Umweltpolitiker ein steigendes Potenzial für Konflikte um Wasser, Nahrungsmittel und Lebensraum: »Konflikte um Ressourcen und große Flüchtlingsbewegungen, ausgelöst durch Überschwemmungen, die Ausbreitung von Wüsten oder das Ausbleiben von Regen werden die EU in der nahen Zukunft vor große Herausforderungen stellen.«

Deshalb befasste sich auch der Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments in dieser Woche mit dem Bericht. Auch der Vorsitzende des Unterausschusses, Karl von Wogau (CDU), verwies auf die möglichen Konsequenzen des Temperaturanstiegs für die internationale Ordnung. So zeige der Konflikt in Tschad, wie steigende Temperaturen die Ausbreitung der Wüste und den Verlust von Ackerland beschleunigen und dadurch ethnische wie politische Konflikte sowie humanitäre Katastrophen und militärische Auseinandersetzungen verschärfen können.

Florenz fordert die Staats- und Regierungschefs auf, die EU-Klimapolitik um eine umfassende »Umweltaußenpolitik« zu erweitern: »Nicht nur Maßnahmen zur Milderung des Klimawandels, sondern gerade die Anpassung an dessen Folgen müssen durch internationale Vereinbarungen und gegenseitige Hilfe erfolgen, ansonsten wird es uns schwer fallen, in ein paar Jahren mit den Folgen umzugehen.