Donnerstag, 29. Mai 2008

Zwerg im Cyber-Universum

Der Fall sorgte für weltweiten Wirbel: Nach der Verlegung eines russischen Kriegerdenkmals aus der Hauptstadt Tallinn waren im Mai vergangenen Jahres Server der estnischen Regierung sowie von Banken, Zeitungen und anderen Unternehmen angegriffen geworden. Die estnische Regierung hatte behauptet, dass der Ursprung der Angriffe auf die Rechner des Kreml zurückzuführen sei, und schaltete daraufhin die Europäische Union und die NATO ein. Eine Beteiligung Russlands an den Cyber-Attacken konnte allerdings nicht nachgewiesen werden.

Nun hatte ein Gericht in Estland einen Studenten russischer Abstammung wegen der Cyber-Attacke zu einer Geldstrafe von 1100 Euro verurteilt. Nach Ansicht der Richter war der 20-Jährige an den Angriffen auf die IT-Infrastruktur des baltischen Landes beteiligt, die dazu geführt hatten, dass ganz Estland zwischenzeitlich vom weltweiten Internet abgeschnitten war. Internationale Experten sind allerdings der Auffassung, dass einzelne Person die Kontrolle über mehrere große Botnetze kaum bekommen könnten.

„Die Attacken auf die Internetbackbones innerhalb der EU werden vermutlich drastisch ansteigen“, orakelte Andrea Pirotti, der Direktor der European Network and Information Security Agency (ENISA) am Dienstag in Brüssel und warnte sogar vor einem „digitalen 11.September“. Die jugendlichen Hacker von einst, die seinerzeit ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen wollten“, wären längst „von Kriminellen mit klarer Gewinnorientierung“ abgelöst worden, die ihre „Angriffe auf Infrastrukturen zu Erpressungszwecken“ nutzten.

ENISA-Chef Pirotti wirkte bei seinem Auftritt in Brüssel etwas ohnmächtig – und das nicht ohne Grund. „Wir hinken den Kriminellen immer einen Schritt hinterher“, beklagte er öffentlich und machte auf die begrenzten Möglichkeiten seiner „digitalen Feuerwehr“ aufmerksam. Mit einem jährlichen Budget von gerade acht Millionen Euro haben die 50 Experten um Pirotti nur einen Bruchteil der Summe zur Verfügung, die schätzungsweise die organisierte Kriminalität in das Cyber-Universum pumpt. „Wir kommen nicht um eine Aufstockung herum“, sagte Pirotti und erinnerte daran, dass sich die EU-Mitgliedsstaaten nach dem Vorfall in Estland dazu verständigt hatten, wenigstens ein Team in jedem Land zur Verfügung zu haben.

Im gewissen Sinn muss sich die ENISA nun auch noch gegenüber dem NATO-Bündnis durchsetzen und ihre Existenzberechtigung nachweisen, denn auf dem letzten NATO-Gipfel in Bukarest verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs eine Art Verteidigungskonzept für das Internet. Laut der Strategie für „Cyber-Defence“ soll das Bündnis jeden Mitgliedstaat unterstützen, der einen großangelegten Angriff auf seine Computernetzwerke abwehren muss.

Zum wichtigsten Instrument gegen Cyber-Attacken soll dabei die NATO Communications Services Agency (NCSA) ausgebaut werden, deren Chef der deutsche General Ulrich Wolf ist, der im belgischen Mons residiert und der mit seinem Stab das gesamte NATO-Netz unter Kontrolle hält. Ganz militärisch erklärte er kürzlich, dass für ihn Cyber-warfare ein Mittel sei, „das wie früher der Luftkrieg die gesamte Bevölkerung betrifft“. Dass die NATO selber über eine Cyber-Angriffsstrategie verfügt, davon wollen die Offiziere um Wolf indes nichts wissen. Man verfolge ausschließlich eine Verteidigungsstrategie.

Im Fall Estland hatte Wolfs NCSA bereits klar die Nase vor der EU-Sicherheitsagentur ENISA. Einige Angriffe hatten sich zu Computern in NATO-Staaten zurückverfolgen lassen, wären „aber möglicherweise von anderswo ferngesteuert“ worden, sagte ein NATO-Sprecher. Die sogenannten Botnets wurden von Hackern infiltriert und so manipuliert, dass sie ohne Wissen ihrer Besitzer in einen Angriff eingespannt werden könnten. Die Identifikation der IP-Adressen durch die NCSA unterstützte wenigstens bei der schnellen Behebung der technischen Probleme, aber zur Ermittlung der Täter hatte auch der NATO-Einsatz nicht geführt.

Montag, 26. Mai 2008

Pünktlich aufs Schafott

»Unsere Gewerkschaften hatten das Brüsseler Luftdrehkreuz frühzeitig abgeschrieben«, erklärt der frühere Betriebsrat Maurice Blanc. Zwischen den gewerkschaftlichen Interessenvertretern und der DHL sei vor vier Jahren ein Stillhalteabkommen geschlossen worden. Das ganze Prozedere sei fast lautlos über die Bühne gegangen. Kaum jemand habe von dem Sterben auf Raten etwas mitbekommen. »Wir sind an der Situation selber schuld«, sagt er. Weil die belgische Regierung ihre starre Haltung bezüglich des Nachtflugverbots in Brüssel nicht aufgab, habe sich der deutsche Postriese neu orientiert.

Die Haltung von Blanc spiegelt die der meisten seiner Kollegen wieder, denen in den vergangenen Monaten die Kündigungsschreiben der Tochter der Deutschen Post AG ins Haus flatterten. Sie sind nicht etwa darüber verärgert, dass die Post-Logistik von Belgien nach Deutschland verlagert wird, sondern vielmehr darüber, dass sie kampflos die fette Kröte schlucken mussten, die ihnen vorgesetzt wurde. »Die belgischen Gewerkschaften hatten der DHL seinerzeit den Erhalt der Jobs bis zum April dieses Jahres zugesichert«, berichtet Blanc. »Unsere Gewerkschaften hatten sich auf den Deal eingelassen, in dieser Zeit auf Streiks zu verzichten.« Besser habe das von der DHL nicht eingefädelt werden können, so Blanc verärgert. Das Abkommen habe die Beschäftigten nicht nur verpflichtet, das vorgegebene Produktionsvolumen keinesfalls zu unterschreiten, sondern auch, den Mund zu halten und auch noch auf jegliche Mittel eines Arbeitskampfes zu verzichten. »Sie müssen sich das vorstellen«, sagt Blanc: »Da wird in ihrem Beisein ihr Todesurteil ausgefertigt und sie verpflichten sich dann noch gratis, pünktlich zum Termin aufs Schafott zu steigen.«

Der einzige Köder, den die Vorstandszentrale der DHL und die Gewerkschaften damals ausgelegt hatten, waren die vagen Hinweise auf den Erhalt des belgischen Flughafens als regionales Drehkreuz. »Jeder der Mitarbeiter hatte natürlich gehofft, zu denen zu gehören, die dann vielleicht doch noch eine Beschäftigungszusage erhalten.« Zu diesem Zweck hatte auch die belgische Regierung mit Nebelkerzen geworfen, die »fahrlässig diagnostizierten«, dass sich die Flughafenjobs trotz der DHL-Standortverlagerungen in Brüssel-Zaventem nahezu verdoppeln werden, berichtet Maurice Blanc. Das sei natürlich »Blödsinn« gewesen, sagt er. Zwar seien am Airport tatsächlich einige Stellen mehr entstanden, doch dabei handelt es sich fast ausschließlich um Zeitarbeitsverträge, die miserabel bezahlt würden.

In den vergangenen vier Jahren sind auf diese Weise am Brüsseler Flughafen rund 1500 Arbeitsplätze bei der Paket- und Frachttochter der Deutschen Post und deren Flugbetriebstochter EAT weggefallen, bestätigt auf ND-Anfrage ein Sprecher der belgischen Gewerkschaft ACV-LBC. 2007 erhielten demnach 600 Angestellte und rund 700 Arbeiter den berüchtigten blauen Brief. Und auch der Sozialplan verspricht keine nennenswerte Entlastung für die Betroffenen, die wohl kaum eine realistische Chance auf eine neue Arbeit haben werden: Wer in einem festen Beschäftigungsverhältnis bei DHL in Brüssel-Zaventem stand, erhält pro Arbeitsjahr einen Monatslohn Abfindung. Den über 58jährigen wurde nach langem Streit inzwischen zugesichert, dass sie – entsprechend dem alten belgischen Generationsvertrag – nun doch in den Vorruhestand gehen könnten.

Freitag, 23. Mai 2008

Parlament fordert Kommission heraus

Konservative Abgeordnete unterlagen bei der Abstimmung über eine ausgeweitete Antidiskriminierungsrichtlinie im Europaparlament. Aber auch der EU-Kommission gehen die Forderungen nach einer umfassenden Gleichbehandlung zu weit.

Mit einer knappen Mehrheit forderten die Abgeordneten des Europaparlaments am Dienstag eine »umfassende Richtlinie« für die Bekämpfung jeglicher Art von Diskriminierung ein. 362 Abgeordnete stimmten dem zu, 262 lehnten ab. Die Europäische Kommission hatte zuvor angekündigt, im Juni zwar eine neue Vorgabe »zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung außerhalb des Beschäftigungsbereichs« vorzulegen, doch gegen den ausgeweiteten Forderungskatalog der Abgeordneten regt sich in Brüssel Widerstand.

In dem Parlamentsbericht wird verlangt, dass bei der rechtlichen Umsetzung bestehender Richtlinien aufgetretene Mängel beseitigt, effektive Sanktionen eingeführt und Opfer unterstützt werden. Die »umfassende Richtlinie« der EU-Kommission müsse jegliche Diskriminierung gemäß Artikel 13 des EG-Vertrags bekämpfen – also jede Demütigung aus Gründen des Geschlechts, der Abstammung, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung. Die Kommission wird aufgefordert, durch »Verstoß- und Nichteinhaltungsverfahren« weiterhin Druck auf die Mitgliedstaaten auszuüben, damit sie ihren rechtlichen Verpflichtungen zur Umsetzung dieser Richtlinien so rasch wie möglich vollständig nachkommen. Um Diskriminierung vorzubeugen, sollten Sanktionen im Falle von Verstößen gegen nationale Vorschriften »effektiv, verhältnismäßig und abschreckend« sein. Außerdem bemängelt das Papier, dass EU-Bürger nicht ausreichend über mögliche Rechtsmittel aufgeklärt würden, die sie in Fällen von Diskriminierung anwenden könnten. Außerdem sollen die Antidiskriminierungsvorschriften auf neue Bereiche wie »Bildung, Sozialschutz einschließlich Sozialversicherung, Wohnungswesen und Gesundheitsfürsorge« ausgeweitet werden.

Gerade letzteres sorgt in Wirtschaftsverbänden, aber auch in der EU-Kommission für Widerstand. EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla wollte zunächst lediglich mehr Schutzrechte für Behinderte. Die konservative EVP-Fraktion, die bei der Abstimmung in Straßburg mit ihrem Boykott scheiterte, bezeichnete das Abstimmungsergebnis als einen »Schnellschuss für eine Aufblähung der europäischen Gesetzgebung«.

Die Europaabgeordnete der Grünen Elisabeth Schroedter erinnerte daran, dass die CDU die Durchsetzung der Nichtdiskriminierung schon bei der deutschen Gesetzgebung zum Gleichbehandlungsgesetz nicht akzeptieren wollte. Die geplante Rahmenrichtlinie sei ihr nun ein »willkommener Anlass, dies noch einmal zum Ausdruck zu bringen«.

In einem weiteren Bericht forderten die Abgeordneten in Straßburg eine Überarbeitung der Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten. Die Abgeordneten setzen sich u.a. für eine spätere Verrentung auf freiwilliger Basis und angemessene Einkommen als Instrument zur Armutsbekämpfung ein. Zudem wird eine wirksame aktive Arbeitsmarktpolitik gefordert, die den Menschen dabei hilft, sich auf rasch ändernde Verhältnisse einzustellen, Phasen der Arbeitslosigkeit zu reduzieren und den Eintritt in ein neues Beschäftigungsverhältnis zu erleichtern.

Die Abgeordnete der LINKEN Gabi Zimmer kritisierte die Beschäftigungsstrategie der EU-Kommission grundsätzlich. Mit ihr werde »eine konkrete Verknüpfung mit Maßnahmen zur Hebung der Qualität der Arbeit, zur Stärkung des Normalarbeitsverhältnisses, zur Sicherung gerechter, ein Leben in Würde ermöglichender Einkommen, zur Stärkung des Sozialschutzes verweigert«. Dies habe mit Beschäftigungspolitik nichts zu tun, betonte Zimmer.

Schlechte Noten für Reformen

Die Türkei wird im »Fortschrittsbericht« des Europäischen Parlaments erneut heftig kritisiert. So werden in dem Papier die ungenügende Meinungs- und Religionsfreiheit sowie die Diskriminierung von Minderheiten und Frauen angeprangert. Das Parlament fordert die türkische Regierung auf, die Wirtschaftsblockade gegenüber Armenien zu beenden und die Grenze wieder zu öffnen.

In dem von der niederländischen konservativen Abgeordneten Ria Oomen-Ruijten (EVP) vorgelegten Bericht wird die türkische Regierung aufgefordert, ihre »Versprechen zu halten« und aus der Türkei eine »moderne und wohlhabende Demokratie zu machen, die sich auf einen säkularen Staat und eine pluralistische Gesellschaft gründet«. Die in der Beitrittspartnerschaft mit der EU festgelegten Prioritäten und Fristen müssten nun in »konkrete Reformpläne« umgewandelt werden. Weitere Verzögerungen würden das Tempo der vor drei Jahren begonnenen Aufnahmeverhandlungen »ernsthaft beeinträchtigen«.
Insgesamt nur sehr ungenügende Fortschritte bescheinigte das Parlament in Straßburg der Türkei bezüglich der Meinungs- und Religionsfreiheit. Die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen ermöglichten weiterhin eine willkürliche Beschränkung des Rechts auf friedliche Meinungsäußerung, die Zahl der verfolgten Menschen habe im vergangenen Jahr weiter zugenommen, heißt es. Die geplante Änderung von Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuches, der die Beleidigung des Türkentums unter Strafe stellt, betrachten die Abgeordneten »nur als einen ersten Schritt hin zu einer umfassenden Reform dieses Artikels«, der unverzüglich umgesetzt werden müsse.

Besorgt zeigt sich das Parlament über die »in bestimmten Teilen der Gesellschaft in hohem Maße vorhandene Feindseligkeit gegenüber Minderheiten und über politisch und religiös motivierte Gewalt«. Die türkische Regierung müsse gegen die Organisationen und Kreise vorgehen, die eine solche Politik betrieben und all jene Personen schützen, die bedroht würden und um ihr Leben fürchten müssten. Außerdem forderten die Abgeordneten nachhaltige Anstrengungen, um ein Umfeld zu schaffen, das eine vollständige Achtung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten ermöglicht. Auch die Tatsache, dass die Gesamtbeschäftigungsquote von Frauen in der Türkei immer noch bei nur 23,8 Prozent liegt und dass eine verstärkte Mitwirkung der Frauen am politischen Leben »so gut wie nicht zu verzeichnen ist«, zeige die Notwendigkeit konkreter Maßnahmen, um die Erwerbstätigkeit von Frauen zu erhöhen, sie verstärkt in das Kranken- und Sozialversicherungssystem zu integrieren und ihre aktive Mitwirkung am politischen Leben zu erhöhen.

Das Europaparlament forderte Ankara auf, »keinerlei unverhältnismäßige Militäraktionen« zu unternehmen, die das Hoheitsgebiet Iraks verletzen. Die territoriale Integrität Iraks solle geachtet und zivile Opfer müssten vermieden werden. Zugleich dürften es die Regierungen Iraks und der kurdischen Provinz in Irak nicht zulassen, dass irakisches Hoheitsgebiet als Ausgangsbasis für »Terrorakte gegen die Türkei« genutzt wird.

Am Rande der Debatte begrüßte der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, Werner Langen, die Absicht Frankreichs, eine Volksbefragung vor einem möglichen EU-Beitritt der Türkei abzuhalten. »Die Türkei zeigt wenig Bewegung in den entscheidenden Fragen«, sagte Langen. Die Absage der Volksbefragung in Frankreich würde in der Türkei »als Belohnung gewertet werden, obwohl sich die Regierung Erdogan in der Substanz nicht bewegt hat«. Der für die Verfassungsreform zuständige Berichterstatter der französischen Nationalversammlung hatte in diese Woche einen Änderungsantrag vorgelegt, der auch in Zukunft bei EU-Erweiterungen eine Volksbefragung vorschreibt, wenn die Bevölkerung des Beitrittskandidaten mehr als fünf Prozent der EU-Gesamtbevölkerung beträgt. Zunächst hatte der Vorschlag für eine Verfassungsreform in Frankreich vorgesehen, dass Nationalversammlung und Senat gemeinsam über einen EU-Beitritt eines Landes abstimmen. Abschließend soll über diese Frage am 7. Juli im französischen Parlament entschieden werden.

Feleknas Uca, Europaabgeordnete der LINKEN, hält den Bericht von Oomen-Ruijten »angesichts der Ernsthaftigkeit der politischen Lage in der Türkei für viel zu zaghaft«. Um die Verantwortlichen in der Türkei nicht zu verärgern, würden die Herzstücke einer erforderlichen Reform nicht mit der notwendigen Klarheit gefordert. Dazu zählten insbesondere die zivile Einschränkung und Kontrolle des Einflusses des Militärs und die endgültige Lösung von der Idee, die Kurdenfrage militärisch zu lösen. Zudem müsse der Verfassungsartikel 301 bedingungslos gestrichen werden. Auch angesichts drohender Parteiverbote bedeute »Zurückhaltung in den politischen Reformforderungen eben nicht die Stärkung der demokratischen Kräfte in der Türkei, sondern die Aufrechterhaltung einer politischen Atmosphäre, die Gegner einer fortschrittlichen und demokratischen Türkei begünstigt«, betonte die Abgeordnete.

Donnerstag, 22. Mai 2008

Kompromiss zu EU-Satellitenmobilfunkdiensten

Das Europäische Parlament stimmte am Mittwoch einen mit dem Rat ausgehandelten Kompromiss zur Auswahl und Genehmigung von Satellitenmobilfunksystemen zu Satellitenmobilfunkdienste ermöglichen die Kommunikation zwischen Raumstationen (Satelliten) und mobilen Erdfunkstellen - entweder direkt oder über ergänzende Bodenstationen an festen Standorten. Die Internationale Fernmeldeunion (International Telecommunications Union - ITU) hat den 2-GHz-Bereich der Nutzung durch Satellitenmobilfunksysteme zugewiesen. Funkfrequenzen im Bereich von 1980 bis 2010 MHz werden für Kommunikation von der Erde in den Weltraum und Funkfrequenzen im Bereich von 2170 bis 2200 MHz für Kommunikation vom Weltraum zur Erde genutzt.

Nach einer Entscheidung der Kommission vom Februar 2007 verzichten die Mitgliedstaaten als Eigentümer des Radiospektrums auf ihr Recht der Zuteilung von Funkfrequenzen und stellen diese Frequenzbänder für ein gemeinsames europäisches Verfahren zur Verfügung. In dem neuen Gesetzestext werden nun Gemeinschaftsverfahren zur Auswahl von Satellitenmobilfunkbetreibern sowie zur Erteilung von Genehmigungen durch die Mitgliedstaaten verbindlich festgelegt. Dadurch soll die Entwicklung eines wettbewerbsbestimmten Binnenmarktes für Satellitenmobilfunkdienste vorangetrieben und Zugang, Geschwindigkeit und Qualität von elektronischen Kommunikationsdiensten - wie Breitbandinternet oder Mobilfernsehen - in allen Mitgliedstaaten und vor allem in ländlichen Gebieten verbessert werden.

Der Kompromisstext greift den Vorschlag des Industrieausschusses des Europäischen Parlaments auf, pro Anbieter nicht mehr als jeweils 15 MHz für Erde-Weltraum- und Weltraum-Erde-Kommunikation zu vergeben. Jedes Satellitenmobilfunksystem muss bei Inbetriebnahme mindestens 60 Prozent der Gesamtfläche der EU abdecken, heißt es in dem neuen Gesetzestext. Spätestens sieben Jahre danach müssen dessen Satellitenmobilfunkdienste dann in allen Mitgliedstaaten für mindestens 50 Prozent der Bevölkerung angeboten werden und mindestens 60 Prozent der Gesamtfläche jedes Mitgliedstaats erreichen.

Wenn die Nachfrage die Anzahl der Funkfrequenzen übersteigt, wird die Europäische Kommission Betreiber auswählen. Der nun beschlossene Text übernimmt eine Empfehlung des Industrieausschusses, diese Auswahlkriterien zu definieren und zu gewichten. So wird der Schwerpunkt bei der Auswahl mit 40 Prozent Gewichtung auf der europaweiten geografischen Abdeckung liegen. Drei weitere Kriterien werden jeweils 20 Prozent ausmachen und umfassen die erreichten "Vorteile für die Verbraucher und den Wettbewerb", eine effiziente Frequenznutzung und "weitere politische Ziele". Als Beispiele hierfür wird die Erbringung von gemeinwirtschaftlichen Leistungen genannte, die zum Schutz von Gesundheit und Sicherheit der Allgemeinheit oder bestimmter Bevölkerungsgruppen beitragen.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hatte in einer Stellungnahme noch einmal darauf hingewiesen, "dass in diesem wichtigen Bereich die europäischen Satellitennavigationsprogramme GALILEO und EGNOS bereits fünf Jahre Verspätung gegenüber dem ursprünglich festgelegten Zeitplan aufweisen und mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, weswegen jetzt die Europäische Kommission gefordert ist, einen Ausweg aus der derzeitigen Sackgasse zu finden". Die Verwirklichung des Satellitennavigationssystems GALILEO sei "von entscheidender Bedeutung für die Umsetzung einer Vielzahl von Gemeinschaftsmaßnahmen in so unterschiedlichen Bereichen wie Verkehrsmanagement, Gefahrenguttransport, Notrufdienste, Seeverkehr und Binnenschifffahrt, Luftverkehr, Katastrophenschutz und humanitäre Aufgaben, Landwirtschaft, Fischerei und Umweltüberwachung, Verteidigung und innere Sicherheit sowie Sicherung von Finanz- und Bankgeschäften".

Freitag, 9. Mai 2008

EU-Parlament für Lobbyisten-Register

In Brüssel sind rund 15.000 Lobbyisten und 2.500 Lobbyorganisationen tätig, allein im Parlament sind etwa 5.000 Lobbyisten registriert. Das Europäische Parlament hat sich in dieser Woche nun für ein gemeinsames, Institutionen übergreifendes und verbindliches EU-Lobbyisten-Register ausgesprochen, das öffentlich zugänglich ist und u.a. einen Verhaltenskodex sowie die Möglichkeit der Streichung aus dem Register umfasst. Zudem stimmten die Abgeordneten für eine „umfassende finanzielle Offenlegung“. Umstritten war lange die Frage nach der rechtlichen Stellung der Kirchen. Durchsetzen konnte sich die Mehrheit der konservativen EVP-Fraktion, wonach die Kirchen aufgrund ihrer Sonderrolle im Lissabonner Vertrag nicht als Lobbyisten gelten. Der Bericht wurde mit 547 Ja-Stimmen, 24 Nein-Stimmen und 59 Enthaltungen angenommen.

Das Europäische Parlament hat sich in dem Bericht für ein „gemeinsames verbindliches Register, wie es beim Parlament faktisch bereits besteht, zwischen dem Rat, der Kommission und dem Parlament“ ausgesprochen, das in allen Institutionen gelten soll. Außerdem befürworteten sie eine umfassende finanzielle Offenlegung, einen gemeinsamen Mechanismus zur Streichung aus dem Register und einen Verhaltenskodex. Bis Ende 2008 soll eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Parlament, Rat und Kommission die Auswirkungen eines solchen gemeinsamen Registers sowie die Ausarbeitung eines gemeinsamen Verhaltenskodex prüfen.

Jede Art von Kodex müsse ein „strenges Überwachungsmoment“ in Bezug auf das Verhalten von Interessenvertretern gewährleisten. Für Interessenvertreter, die gegen den Verhaltenskodex verstoßen, sind nun Sanktionen vorzusehen, die bis zur Streichung aus dem Register führen kann. Das Register soll auch für die Öffentlichkeit „mühelos zu finden und abzufragen“ sein. Zudem darf es, so die Forderung der Parlamentarier, nicht nur die Bezeichnungen der jeweiligen Organisation enthalten, sondern muss die Namen der Interessenvertreter enthalten.

Die Abgeordneten unterstreichen in dem Bericht von Ingo Friedrich (CSU) das "Erfordernis der finanziellen Offenlegung" für alle registrierten Interessenvertreter. Wer in das EU-Lobbyisten- Register aufgenommen werden möchte, muss folgende Angaben machen:
- den Umsatz professioneller Berater und Anwaltskanzleien aus der Lobbyarbeit bei den EU-Organen sowie den relativen Anteil ihrer wichtigsten Klienten;
- die geschätzten Kosten in Zusammenhang mit ihrer direkten Lobbytätigkeit bei den EU-Organen, wenn es sich um Unternehmenslobbyisten und Berufsverbände handelt;
- das Gesamtbudget, untergliedert nach Hauptfinanzierungsquellen, wenn es sich um nichtstaatliche Organisationen und Denkfabriken handelt.

Das Parlament stimmte der Definition der EU-Kommission zum Begriff Lobbying zu. Demnach umfasst Lobbying „alle Tätigkeiten, mit denen auf die Politikgestaltung und den Entscheidungsprozess der europäischen Organe und Einrichtungen Einfluss genommen werden soll“. Ausdrücklich genannt werden in der Liste professionelle Lobbyisten, interne Unternehmenslobbyisten, nichtstaatliche Organisationen, Denkfabriken, Berufsverbände, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, gemeinnützige und nicht gemeinnützige Organisationen sowie Anwälte, "deren Tätigkeit in erster Linie darauf abzielt, Einfluss auf die Politikgestaltung zu nehmen und weniger darauf, in Rechtssachen als Rechtsbeistand und Verteidiger aufzutreten oder Rechtsauskünfte zu erteilen".

Umstritten war lange die Frage nach der rechtlichen Stellung der Kirchen. Durchsetzen konnte sich letztlich die Mehrheit der EVP-Fraktion, wonach die Kirchen aufgrund ihrer Sonderrolle im Lissabonner Vertrag nicht als Lobbyisten gelten. „Damit wird die besondere Stellung der christlichen Kirchen anerkannt“, begrüßte Berichterstatter Friedrich die Ablehnung des Änderungsantrages.

Nach Ansicht des SPD-Europaabgeordneten Jo Leinen „haben die Konservativen und Liberalen ein ehrgeizigeres Ergebnis“ auch aus anderen Gründen verhindert: Die EVP hatte zahlreiche Anträge eingebracht, den Bericht zu verwässern, erklärte Leinen. Sie war dagegen, unmoralisches Verhalten von Lobbyisten öffentlich anzuzeigen und wollte die Rolle von finanziellen Interessen im Lobbyismus herunterspielen. Anträge zu mehr Transparenz für die Expertenkommission und externen Berater in der Kommission wurden von Konservativen und Liberalen abgelehnt. Ferner stimmten sie gegen einen klaren Zeitplan für das gemeinsame Register.

Insgesamt begrüßten die im Europäischen Parlament jedoch die Errichtung eines gemeinsamen Lobbyisten-Registers. Ingo Friedrich (CSU) wertete das Ergebnis als „wichtigen Schritt hin zu mehr Transparenz in der europäischen Gesetzgebung“. Jo Leinen verwies darauf, dass nun Europäische Kommission und Ministerrat am Zug sind, um diese Regeln schnellstmöglich einzuführen. Auch Sylvia-Yvonne Kaufmann (Die Linke) bewertete im Namen der GUE/NGL-Fraktion die Schaffung des gemeinsamen Registers „als überfällig“. „Wir sind es den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber schuldig, klipp und klar unter Beweis zu stellen, dass die europäischen Institutionen keine Erfüllungsgehilfen irgendwelcher Dunkelmänner sind.“

Airlines: „Gravierende Verbraucherprobleme“

Die für Verbraucher zuständige EU-Kommissarin Meglena Kuneva veröffentlichte heute den Zwischenbericht über die europaweite Ermittlung zur Durchsetzung der EU-Rechtsvorschriften, an der sich 15 einzelstaatliche Behörden der EU sowie Norwegen beteiligten. Die Aktion unter dem Namen „Sweep“ wurde von einem Ende 2006 eingerichteten Netz der für die Durchsetzung des Verbraucherrechts zuständigen nationalen Behörden (Consumer Protection Enforcement Network – CPC) durchgeführt und von der Europäischen Kommission koordiniert. Die EU-Kommission will damit gegen irreführende Werbung und unfaire Praktiken vorgehen, mit denen Käufer im Internet auf der Suche nach billigen Flügen in die Falle gelockt werden.

Der von Kuneva vorgestellte Bericht zeigt, dass es in der gesamten Flugverkehrs-Branche „gravierende und anhaltende Verbraucherprobleme“ gibt. Gegen jede dritte der geprüften Websites (137 von 386 Websites, die ursprünglich von den 13 Ländern kontrolliert worden waren) musste in den vergangenen sieben Monaten wegen Verstößen gegen das EU-Verbraucherrecht ermittelt werden. Viele Websites wiesen gleich mehrere Probleme auf. 58 Prozent der kontrollierten Internetpräsenzen beinhalteten irreführende Preisangaben und auf 49 Prozent fanden sich Unregelmäßigkeiten bei den Vertragsbedingungen, sagte Kuneva. Auf 15 Prozent der Websites waren Angebote vorhanden, die letztlich aber überhaupt nicht verfügbar waren.

Nach Angaben der Europäischen Kommission täuschten die Online-Verkaufsstellen der Fluggesellschaften vor allem mit dem Ticketpreis bei Beginn der Buchung, die ohne Angabe der Steuern und sonstiger Gebühren erfolge. So würden Flugtickets auf der ersten Seite etwa für 20 Euro angeboten, einige Klicks später liege der Preis dann bei über 100 Euro. Außerdem bezögen sich Preisangaben für Sonderangebote häufig nur auf einen bestimmten Zeitraum oder eine begrenzte Menge. Nur mit einem besonderen Aufwand könne der Kunde am Ende die Einschränkungen erkennen. Oft könnten auch nicht problemlos die Bedingungen für eine Stornierung oder Verschiebung des Flugs eingesehen werden. Ähnliche Praktiken werden angewendet, indem die Fluggesellschaften versuchten, den Betroffenen Reiseversicherungen oder sonstige Zusatzleistungen zu verkaufen, an denen die Airlines zusätzlich Einnahmen akquirierten. Diese Leistungen seien auf den Webseiten von vornherein aktiviert und könnten nur durch einen Klick der Verbraucher abbestellt werden.

Über die Hälfte der kritisierten Webseiten sind inzwischen korrigiert worden, erklärte Kuneva am Donnerstag in Brüssel. „Es ist nicht hinnehmbar, dass jeder dritte Verbraucher, der online ein Flugticket buchen will, geschröpft, irregeführt oder verwirrt wird. Meine Botschaft an die Unternehmen ist klar: entweder sie handeln jetzt, oder wir werden handeln. Wenn uns bis zum 1. Mai nächsten Jahres keine glaubhaften Beweise für Verbesserungen dieser Verkaufs- und Marketingpraktiken in der Flugverkehrsbranche vorliegen, haben wir keine Wahl mehr; dann müssen wir eingreifen.“

Allerdings ist die direkte Einflussnahme der EU-Kommission bezüglich der Ahndung von Verstößen kaum möglich, weil das EU-Verbraucherrecht von den Mitgliedstaaten vollzogen wird und nur sie selbst auch Sanktionen für Verstöße aussprechen dürfen. Auch das Strafmaß für derlei Verstöße scheint eher bescheiden: Es reicht von der Aufforderung, die beanstandete Praxis zu ändern oder einzustellen, über eine Geldbuße oder die Schließung der Website. Kuneva bestätigte in der Pressekonferenz, dass gegenwärtig gegen 12 Airlines ermittelt werde, darunter befindet sich auch der irische Billigflieger Ryanair.

Die aufgeführten Probleme bestehen in der gesamten Flugverkehrsbranche, betonte Kuneva, sowohl bei Fluggesellschaften als auch bei Reiseveranstaltern. Von den 79 Websites, die wegen irreführender Preisangaben kontrolliert wurden, gehören 44 (56 Prozent) zu Fluggesellschaften, 27 (34%) zu Reisebüros bzw. Reiseveranstaltern, und 8 (10%) waren sonstiger Art wie etwa Angebotsseiten von Preisvergleichsunternehmen. Von den 21 Homepages, bei denen Probleme mit der Verfügbarkeit der Angebote auftraten, gehörten 12 (57 Prozent) zu Fluggesellschaften, 6 (28%) zu Reiseveranstaltern. Von den 67 Onlinepräsenzen, die wegen unlauterer Vertragsbedingungen kontrolliert wurden, gehörten 26 (39 Prozent) zu Fluggesellschaften, 34 (51%) zu Reiseveranstaltern.

Deutschland hatte sich übrigens an der Untersuchung nicht beteiligt. Die Anfrage der EU-Kommission nach Angaben des Bundesamts für Verbraucherschutz für die im September 2007 durchgeführte Kontrolle sei zu kurzfristig erfolgt, hieß es. Das Bundesamt hatte aber erst wenige Monate zuvor die Verantwortung für diesen Bereich zugewiesen bekommen.

Energie zum Nullpreis für sozial Schwächere?

Die EU-Kommission wirbt für eine Europäische Charta der Rechte der Energieverbraucher. Kritiker sind jedoch der Auffassung, dass die Behörde damit ihren Zuständigkeitsbereich verlässt.

Genau genommen ist die Debatte um die Europäische Charta der Energieverbraucher nichts anderes als die Fortsetzung der Auseinandersetzung um – wie es EU-Kommissionspräsident Josè Manuel Barroso einmal ausdrückte - "nationale Egoismen". Damals gebrauchte er die Formulierung im Hinblick auf den Streit um die EU-Finanzen und das Scheitern der EU-Verfassung durch das Veto der französischen und niederländischen Bürger. Auch die aktuelle Debatte um eine Charta der Energieverbraucher gipfelt derzeit in einer Auseinandersetzung um nationalstaatliche Kompetenzen.

Die EU-Kommissare Meglena Kuneva (Verbraucherschutz) und Andris Piebalgs (Energie) warben heute auf einer Konferenz in Brüssel erneut für die Europäische Charta der Rechte der Energieverbraucher. Die Kommission hatte am 5. Juli 2007 einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt. In dieser Charta sollen die Rechte der Verbraucher in den Bereichen Strom- und Gasversorgung festgeschrieben werden. Sie umfasst unter anderem verbindliche Vorgaben für Vertragsgestaltungen, Auskünfte, Preise, Streitbeilegung und den Schutz vor unlauteren Geschäftspraktiken. Die Charta soll den Verbrauchern helfen, ihre Versorgungsunternehmen auszuwählen und auf den Strom- und Gasmärkten, in denen "freier Wettbewerb" gilt, ihre Rechte wahrzunehmen.

Zwar sollen bereits zwei EU-Richtlinien aus dem Jahr 2003 die Verbraucherrechte betreffend Elektrizität und Gas regeln, 2003/54/EG und 2003/55/EG, doch verlangten die Bestimmungen nach Ansicht der EU-Kommissarin Meglena Kuneva mit Blick auf die vollständige Marktöffnung nach einer klareren Ausformulierung: "Wir können erst dann sagen, dass wir unser Ziel erreicht haben, wenn es uns gelungen ist, einen transparenten und effizienten Markt zu schaffen, auf dem die Rechte der Verbraucher in vollem Umfang gewährleistet sind und informierte Verbraucher ihr Wissen nutzen, um Vorteil aus dem vorhandenen Angebot zu ziehen."

In dem Entwurf der Charta sind deshalb eine ganze Reihe von Verbraucherrechten geregelt. So wird in dem Dokument u.a. festgeschrieben, bei Zahlung regelmäßig sichere und gesicherte Strom- und Gasdienste in voraussehbarem Umfang zu erhalten und Strom- und den Gasversorger ohne Kosten wechseln zu können. In der Charta wird vorgegeben, welche Mindestbestimmungen jeder Vertrag mit einem Energielieferanten enthalten muss und welchen Informationspflichten der Lieferant nachzukommen hat. Vorgaben gibt es auch für eine "transparente" Preisgestaltung sowie zur Kennzeichnung zur Herkunft des Stroms und zur Art der Produktion. Zudem enthält die Charta im Entwurf eine sozialpolitische Komponente: Darin wird der Schutz jener Bürger gefordert, die von einer Anhebung der Energiepreise besonders hart betroffen sind. Um eine "Energiearmut" zu verhindern, soll eine kostenlose Mindestversorgung mit Energie (Strom, Heizung, Licht) sichergestellt werden.

In einer Stellungnahme erklärt das deutsche "Centrum für Europäische Politik" (CEP), dass eine solche Charta in die Vertrags- sowie Berufsfreiheit eingreifen und die Entwicklung der Märkte behindern würde. Die EU sei in diesem Bereich nicht zuständig, weil Fragen der Energieversorgung zum einen ein "relevanter transnationaler Bezug" fehle. Zudem betreffe der Kommissionsvorschlag die Sozialpolitik, wenn Energiedienste sozial schwachen Verbrauchern zu niedrigeren Preisen oder kostenlos angeboten würden. Für den Bereich der Sozialpolitik bestehe jedoch keine Gemeinschaftskompetenz.

Außerdem vertritt das CEP die Meinung, dass die Versorger die Kosten für eine günstigere oder kostenlose Energieversorgung sozial Schwächerer tragen müssten, was ohne entsprechende Entschädigungszahlungen des Staates gegen geltendes Recht verstoße. Darüber hinaus werde dieses Vorgehen in das Preissystem und damit in die Vertrags- und Berufsfreiheit eingreifen. Zudem stellt das CEP fest, dass "Energie zum Preis Null für sozialschwächere Verbraucher" höhere Preise für die übrigen Verbraucher erzwingt. Daher erwartet es eine Schädigung des Wachstums und der Beschäftigung, vor allem in energieintensiven Branchen. Das Centrum forderte die Kommission auf, sich auf die Zusammenfassung des geltenden Verbraucherrechts im Energiebereich zu beschränken und die Vorschläge zu weiteren Verbraucherrechten fallen zu lassen.

Auch in der deutschen Politik werden derzeit Entlastungsmaßnahmen für Einkommensschwache diskutiert. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) rief etwa unmittelbar vor den Landtagswahlen in Hessen die Energiekonzerne auf, Einkommensschwachen Rabatt auf den Strompreis einzuräumen und verwies auf das Beispiel von Eon. Der Konzern hatte im Herbst 2006 in Bayern einen "Sozialtarif" eingeführt, bei dem einkommensschwachen Kunden die Grundgebühr erlassen wird. Allerdings gilt dabei als Maßstab für die Einkommensschwäche die Befreiung von den Rundfunkgebühren, auf die viele sozial Schwache wegen des bürokratischen Aufwands und der Eingriffe der GEZ in die Privatsphäre lieber verzichten. Inzwischen soll Eon die Initiative auf alle Regionalgesellschaften ausgeweitet haben.