Freitag, 27. Juni 2008

Small Business Act: Vision oder Ablenkung?

Die EU-Kommission überrascht mit einem angeblichen Prioritätenwechsel: Statt der industriellen Riesen will sie den kleinen und mittelständischen Unternehmen nun den "roten Teppich ausrollen".

EU-Kommissionspräsident Josè Manuel Barroso mag es gern blumig und dabei schreckt er auch vor peinlichen Übertreibungen nicht zurück. Man wolle den Betrieben mit nicht mehr als 250 Beschäftigten, also den so genannten kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) den roten Teppich ausrollen, versprach er am Mittwoch in Brüssel. Dadurch sollen sich Kleinunternehmen entfalten können und die besten unter ihnen die Starthilfe für einen erfolgreichen Einstieg in die Weltmärkte erhalten.

Barroso sprach vor der Presse vom "Small Business Act", der dazu führen soll, dass künftig Verwaltungsbehörden stärker auf KMU-Bedürfnisse eingehen, Zahlungen ohne Verzug geleistet werden, mehr Unterstützung in Finanzierungs-, Innovations- und Bildungsfragen erbracht wird, die Mehrwertsteuersätze für lokale Dienstleistungen ermäßigt werden und der Zugang zu öffentlichen Aufträgen erleichtert wird. Zudem soll den Betrieben künftig die Gründung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung erleichtert werden. Nach den Vorstellungen des Portugiesen soll dann die Gründung einer Europäischen Privatgesellschaft schon für einen Euro möglich werden.

Genau genommen reagiert die Europäische Kommission mit dem "Small Business Act" auf die internationalen Bedingungen. So konnten zwar die deutschen Industrie- und Handelskammern jahrelang die ungeliebten Limited-Gründungen deutscher Unternehmer in Großbritannien verteufeln, doch letztlich mussten sie sich aufgrund des Europäischen Richterspruchs zur Rechtmäßigkeit solcher Insel-Gründungen geschlagen geben. Seither gründen die Deutschen auf der Insel die Ein-Euro-Gesellschaften mit beschränkter Haftung "auf Teufel komm raus" – und der GmbH-Anteil am deutschen Markt brach im Gegenzug nahezu ein. Auch das vom Bundeskabinett am 23. Mai 2007 beschlossene Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), dass die Gründung so genannter Mini-GmbH's ermöglichte, verpuffte nahezu wirkungslos.

Sollte Barrosos 10-Punkte-Programm von den EU-Staatschefs tatsächlich abgesegnet werden, dann könnte dies aber eine Abkehr von der bisherigen Politik bedeuten, auch wenn die Beteuerungen bislang schon ein anderes Handeln versprochen hatten. Denn in der Vergangenheit drehte sich in der Europäischen Union fast alles nur um die Förderung der 14.000 industriellen Riesen. Bei der Beratung um Softwarepatente reichten ein paar Prozentanteile an Eingaben von Konzernen, um die Interessen von kleinen und mittleren Unternehmen mit der neuen Begriffsschöpfung einer "wirtschaftlichen Mehrheit" beiseite zu fegen. Und vor allem große Unternehmen kamen in den Genuss von Steuererleichterungen und nutzten die zahlreichen Förderprogramme, um auch den letzten möglichen Cent für etwaige Ansiedlungen in wirtschaftlich schwächelnden Regionen herauszupressen. Kleine Betriebe und Mittelständler hatten zumeist das Nachsehen. Wer sich wirklich durch den Förderdschungel wühlen will, der ist zumeist auf kostspielige Hilfe angewiesen. Nicht zuletzt sind die Originaltexte der Verordnung meist in französischer oder englischer Sprache verfasst. Die Kommission hat nicht einmal ihr vor Jahren abgegebenes Versprechen eingehalten, die wichtigsten Dokumente auch in der deutschen Amtssprache zu veröffentlichen.

Was soll man also von einer solchen Ankündigung Barrosos halten, die wirtschaftliche Grundrichtung zugunsten der Unternehmen ausrichten zu wollen, denen er nun eine Schlüsselrolle in der Wirtschaft zugesteht? Es ist nicht erst seit heute eine Tatsache, dass es in Europa rund 23 Millionen kleine und mittelständische Unternehmen gibt. Und auch der fachkundige Kommentar des Präsidenten der Europäischen Investitionsbank (EIB), Philippe Maystadt, dass das Wohlergehen und Wachstum der KMU "der Schlüssel zur künftigen Wettbewerbsfähigkeit Europas" darstellt, dürfte eigentlich so neu nicht sein. Der Beitrag dieser Betriebe an der Wertschöpfung ist überproportional hoch und vor allem ihr "Gesundheitszustand" entscheidet wesentlich darüber, wie sich die Statistiken zur Arbeitsmarktlage gestalten. Allein in den vergangenen Jahren haben die kleinen und mittelständischen Betriebe 80 Prozent der neuen Arbeitsplätze in der Union geschaffen. Die Riesen dagegen haben ihre Rationalisierungswelle noch immer nicht abgeschlossen, denen in den vergangenen Jahren Hunderttausende Arbeitsplätze zum Opfer fielen und noch immer fallen.

Maystadt dürfte zudem nicht entgangen sein, dass sich seit der Einführung der Basler Kriterien kaum noch etwas auf dem Finanzmarkt für investitionswillige KMU bewegt. Das gilt um so mehr für jene Betriebe, die auf lebenserhaltende Zwischenfinanzierungen angewiesen waren. Die Banken halten sich weiterhin zugeknöpft und verspekulieren sich lieber auf unsicheren Märkten, als dem Mittelstand zu helfen, sich auf den Füßen zu halten. "Der Markt allein ist nicht dazu in der Lage, den KMU ausreichende Finanzmittel zu vernünftigen Bedingungen bereitzustellen", räumte auch der EIB-Chef ein, "insbesondere nicht für schnell wachsende innovative Unternehmen." Die EIB-Gruppe wolle daher versuchen, Lücken im Markt zu schließen, indem sie ihr Finanzierungsspektrum erweitert. Wie er das praktisch anstellen will, ließ Maystadt jedoch offen. Auch die Investitionsbank hat sich bislang bezüglich der Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen keinesfalls mit Ruhm bekleckert.

Der europäische "Small Business Act" umfasst 10 Grundsätze, die auf höchster politischer Ebene eingeführt werden sollen, sowie konkrete Maßnahmen, die den Kleinunternehmen das Leben erleichtert sollen. Nach Konsultationen mit Unternehmen und ihren Vertretern will die Europäische Kommission außerdem in vier Bereichen, die für KMU besonders wichtig sind, neue Rechtsvorschriften vorschlagen. Demnach soll eine neue allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung die Verfahren für die Inanspruchnahme von staatlichen Beihilfen vereinfachen und Kosten sparen. Durch sie können KMU mehr staatliche Hilfen erhalten und sich leichter Mittel für Bildung, Forschung und Entwicklung, Umweltschutz und anderes erschließen.

Durch das neue Statut der Europäischen Privatgesellschaft (Société privée européenne - SPE) können in allen Mitgliedstaaten Europäische Privatgesellschaften gegründet werden, die nach denselben Grundsätzen arbeiten. Diese neue Art der Rechtsform wurde entwickelt, weil für grenzüberschreitend tätige KMU heutzutage sehr kostspielige Verpflichtungen bestehen: Sie müssen bislang in jedem Mitgliedstaat, in dem sie tätig werden wollen, Tochterunternehmen mit jeweils unterschiedlicher Rechtsform gründen. Die SPE würde in der Praxis bedeuten, dass für ein KMU ein und dieselbe Rechtsform ausreicht, gleichgültig ob es nur in seinem eigenen Mitgliedstaat oder auch in anderen tätig ist. Die Entscheidung für die SPE erspart den Unternehmern Zeit und Geld für Rechtsberatung, Management und Verwaltung, hoffen die Kommissare. Über die bereits bestehende Zusage hinaus, den Verwaltungsaufwand bis zum Jahr 2012 um 25 Prozent zu reduzieren, sollte der Zeitbedarf zur Gründung eines neuen Unternehmens eine Woche nicht überschreiten, hieß es. Die Höchstdauer zur Erteilung von Unternehmenslizenzen und -zulassungen sollte demnach nur noch einen Monat betragen. Außerdem sollen zentrale Anlaufstellen eingerichtet werden, die bei Neugründungen und Personaleinstellungen weiterhelfen.

Die Kommission kündigte zudem einen neuen Vorschlag über die Mehrwertsteuer an. Er soll den Mitgliedstaaten die Möglichkeit bieten, für lokal erbrachte Dienstleistungen ermäßigte Mehrwertsteuersätze zu erheben. Dazu gehören auch personalintensive Dienstleistungen, die hauptsächlich von kleinen und mittleren Unternehmen erbracht werden. Eine für 2009 vorgesehene Änderung der Richtlinie über Zahlungsverzögerungen soll dazu beitragen, dass die KMU künftig innerhalb der festgelegten Zahlungsfrist von 30 Tagen ihr Geld erhalten.

Bezüglich ihrer für kleine und mittlere Unternehmen extrem schädlichen Softwarepatentlegalisierungspolitik machte die Kommission dagegen keine Anstalten, ihre Position zu verändern. Im Gegenteil: Was von den bilateralen Verhandlungen über eine "Patentharmonisierung" mit den USA drang, ließ die Alarmglocken bei kleinen und mittleren Unternehmen in Europa jüngst erneut laut aufläuten.

Zahnloser Tiger

Etwa 15 000 Lobbyisten arbeiten in Brüssel und versuchen für mehr als 2500 Organisationen, auf europapolitische Weichenstellungen Einfluss zu nehmen. Licht in das Dunkel des zumeist anonymen Treibens soll nun ein freiwilliges Register bringen.

Seit Montag haben die Lobbyisten die Möglichkeit, sich freiwillig in ein öffentliches Register der EU einzutragen. Das Europäische Parlament hatte sich im Mai dem Papier der Kommission angeschlossen und sich für ein gemeinsames, übergreifendes und verbindliches EU-Lobbyisten-Register ausgesprochen, das auch einen Verhaltenskodex enthält.

Nach der Definition der EU-Kommission betrifft Lobbying »alle Tätigkeiten, mit denen auf die Politikgestaltung und den Entscheidungsprozess der europäischen Organe und Einrichtungen Einfluss genommen werden soll«. Ausdrücklich genannt werden in der Liste professionelle Lobbyisten, interne Unternehmenslobbyisten, nichtstaatliche Organisationen, Denkfabriken, Berufsverbände, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, Organisationen sowie Anwälte, die Einfluss auf die Politik nehmen sollen.

Unabhängige Organisationen hatten seit Jahren die Registrierung der Lobbyisten gefordert. Denn der Verdacht lag nahe, dass bis in höchste Gremien Entscheidungen beeinflusst wurden. LobbyControl offenbarte etwa den Fall des ehemaligen SPD-Europaabgeordneten Rolf Linkohr, der Energiekommissar Andris Piebalgs in Atomfragen beriet und zugleich in den Aufsichtsräten der »Atomkonzerne« EnBW und Vattenfall saß.

Die Initiative LobbyControl, die sich für Transparenz und Demokratie stark macht, stellte zusammen mit ihren europäischen Partnern im Netzwerk ALTER-EU den Ansatz der Freiwilligkeit schon während des Konsultationsverfahrens in Frage. Gerade die schwarzen Schafe würden sich kaum aus dem Schatten locken lassen, prophezeite LobbyControl. ALTER-EU bemängelte zudem, dass das Register nur die Lobbyorganisationen, nicht aber die Namen der Lobbyisten aufliste, was die Aufdeckung von Interessenkonflikten erschwere. Der Luxemburger Grünen-Abgeordnete Claude Turmes bezeichnete das Verzeichnis deshalb als einen »zahnlosen Tiger«.

Donnerstag, 19. Juni 2008

Die EU kämpft gegen Armut – für ein Jahr

Das Europäische Parlament hat diese Woche mit großer Mehrheit dem Vorschlag zugestimmt, 2010 zum »Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung« zu erklären.

Insgesamt 78 Millionen EU-Bürger seien von Armut bedroht, darunter 19 Millionen Kinder, betonten die Abgeordneten. Ein Schwerpunkt soll deshalb auf der Bekämpfung von Kinderarmut liegen. Initiativen im Laufe des Jahres sollen die »Vererbung von Armut« bekämpfen, benachteiligte Regionen unterstützen und die Integration von Einwanderern fördern. Im Mittelpunkt der Förderung stehen Großfamilien, alleinerziehende Eltern, Familien, die pflegebedürftige Personen betreuen, und Kinder. Darüber hinaus sind Aktionen geplant, die beispielsweise den Zugang zu Kultur und Freizeitmöglichkeiten erleichtern und die Eingliederung von Zuwanderern fördern.

Die EU will 17 Millionen Euro für Veranstaltungen, Informationskampagnen und Studien im Rahmen des Europäischen Jahres gegen Armut bereitstellen, der höchste Betrag, der je für ein Europäisches Jahr zur Verfügung gestellt wurde. Die Kosten für Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene können mit bis zu 80 Prozent bezuschusst werden. Aktionen auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene haben Anspruch auf maximal 50 Prozent Kofinanzierung.

»Dringend nötig« als Katalysator für ein wachsendes Bewusstsein von Politik und Öffentlichkeit hält die EU-Abgeordnete der GUE/NGL-Fraktion Gabi Zimmer das Europäische Jahr 2010. Um Armut ernsthaft zu bekämpfen und als gesellschaftliches Problem auszumerzen, wären allerdings konkrete, verbindliche Politikstrategien, Zielstellungen und die Garantie individueller Rechte auf ein Leben ohne Armut und soziale Ausgrenzung innerhalb der EU erforderlich, sagte sie in Straßburg. Bisher seien die Strategien der EU jedoch »nicht direkt mit der Bekämpfung von Armut verknüpft«. Es habe sich gezeigt, dass Wirtschafts- und Jobwachstum keinen positiven Einfluss auf diese Entwicklung hätten. »Selbst die reichsten Mitgliedstaaten der EU müssen ein Anwachsen der Zahlen von Menschen, die in Armut oder unterhalb der Armutsrisikoschwelle leben, konstatieren«, sagte Zimmer. In Deutschland seien in den letzten Jahren gerade die Niedrigeinkommen weiter gesunken.

In einem Bericht des »Bureau of European Policy Advisers«, der im Auftrag der EU-Komission im vergangenen Jahr veröffentlicht worden war, wurde festgestellt, dass in Deutschland 42 Prozent der unter 30-jährigen Alleinlebenden und 44 Prozent der Alleinerziehenden von Armut betroffen oder gefährdet sind.

Dienstag, 17. Juni 2008

Müll-Recycling vor dem Aus?

In der Europäischen Union werden jedes Jahr mehr als 1,8 Milliarden Tonnen Abfall produziert, doch nicht einmal ein Drittel davon wird wiederverwertet. In einigen Mitgliedstaaten wandern bis zu 90 Prozent der Siedlungsabfälle auf Deponien. Und die Müllberge wachsen schneller als das Bruttoinlandsprodukt der EU.

Seit nunmehr drei Jahren basteln die gesetzgebenden Gremien deshalb an Änderungen der Abfallrahmenrichtlinie, die den Trend zu immer größeren Müllmengen brechen sollen. Ziel ist, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, endlich bindende nationale Programme zur Abfallverringerung zu erlassen. In dem Entwurf, den das Europaparlament in Straßburg am Dienstag beriet und verabschiedete, gibt es hierzu einheitliche Definitionen und Grundregeln. Im Kern enthält der nach zähem Ringen zwischen Parlament, EU-Kommission und Umweltministerrat erzielte Kompromiss eine so genannte Fünf-Stufen-Hierarchie, die eine Prioritätenfolge für die Abfallbewirtschaftung festlegt: An erster Stelle steht demnach die Abfallvermeidung, gefolgt von Wiederverwertung, Recycling, »sonstiger Verwertung« und als ausschließlich letzter Option die Abfallbeseitigung. Das Papier lässt aber ausdrücklich Ausnahmen zu, sofern dies durch »Lebenszyklusdenken hinsichtlich der gesamten Auswirkungen der Erzeugung und Bewirtschaftung dieser Abfälle gerechtfertigt ist«.

Gerade diese schwammigen Formulierungen sorgten nicht nur in den Reihen der grünen Europapolitiker für Unmut, auch Naturschutzverbände liefen im Vorfeld dagegen Sturm. Es gebe keinen echten Anreiz, Müll zu vermeiden oder zu recyceln, monierten sie. Dagegen werde die Müllverbrennung ausdrücklich aufgewertet und vereinfacht, denn künftig könne zwischen Abfall und sogenannten Nebenprodukten unterschieden werden. Während Abfall ortsnah entsorgt werden müsse, dürften Nebenprodukte – diese können im Prinzip alles sein, was noch irgendwie nutzbar ist – sogar aus der EU hinaus abtransportiert werden.

Eine weitere Kritik: Die neue Richtlinie enthalte keinerlei konkrete Quoten für Haus-, Gewerbe- und Industrieabfälle, sondern lediglich Zielvorgaben für Stoffe, die ohnehin bereits überall getrennt gesammelt werden. Demnach soll Bauschutt bis zum Jahr 2020 zu 70 Prozent recycelt werden, Metall, Glas, Papier und Plastik zu insgesamt 50 Prozent. Diese Vorgaben werden aber von der Hälfte der Mitgliedstaaten bereits heute erreicht, und sieben weitere Länder bleiben bislang nur ganz knapp darunter. Darüber hinaus braucht kein »Sünder« Sanktionen zu fürchten. Die Zielvorgaben sind lediglich Orientierungswerte, die keinerlei verbindlichen Charakter besitzen.

So wird sich der umweltpolitisch fatale Trend – Müllverbrennung statt Vermeidung oder Recycling – in der EU weiter fortsetzen. Auch beim Recyclingvorreiter Deutschland gibt es 71 solcher Anlagen und weitere 74 sind geplant oder befinden sich bereits im Bau. Dazu passen auch die Zahlen, die die Nichtregierungsorganisation CEE Bankwatch kürzlich veröffentlichte: Zwei Drittel der EU-Gelder für die Kreislaufwirtschaft fließen in Anlagen zur Verfeuerung von Abfällen, allein die Europäische Investitionsbank hatte in den Jahren von 2000 bis 2006 rund eine Milliarde Euro in solche Projekte gepumpt. Für Recyclingtechnologien gab die Bank dagegen nur 15 Millionen Euro aus.

Donnerstag, 5. Juni 2008

Sarkozy will EU-Partner mit ins Boot holen

Am 13. Juli soll die Mittelmeerunion gegründet werden, mit der die ins Stocken geratene Nachbarschaftspolitik der EU mit Nordafrika und dem Nahen Osten aufgefrischt werden soll. Dieser Union sollen die 27 EU-Staaten sowie 16 weitere Länder von Algerien bis Libyen angehören.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hatte sich vor der Gründung der Mittelmeerunion nicht nur als Vater der Idee prachtvoll in Szene gesetzt, sondern er erhoffte sich auch wichtige Pluspunkte für die im Juli beginnende französische EU-Ratspräsidentschaft. Sarkozy hatte für sich in Anspruch genommen, die künftige Mittelmeerunion für einen Zeitraum von zwei Jahren repräsentieren zu wollen. Damit war der Ärger programmiert. Inzwischen kündigte der französische Staatschef an, auf dem Brüsseler Gipfel am 19. und 20. Juni einlenken zu wollen und die anderen EU-Partner gleichberechtigt beteiligen zu wollen. Demnach ist die Amtszeit auf ein halbes Jahr beschränkt; dem jeweiligen EU-Ratschef sollen ein Ko-Vorsitzender aus Nordafrika oder Nahost zur Seite stehen. Damit musste Sarkozy erneut nachgeben: Auf Druck vor allem der Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte der Präsident die Mittelmeerunion für alle EU-Staaten öffnen müssen.

EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner schlug am Donnerstag in Brüssel vor, dass sich die Staats- und Regierungschefs zweimal im Jahr zu einem Gipfel treffen sollten, denn der stelle »einen günstigen Raum für Dialog und freien Meinungsaustausch« dar. Das Gipfeltreffen in Paris sei eine Chance, »die Beziehungen zu unseren Partnern auf einer stabilen Grundlage zu entwickeln«, meinte die Außenkommissarin in der Debatte zum Barcelona-Prozess.

Im Parlament selbst gab es kaum einen Redner, der nicht etwa die Idee einer solchen Mittelmeerunion ausdrücklich begrüßte, denn der Barcelona-Prozess gilt schon seit einigen Jahren als heftig ins Stocken geraten. Vor allem die linke Fraktion machte immer wieder auf die Folgen der EU-Politik und der Abschottung der Außengrenzen für die Migration aufmerksam, die den immer wieder formulierten Ansprüchen entgegenstünden. GUE/NGL-Fraktionschef Francis Wurtz machte denn auch deutlich, dass das Thema »weit über die Nachbarschaftspolitik hinaus« gehe, es betreffe »die Stabilität in der gesamten Region«. Weder wirtschaftliches Gleichgewicht noch Wohlstand seien entgegen der Versprechungen eingetreten, konstatierte der Vorsitzende der Linksfraktion.

Martin Schulz, Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, konnte sich in der Debatte einen Seitenhieb auf den französischen Regierungschef nicht verkneifen. Er wollte in Anspielung auf Ferrero-Waldner, die wegen der Rolle Sarkozys ihre Rede ausdrücklich in dessen Landessprache hielt, eben deshalb seinen Beitrag nicht in Französisch vortragen. Die Mittelmeerunion sei keine Idee Sarkozys, sagte Schulz und räumte ein, dass der Regierungschef inzwischen »etwas vernünftiger« geworden sei. Schulz verwies ebenfalls auf die mangelhafte soziale Stabilität im Mittelmeerraum. Deshalb sei die ökonomische Integration eine »sehr, sehr gute Idee«.

Die wirtschaftliche Komponente soll ohnehin in der künftigen Union eine wichtige Säule darstellen. Die EU-Kommission will mit den Partnern, mit denen sie bisher eher lose im Rahmen der EU-Nachbarschaftspolitik über den sogenannten Barcelona-Prozess verbunden war, mehrere Großprojekte realisieren. So wird eine Autobahn durch Syrien, Libanon, Ägypten und Marokko führen, die zum Ausbau des Handels mit der EU beitragen soll. Die EU will in derartige Projekte bis 2012 rund 16 Milliarden Euro pumpen, hofft aber auch noch auf private Geldgeber.

Und das nicht ohne Grund. Bereits vor der Gründung der Union hatten sich mehrere Staaten gegen eine Erhöhung des Etats für den Barcelona-Prozess ausgesprochen und Sarkozy hatte ein Engagement der Privatwirtschaft zur Kofinanzierung entsprechender Projekte ins Gespräch gebracht. Für den Obmann der Bundestagsfraktion DIE LINKE im Ausschuss für EU-Angelegenheiten, Alexander Ulrich, ein Unding: Es sei »völlig inakzeptabel, private Investoren mit hoheitlichen Aufgaben zu betrauen, damit sie ihre wirtschaftlichen Interessen in der Energieaußenpolitik oder der Flüchtlingsfrage verwirklichen«, sagte Ulrich. Sollten sich Sarkozy und die Kommission durchsetzen, bliebe die »außenpolitische Kompetenz mit dem Rat verschränkt und es gäbe auch weiterhin keine effektive parlamentarische Kontrolle«.