Freitag, 28. April 2006

Kritische Post an Brüssel - Seit Jahren wächst die Zahl der Beschwerden gegen EU-Insitutionen

Zu Wochenbeginn stellte der Europäische Bürgerbeauftragte Nikiforos Diamandouros seinen Jahresbericht 2005 vor. Kritik gab es vor allem an der Arbeit der EU-Kommission.

Eine Pressekonferenz mit einem EU-Bürgerbeauftragten ist nicht unbedingt das, was sich Journalisten wünschen. Da kommen wenig konkrete Fälle auf den Tisch und es wird viel, sehr viel mit Zahlen hantiert. Abstrakte Zahlen, die recht wenig Auskunft darüber geben, wie unzufrieden die Europäer mit den EU-Institutionen wirklich sind. Fällt ein Trend ins Auge, etwa die offensichtliche »Beschwerdefreudigkeit« in den kleinen EU-Staaten, beeilte sich der Ombudsmann sogleich, die Statistik wieder gerade zu rücken. Nein, sagt der Grieche Nikiforos Diamandouros, so könne man das nicht sehen: Im Verhältnis zur tatsächlichen Bevölkerung ergebe sich ein ganz anderes Bild. »Sie wissen doch, wie das mit den Statistiken ist«, schiebt Diamandouros noch lächelnd nach.

Dennoch zaubert der Bürgerbeauftragte einige Zahlen hervor, welche die Zunahme der Arbeit seiner Behörde verdeutlichen sollten. Nach der EU-Erweiterung im Jahr 2004 musste das Büro von Diamandouros gleich 53 Prozent mehr Anfragen zu Machtmissbrauch, Missständen und Ungerechtigkeiten in Institutionen der EU bearbeiten. Und auch im vergangenen Jahr habe dieser Trend angehalten, es seien sogar noch einmal fünf Prozent mehr Beschwerden hinzugekommen.

Jährlich bearbeitet der Bürgerbeauftragte rund 4000 Hinweise von Bürgern, Unternehmen und Verbänden, von denen etwa 70 Prozent wirkliche Anfragen und Beschwerden seien, die die europäischen Institutionen beträfen, sagt Diamandouros. Jede fünfte Beschwerde komme aus Spanien, die Post aus Deutschland mache etwa 10,5 Prozent aus. Das ist zwar der zweithöchste Wert, aber gemessen an der Bevölkerung zeigten sich die Deutschen zurückhaltend.

Legt man diesen Maßstab an, dann wären die Griechen deutlich aktiver. Doch auch für diesen Umstand hat der 63-Jährige eine Erklärung: Als sein finnischer Vorgänger Jacob Söderman im Amt war, zeigten sich gerade die Finnen alles andere als schreibfaul. Das Vertrauen der Menschen sei eben besonders groß, schlussfolgerte Diamandouros, wenn sich ein Landsmann im Amt befindet.

In den insgesamt elf Jahren des Bestehens der Behörde haben der griechische Amtsinhaber und sein finnischer Vorgänger etwa 20 000 Beschwerden entgegengenommen, behandelt oder zur Beantwortung weitergeben. Letztlich war der Ombudsmann für etwa 6000 Fälle tatsächlich zuständig, die andere Post musste weitergereicht werden oder ging an die Adressaten zurück.

Das Amt habe bislang elf Sonderberichte für die Europäische Kommission gefertigt, die Diamandouros als die »schärfste Waffe« bezeichnet. Häufige Anfragen und Beschwerden gebe es bezüglich der Verwaltungstätigkeit von EU-Institutionen und bei der Einstellung von neuem Personal, sagt der Europäische Bürgerbeauftragte. Die meisten Untersuchungen betrafen mit rund 68 Prozent die Arbeit der EU-Kommission.

Dann nennt Diamandouros doch noch einige Beispiele dafür, wo sich sein Einschreiten gelohnt habe und greifbare Ergebnisse zustande kamen. So hätten EU-Institutionen Rechnungen und Zinsen nach seinem Einschreiten bezahlt, Dokumente freigegeben und sich für Fehler entschuldigt. Einen Ansturm mit Beschwerden aus Spanien habe es gegeben, die im Zusammenhang mit Klagen öffentlicher Bibliotheken über eine EU-Entscheidung zum Urheberrecht standen. Erst kürzlich bekam der Ombudsmann wegen eines Hafenprojekts auf Teneriffa schon weit mehr Post aus diesem Land als im Jahr 2004 aus der gesamten Europäischen Union.

Aus Deutschland trudelte vor einiger Zeit eine handfeste Beschwerde des Vereins zum Schutz der deutschen Sprache ein, der sich bitter über die mangelhafte Verwendung der offiziellen Amts-sprache Deutsch auf den Webseiten der EU-Präsidentschaften beklagte. Diamandouros macht klar, dass er sich weder für noch gegen das Ansinnen aussprechen könne, das sei nicht seine Aufgabe. Er habe lediglich die Beschwerde an den Rat weitergereicht, versehen mit einer Stellungnahme und der Aufforderung, die Anfrage des Vereins zu beantworten. Doch gerade die Übersetzungen bereiten dem Büro des Europäischen Bürgerbeauftragten selbst einige Schwierigkeiten. Auch der etwa 200-seitige Jahresbericht, den Diamandouros in dieser Woche vorgestellt hat, lag der Presse nur auf Englisch vor. Die Übersetzungen kämen erst im Juli, entschuldigt sich der Grieche. Er habe sich aber entschieden, mit der Veröffentlichung nicht so lange zu warten ...

Montag, 24. April 2006

Gasprom spielt mit Muskeln - Brüssel fordert vom russischen Konzern die Einhaltung der Lieferverträge

Gasprom-Chef Alexej Miller hatte in der vergangenen Woche gedroht, man werde den Europäern den Gashahn zudrehen, sollte die Europäische Union den Expansionsdrang des Konzerns bremsen wollen.

Der russische Energieriese Gasprom spielt mit den Muskeln. Kürzlich hatte er angekündigt, künftig nicht nur als Lieferant auf dem europäischen Markt mitmischen, sondern selbst als Anbieter in Erscheinung treten zu wollen.

Als sich die EU-Regierungschefs auf ihrem Frühjahrsgipfel mit dem Thema beschäftigten, ahnten sie nicht, dass ihre Abhängigkeit von russischen Gas nur wenige Wochen später Anlass für ernste Auseinandersetzungen werden könnte. Die EU-Länder beziehen derzeit ein Viertel ihrer Gasimporte aus Russland. Deutschland sicherte sogar die heimische Gasversorgung mit russischen Importen zu mehr als 35 Prozent ab. Wie ernst die Lage für die abhängigen Europäer wirklich werden könnte, zeigten die Konflikte zwischen Russland und der Ukraine vor wenigen Monaten. Für Gasprom war es ein leichtes Unterfangen, die Nachbarn aus Mangel an Alternativen zu Zugeständnissen zu bewegen und die Preise nach oben zu schrauben. Erst dieser Tage hatte das Unternehmen angekündigt, ab Juni wieder an der Preisschraube drehen zu wollen. Staatschef Wladimir Putin beeilte sich zwar, den zunehmend nervös werdenden Europäern zu versichern, dass sich sein Land an die Lieferverpflichtungen gebunden fühlt. Doch in diesen Tagen scheint seine Zusage nichts mehr wert zu sein.

Dass die offene Drohung des Gasprom-Chefs in Brüssel nicht unbeantwortet bleiben konnte, war vorauszusehen. Ein Sprecher von EU-Energiekommissar Andris Piebalgs forderte das russische Unternehmen erst einmal auf, die Lieferverträge einzuhalten. Naturgemäß würden Lieferanten wie Abnehmer auf einem »zunehmend global orientierten Gasmarkt« möglichst viele verschiedene Kunden und Bezugsquellen finden wollen, doch dies dürfe nicht missbraucht werden. Auf eine Eskalation mit dem Energieriesen, will es die Kommission anscheinend nicht ankommen lassen.

Vorsichtig machte der Sprecher des Energiekommissariats deutlich, wo der Ausweg aus der schwierigen Lage für die EU-Mitglieder liegen könnte. Herkunft und Versorgungswege der Energielieferungen müssten sehr viel breiter gefächert werden, hieß es. Und die Anzahl derer, die vor einer zu großen Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen warnen, nimmt weiter spürbar zu. Österreichs Wirtschaftsminister Martin Bartenstein etwa brachte wieder die Diskussion um »alternative Pipeline-Projekte« ins Gespräch.

Mit größter Spannung gehen die europäischen Staaten am 25.Mai im Kurort Sotschi in den EU-Russland-Gipfel, der sich auch mit der Energiefrage befassen wird. Bereits zwei Monate später findet der G-8-Gipfel in Petersburg statt. Eigentlich sollte Russland dort endlich dem langjährigen Drängen nachgeben und die Energiecharta ratifizieren. Doch der Vertrag, der die freien marktwirtschaftlichen Verhältnisse im Energiebereich zwischen den Ländern regeln soll, wird wohl auch – so vermuten Experten – nach Sotschi und St. Petersburg ohne die russische Unterschrift bleiben. Außer der Europäischen Union haben die Charta bislang noch weitere 50 Staaten ratifiziert oder sind dem Vertragswerk beigetreten.

Übrigens findet der mögliche Konflikt zwischen der Europäischen Union und dem russischen Energieriesen mit deutscher Beteiligung statt. E.ON ist mit 6,5 Prozent an Gasprom beteiligt. Gemeinsam mit der BASF-Tochter Wintershall Partner ist EO.N zudem Partner von Gasprom beim Bau der geplanten Ostsee-Pipeline, durch die ab 2010 russisches Erdgas von Sibirien aus nach Deutschland gelangen soll. Und auf der Gehaltsliste des Pipeline-Konsortiums findet sich der Name eines alten Bekannten, nämlich der des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder.

Freitag, 7. April 2006

Wenig Einwanderung - EU-Studie zwei Jahre nach Osterweiterung

Das Europäische Parlament in Straßburg hat einen Bericht angenommen, in dem die EU-Mitglieder aufgefordert werden, die Zugangsbeschränkungen für Arbeitnehmer aus den »neuen« EU-Staaten aufzuheben.

Belastungen auf den Arbeitsmärkten der alten Mitgliedstaaten seien ausgeblieben, Ängste vor massenhafter Arbeitsmigration hätten sich als unbegründet erwiesen, hieß es. Übergangsfristen, wie sie auch die Bundesrepublik beschloss, hätten zu mehr Schwarzarbeit, Scheinselbstständigkeit, Lohndruck und unfairen Arbeitsbedingungen beigetragen.

Seit 1. Mai 2004 haben Irland, Großbritannien und Schweden ihre Arbeitsmärkte uneingeschränkt geöffnet. Finnland, Spanien und Portugal hatten zuletzt angekündigt, die Beschränkungen aufzuheben. Österreich und Deutschland teilten dagegen mit, noch bis 2009 Einschränkungen aufrecht erhalten zu wollen. Danach könnten sie diese Frist noch um zwei Jahre verlängern.

Laut EU-Kommission war die Zuwanderung von Arbeitskräften aus Mittel- und Osteuropa weit geringer als erwartet. Staatsangehörige der »EU-10« machten 2005 – mit Ausnahme von Österreich (1,4 Prozent) und Irland (3,8 Prozent) – in allen Ländern weniger als ein Prozent der Erwerbsbevölkerung aus. In Deutschland des Jahres 2004 waren es 0,9 Prozent der Bevölkerung im Erwerbsalter.

Kritisch sehen mache, dass »langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige in bestimmten Fällen« einen besseren Status besitzen als die Bürger der neuen EU-Staaten. Solidarität mit Drittstaaten-Arbeitern dürfe nicht zur Diskriminierung derselben führen.

Donnerstag, 6. April 2006

Nur kosmetische Änderungen am »Bolkestein-Hammer« - Kommission entschärfte Regelungen allein bei Begriffen

Seit Dienstag liegt der neue Vorschlag der EU-Kommission zur Dienstleistungsrichtlinie auf dem Tisch. An der neoliberalen Ausrichtung des Papiers hat sich nichts geändert.

Die EU-Kommission hatte in den vergangenen Wochen mit unterschiedlichen Statistiken hantiert, um zu belegen, dass durch eine Öffnung der europäischen Dienstleistungsmärkte Hunderttausende neue Arbeitsplätze entstehen könnten. Zwei Drittel der EU-Wirtschaftsleistung würden bereits heute von diesem Sektor erbracht, hieß es. Am Dienstag stellte EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy nun die modifizierte Variante der Dienstleistungsrichtlinie vor. Für die Linke im Europäischen Parlament bleibt allerdings auch dieses Papier ein »fauler Kompromiss«.

Bis zum Ende der vergangenen Woche war noch unklar, welchen überarbeiteten Entwurf McCreevy im Namen der Kommission zücken würde. Die letzte Variante, die unter den Pressevertretern kursierte, sorgte zunächst noch einmal für Irritationen, weil sie sich nicht an den vom Parlament gebilligten Kompromiss hielt: In dem Papier wollte die Kommission dem »Bolkestein-Hammer« wieder Vorrang vor den so genannten sektoralen Richtlinien einräumen. Auch tauchten die ausdrücklich vom Anwendungsbereich ausgenommenen sozialen Dienstleistungen plötzlich in einer »abschließenden Liste« wieder auf. Zudem wirkten einige Definitionen ziemlich schwammig.

Die parlamentarische Auseinandersetzung um die Dienstleistungsrichtlinie scheint aber nun nach der Vorlage des »überarbeiteten« Papiers beendet zu sein. Binnenmarktkommissar McCreevy hatte den neuen Entwurf, der sich allen wesentlichen Forderungen des Europäischen Parlaments von Mitte Februar anschließt, am Dienstagnachmittag im Straßburger Plenum vorgestellt. So hatte Brüssel auch in dem bislang strittigen Punkt des Herkunftslandprinzips eingelenkt. Nach der neuesten Variante der »Bolkestein-Richtlinie« müssen künftig Handwerker und Dienstleister die Gesetze des Landes einhalten, in dem sie tätig werden wollen.

Der jetzt vorliegende Entwurf berücksichtigt auch wieder die Forderungen des Parlaments, wonach bestimmte »Dienste von allgemeinem Interesse« nicht von einer Marktöffnung betroffen sein sollen. Dazu gehören die Wasserversorgung und die Müllabfuhr, aber auch soziale Tätigkeiten und Gesundheitsdienste. Hier sollen auch weiterhin die nationalen Vorschriften des Ziellandes ihre Gültigkeit behalten.

Bereits der Beschluss zur Dienstleistungsrichtlinie vom Februar 2006 sei »ein schlechter Kompromiss der beiden großen Fraktionen«, dem unter anderem die Grünen und die Linken im Europäischen Parlament die Zustimmung verweigert hatten, betonte Heidi Rühle. Die stellvertretende Fraktionschefin der Grünen kritisierte auch den überarbeiteten Entwurf, »der sich im wesentlichen an den Ergebnissen der ersten Lesung orientiert«. Mit dem Papier habe die Kommission die Chance verpasst, »eine zukunftsfähige und nachhaltige Regelung für Dienstleistungen vorzulegen«, sagte sie. Der neue Richtlinienvorschlag stelle keine inhaltliche Verbesserung dar und gehe daher in die falsche Richtung.

Hauptkritikpunkte der Grünen sind vor allem, dass sich auch der neue Entwurf nicht klar auf kommerzielle Dienstleistungen beschränkt. Die Folge sei »ein unübersichtlicher Katalog an Einzelausnahmen unterschiedlichen Ranges«, meinte Rühle. Die Kommission untergrabe damit die Möglichkeit, die Daseinsvorsorge separat in einer eigenen Rahmenrichtlinie zu regeln und so die öffentlichen Dienste zu schützen. Außerdem sei – wie im Parlamentstext – wieder keine zufriedenstellende Alternative zum Herkunftslandprinzip vorgelegt worden: Auf die Nennung des Begriffes werde zwar ausdrücklich verzichtet und »die Marktöffnung durch das Verbot bestimmter Restriktionen vor Ort geregelt«. Aber auch dies führe letztlich vor allem zu offenen Fragen. Rühle glaubt, dass der Europäische Gerichtshof in dieser Frage das letzte Wort haben wird.

Auch für die Linksfraktion im Europäischen Parlament hat sich an der Bewertung des Papiers als »fauler Kompromiss« nichts geändert. Im Ergebnis sei die Richtlinie »nicht nur ein Freifahrtschein für Sozialdumping in Europa, sondern auch ein Schlag ins Gesicht der Gewerkschafter«, sagte der Abgeordnete Tobias Pflüger. Besonders beschämend sei das Verhalten der deutschen Sozialdemokraten, die, anders als ihre französischen Kollegen, »in Nibelungentreue zur Bolkestein-Richtlinie standen und ihre eigene Klientel ans Messer« geliefert hätten.

Sollte auch der Ministerrat die neuen Vorschläge bestätigen, könnte die Dienstleistungsrichtlinie noch in diesem Jahr beschlossen werden. In diesem Falle wäre das Gesetz zum Ende des Jahres 2008 für alle 25 EU-Mitgliedstaaten bindend.