Sonntag, 23. November 2008

Deutschland blockiert weiter

Aus angeblicher Angst vor einer »Flut von Billiglohnarbeitern« will die große Koalition den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt auch für die kommenden beiden Jahre blockieren. Die EU lässt die Bedenken nicht gelten.

Genau vor anderthalb Jahren hatte der tschechische EU-Kommissar Vladimir Spidla die Bundesregierung schon einmal öffentlich angezählt und sie aufgefordert, ihre Arbeitsmärkte nicht länger abzuschotten. Es gebe »keinen direkten Zusammenhang zwischen Einwanderung und nationalen Bestimmungen«. So hätte Deutschland von Mai bis September 2005 etwa eine halbe Million Arbeitsgenehmigungen ausgestellt. In Großbritannien, das neben Irland und Schweden auf nationale Quoten verzichtet hatte, waren es dagegen nur 290 000. Insgesamt hätten diese drei Staaten von der Migration sogar profitiert.

In ihrem jüngsten Bericht hat die EU-Kommission nun vor allem analysiert, wie viele Bürger aus den neuen Mitgliedsländern ihre Heimat verlassen haben und wohin sie gezogen sind. Demnach verschlug es Polen, Litauer oder Slowaken vor allem in englischsprachige Länder. Der Anteil von Osteuropäern an der Zahl der Gesamtbeschäftigten in Irland beträgt z. B. 6,3 Prozent. Vergleichsweise bescheiden ist dieser Anteil mit 0,1 Prozent in Deutschland.

Ebenso wenig beliebt ist Deutschland bei Rumänen und Bulgaren. Die rund 1,6 Millionen Menschen, die bislang ihren Heimatländern den Rücken kehrten, zog es vor allem nach Spanien und Italien. Eine beeindruckende Zahl, wenn man davon ausgeht, dass insgesamt zwei Millionen Menschen aus den zehn neuen EU-Staaten zur Jobsuche die Heimat – zumeist nur wenige Monate – verlassen haben. Allerdings zeigt die neue Studie auch, dass die große Auswanderungswelle, die vor zwei Monaten ihren Höhepunkt erlebte, bereits wieder abebbt. Spidla führt dies darauf zurück, dass sich das Lohngefüge der Beitrittsländer dem der »alten« EU-Staaten allmählich angeglichen habe.

Deutschland gehört mit Österreich, Belgien und Dänemark zu den vier Staaten, die ihre Märkte noch immer nicht vollständig für Arbeitssuchende aus Osteuropa geöffnet haben. Sie nutzten dabei die Möglichkeit, eine vorübergehende Einschränkung, die durch die EU-Kommission geprüft und zugelassen wird, zu verfügen. Die Fristen können noch zweimal verlängert werden, so dass die vier Länder ihre Arbeitsmärkte letztlich erst im Jahr 2014 freigeben müssen. Um die Verlängerung genehmigt zu bekommen, müssen die Staaten nachweisen, dass sie ernsthafte Störungen ihrer Arbeitsmärkte zu befürchten haben. Auch wenn derzeit nichts auf solche Störungen hindeutet, wird davon ausgegangen, dass die Kommission die Fristen anstandslos verlängert.

Dabei hatte eine vor Monaten veröffentlichte Studie der EU-Kommission deutlich gemacht, dass das »alte Europa« künftig einen großen Bedarf an Einwanderern haben wird, um den niedrigen Geburtenraten und der höheren Lebenserwartung entgegenzuwirken. Bis 2030 benötigt die EU nach eigenen Berechnungen rund 20 Millionen zusätzliche Arbeitskräfte. Von den großen EU-Staaten weisen nur Frankreich und Großbritannien bis 2050 ein Bevölkerungswachstum auf.

Vor diesem Hintergrund hat auch das Europaparlament der geplanten »Blue Card« zur Anwerbung hochqualifizierter Einwanderer im Grundsatz zugestimmt. Europa müsse seine Attraktivität für Spitzenkräfte erhöhen, erklärte das Straßburger Plenum am Donnerstag. Die Abgeordneten empfahlen allerdings schärfere Zulassungskriterien. Die »Blue Card« ist eine kombinierte Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis, die in allen EU-Ländern gilt, die an dem Programm teilnehmen wollen.

Donnerstag, 13. November 2008

Agrarsektor bleibt das Sorgenkind

Es wird weiter getrickst und gemogelt: EU-Gelder werden zu Unrecht ausgezahlt oder verschwinden in dunklen Kanälen. Das ist das Ergebnis des in dieser Woche vorgestellten Jahresberichts des EU-Rechnungshofes, in dem auch der Kontrollmechanismus des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern kritisiert wird.

In dem Papier kommt vor allem die EU-Kommission schlecht weg. Der Vorwurf: Obwohl die Brüsseler Behörde bereits in den Vorjahren wegen ihrer Fördermittelpraxis immer wieder heftig kritisiert wurde, hat sie kaum etwas aus den Vorfällen gelernt. Vor allem hapert es beim 114 Milliarden Euro schweren Ausgabenposten der Landwirtschaft und den für schwache Regionen: Hier bescheinigt der Rechnungshof der Kommission, dass Zahlungen an die Begünstigten – nach wie vor – mit Fehlern behaftet wären. Das Urteil: Die Behörde erhält das 14. Mal in Folge nur eine eingeschränkte Zuverlässigkeitserklärung.

In der Regional- und Strukturpolitik sollen dem Bericht zufolge rund 4,6 Milliarden Euro zu Unrecht ausgezahlt worden sein. Auf Grundlage einer Stichprobe sei der Hof zu dem Schluss gelangt, dass »mindestens elf Prozent des Gesamterstattungsbetrags in der EU-Regionalförderung nicht hätten ausgezahlt werden dürfen«, sagte deren Präsident Vitor Caldeira. Der Besitzer eines Feriendorfes habe auf diese Weise zwar 50 Prozent Zuschüsse für die Unterhaltung seiner Anlage erhalten, vergab aber die Aufträge zur Renovierung auf Zuruf und ohne Ausschreibung. Zudem habe eine Universität die ihr überwiesenen Mittel zur Förderung benachteiligter Regionen einfach für Forschungsaufträge verwendet, die im Bescheid ausdrücklich untersagt worden waren. Recht unbescheiden legte außerdem die Leitung eines Sozialprojektes die Verwendung von Fördergeldern aus: Sie rechnete ihren gesamten Personalbestand ab, obwohl die Mitarbeiter zugleich auch für andere Aufgaben eingesetzt waren.

Das Sorgenkind des Rechnungshofes bleibt die Agrarwirtschaft, vor allem der Landbau. Fast die Hälfte des Gesamtbudgets fließt dorthin und der Großteil der Auszahlungen sei mit gravierenden Fehlern behaftet. Caldeira musste eingestehen, dass in diesem Bereich die Fehlerquote allenfalls grob geschätzt werden könne, denn es fehlten Verfahren, um die getätigten Zahlungen an Bauern und Agrarbetriebe überhaupt verlässlich überprüfen zu können. Zwei bis fünf Prozent des Budgets für Landwirtschaft sollen nicht korrekt bezogen worden sein.

Besonders heftige Mängel machte der Rechnungshof vor allem in Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und mehreren südeuropäischen Mitgliedstaaten ausfindig. Es sei aber »von Sizilien bis in den hohen Norden die Fantasie genauso stark entwickelt«, meinte der österreichische Rechnungsprüfer Hubert Weber. Die jüngsten Sonderberichte zu Bulgarien und Rumänien hätten zudem gezeigt, dass es auch in diesen beiden Ländern weiter große Probleme gebe. Verwunderlich sei dies allerdings nicht, sagte Weber fast entschuldigend, denn die Verwaltungen der beiden Staaten wären noch im Aufbau und daher sehr unerfahren. Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung »OLAF« hatte dagegen erst kürzlich erklärt, dass bei 76,1 Prozent aller Stichproben des Jahres 2007, die in Rumänien und Bulgarien durchgeführt wurden, Betrug oder Unregelmäßigkeiten registriert werden mussten.

Problematisch bleiben auch die im Rahmen der Regionalförderung ausbezahlten Gelder, die zumeist von den Mitgliedsstaaten selbst verwaltet werden. Hier stehen vor allem Portugal und Spanien am Pranger. Aber auch Mecklenburg-Vorpommern, als einziges deutsches Bundesland von den EU-Rechnungsprüfern durchleuchtet, musste sich ernste Kritik am »bedingt wirksamen« Kontrollmechanismus gefallen lassen.

Ebenfalls nicht neu ist die Forderung der Rechnungshofbehörde, die Kommission möge doch das zu Unrecht ausbezahlte Geld konsequent wieder eintreiben. Das wollte EU-Regionalkommissarin Daniela Hübner dann allerdings so nicht unkommentiert stehen lassen. »In diesem Jahr haben wir bisher 843 Millionen Euro zurückgeholt – drei Mal mehr als 2007«, sagte Hübner in Brüssel und kündigte weitere Rückforderungen an. Außerdem arbeite man »hart« an der Senkung der Fehlerquote.

Angesichts dieser Bilanz dürfte deshalb auch die Forderung des deutschen EU-Parlamentspräsidenten Hans-Gert Pöttering (CDU) auf einer Konferenz in Brüssel beurteilt werden, die Mitgliedsstaaten sollten den Haushalt der Europäischen Union mit zusätzlichen Mitteln ausstatten. Die Naturschutzorganisation WWF forderte am Rande der Konferenz zudem, die Vergabe sämtlicher EU-Fördermittel verbindlich an ökologische Kriterien zu knüpfen. Derzeit würden nicht einmal fünf Prozent der EU-Gelder dafür verwendet, den Ausstoß von CO2 zu verringern.

Europas verborgene »Schätze«

Die Europäische Kommission will die sieben EU-Regionen in äußerster Randlage »spezialisieren«. Das forderte die zuständige Kommissarin für Regionalpolitik, Daniele Hübner.

Europa müsse seine »verborgenen Schätze«, die sieben Regionen in Randlage, wiederentdecken, forderte Kommissarin Hübner in Brüssel und stellte eine erneuerte Strategie für die vier französischen überseeischen Departements Guadeloupe, Französisch-Guayana, Réunion und Martinique, die portugiesischen autonomen Regionen Azoren und Madeira sowie die spanische autonome Gemeinschaft Kanarische Inseln vor. Für entsprechende Projekte will die EU in den Jahren 2007 bis 2013 Gemeinschaftsmittel in Höhe von 7,8 Milliarden Euro bereitstellen.

Neben der geostrategischen Bedeutung verwies Hübner auf die geografischen und geomorphologischen Merkmale der Regionen, die sich »hervorragend für Versuche in verschiedenen Bereichen« – etwa beim Klimaschutz – anböten. Aufgrund ihrer biologischen Vielfalt und ihrer außergewöhnlichen Meeresökosysteme ermöglichten sie zudem Innovationen in Pharmazie und Landwirtschaft.

Zahlreiche Projekte zeigten bereits, dass sich die Regionen in bestimmten Bereichen erfolgreich spezialisieren und Pilotprojekte durchführen könnten, die der gesamten Union zugute kommen, so Hübner. Dies gelte insbesondere für innovative Projekte im Energiebereich. So entsteht gegenwärtig ein »multifunktionales Elektrizitätswerk« auf Madeira und mit dem Projekt GERRI soll die Energieversorgung auf Réunion aus eigenen Kräften sichergestellt werden. Weitere Projekte sind die Anlage für Agrarumweltforschung von Martinique sowie ein Zentrum für Meereskunde und Fischerei der Universität der Azoren. Außerdem finanziert die EU ein Institut für Astrophysik auf den Kanaren und das Projekt SEAS in Französisch-Guayana zur Satellitenüberwachung der Umwelt des Amazonas.

Donnerstag, 6. November 2008

Abfuhr für Sarkozys »Regierungspläne«

Eine Woche vor dem Weltfinanzgipfel in Washington treffen sich heute die europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel, um ihre Positionen abzustimmen. Einig sind sie sich in dem Vorhaben, schärfere Regeln für Ratingagenturen und Hedgefonds durchzusetzen. Dagegen trifft der Vorschlag des französischen Staatschefs Nicolas Sarkozy, eine gemeinsame EU-Wirtschaftsregierung zu bilden, auf wenig Gegenliebe.

Der französische Staatspräsident Nikolas Sarkozy hatte Mitte Oktober den Vorschlag entwickelt, eine Wirtschaftsregierung zu etablieren. Schließlich brachte sich Sarkozy selbst als deren Präsident ins Gespräch und erntete heftige Kritik. »Es wird keine institutionalisierte Struktur auf Ebene der Staats- und Regierungschefs der Währungsunion geben«, meinte etwa der Eurogruppen-Vorsitzende, der luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker, der sich durch diese Äußerung allerdings Ärger mit seinen französischen Nachbarn einhandelte. Auch der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück erklärte, dass die französische Ratspräsidentschaft ihre Vorschläge bis zum Brüsseler Gipfel überarbeiten werde. Von einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung soll in dem neuen Leitlinienpapier, das heute beraten wird, keine Rede mehr sein.

Halbwegs einig scheinen sich die europäischen Staatschefs allerdings in der Frage zu sein, was als Ergebnis des Weltfinanzgipfels in Washington herauskommen müsse. So sollten dort die globalen Spielregeln für künftige Krisenpräventionen festgelegt werden, hieß es. Außerdem wolle man den einzelnen Akteuren, wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF), ihre Rollen zuweisen und prüfen, wie die Institutionen die neuen Finanzmarktregeln durchsetzen können. Nach dem Willen Sarkozys soll kein Finanzinstitut und kein Markt unbeaufsichtigt sein.

Dass die Einführung derartiger Regularien tatsächlich auch über die EU-Grenzen hinaus gelingen könnte, davon zeigen sich die meisten Diplomaten vor dem Treffen überzeugt: »Marktwirtschaft funktioniert dann, wenn die Märkte Regeln haben, wenn sie durchschaubar sind und transparent«, meinte etwa Österreichs Finanzminister Wilhelm Molterer. Und diese Überzeugung habe sich inzwischen auch außerhalb Europas durchgesetzt.

Dabei dürften sich die EU-Staatschefs noch gut daran erinnern, dass derartige Verabredungen noch vor einem Jahr selbst in der EU kaum möglich waren. Schon vor Ausbruch der Krise hatte die Einführung strengerer Regulierungen der Finanzmärkte unter deutscher Ratspräsidentschaft 2007 eine Rolle gespielt. Seinerzeit stellte sich London quer – und auch die US-Amerikaner machten deutlich, dass sie solche Instrumentarien rundum ablehnen: Sie setzten weiter auf die Selbstregulierung der Märkte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hofft nun darauf, dass in Washington verbindliche Absprachen im »transatlantischen Rahmen« getroffen werden. »Diese Verhandlungen dürfen nicht verschleppt werden«, forderte sie. Sie sehe gute Chancen, dass die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer ein »klares Mandat für einen internationalen Finanzmarktrahmen« beschließen werden.

Beim Brüsseler Treffen wird es aber auch um die gekränkte Ehre einiger Diplomaten gehen. Ausgerechnet der Eurogruppen-Vorsitzende Juncker hat von den Amerikanern keine Einladung für den Washingtoner Gipfel erhalten. Ebenso erging es dem spanischen Ministerpräsidenten José Luis Rodriguez Zapatero. Als eine Art Nachbarschaftshilfe hat Sarkozy dem Spanier nun angeboten, den französischen Platz beim Weltgipfel einzunehmen, weil er in seiner Funktion als amtierender Ratschef ohnehin teilnehmen werde. Doch in Spanien führte das Angebot zu heftigen Protesten der Opposition: Sie sehen den Stolz ihrer Nation verletzt ...