Freitag, 30. Juni 2006

EU kämpft gegen Drogen – in den Anden

Mit einer breit angelegten Kampagne will Brüssel den Drogenmissbrauch in der Europäischen Union bekämpfen. Ins Visier sind dabei auch Staaten außerhalb der EU geraten.

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Franco Frattini, hat einen verstärkten Kampf gegen Drogen und gegen jene angekündigt, »die die Jungen ausbeuten, indem sie diese zum Drogenmissbrauch verleiten«. Frattini will seinen Feldzug vor allem gegen die klassischen Anbauländer intensivieren und in der Rauschgiftszene »Netze zerstören und ausrotten«.
So schießt Europa große Geldsummen in die so genannten Drittländer. Man habe die Unterstützung der Bekämpfung des Drogenhandels in den vergangenen drei Jahren fast verdoppelt, betonte Frattini. Allein im vergangenen Jahr hätten die Mitgliedstaaten und die Kommission außerhalb Europas Projekte mit mehr als 500 Millionen Euro gefördert. Dabei habe der Schwerpunkt auf Afghanistan und Lateinamerika gelegen. Insbesondere in alternative Entwicklungsprojekte zur Verringerung des Anbaus von Kokapflanzen in den Andenländern sei das Geld geflossen.

Tatsächlich konnte kürzlich der Chef der UN-Behörde für Drogen und Kriminalität (UNODC), Antonio Maria Costa, bei der Vorstellung des Weltdrogenberichts 2006 erstmals nach einem Vierteljahrhundert einen Rückgang des Konsums illegaler Rauschmittel konstatieren. Dazu beigetragen hätten vor allem die Erfolge der Anti-Drogen-Kämpfer im Goldenen Dreieck von Laos, Myanmar (Burma) und Thailand. Allein Laos, bis Mitte der 90er Jahre drittgrößter Opiumproduzent der Welt, habe 2005 seine Schlafmohnproduktion um 72 Prozent reduziert.

Cannabis bleibt nach Angaben der UNODC die meistverbreitete Droge der Welt. Etwa 200 Millionen Menschen zwischen 15 und 64 Jahren konsumierten 2004 mindestens einmal eine illegale Droge, davon 162 Millionen Personen Cannabis. In Europa folgt auf Platz zwei nach dem aus Hanf hergestellten Rauschgift, das von rund 12 Millionen Menschen konsumiert wird, Ecstasy. Nach Angaben der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht greifen in einigen Mitgliedstaaten bis zu acht Prozent der jungen Menschen regelmäßig zu dieser synthetischen Droge. Insgesamt sterben in der EU jährlich mehr als 8 000 Menschen, hauptsächlich junge Männer im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, an einer Überdosis, sagte Frattini. Schätzungen zufolge liegt die tatsächliche Zahl der drogenbedingten Todesfälle aber etwa dreimal so hoch, da nicht alle Todesfälle gemeldet oder aufgeklärt werden.

In den ersten zwei Jahren des laufenden EU-Programms für Öffentliche Gesundheit wurden mehr als 4,1 Millionen Euro unmittelbar für drogenbezogene Projekte aufgewendet, erklärte EU-Gesundheitskommissar Markos Kyprianou ergänzend. Vorrangig gefördert wurden u.a. Präventionsprogramme und bewährte Vorgehensweisen bei der Behandlung und der gesellschaftlichen Wiedereingliederung Drogenabhängiger. Kyprianou räumte allerdings ein, dass vor allem der Drogenmissbrauch in europäischen Haftanstalten kaum mehr in den Griff zu bekommen sei.

Auch Frattini wird es nicht ganz leicht haben, seine Pläne zur praktischen Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten bei der Drogenbekämpfung durchzusetzen. Natürlich bekam der Vize-Kommissionschef die Frage gestellt, wie er denn die Rolle der Niederländer beurteile. Denn vom Kampf gegen Drogen in den EU-Ländern selbst sei bezeichnenderweise keine Rede gewesen. Die Niederlande gilt als Drehscheibe im Rauschgifthandel, hat tausende Shops, in den Drogen legal erworben werden können und dürfte wohl der größte Haschisch- und Cannabisproduzent in Europa sein. Frattini flüchtete sich in den Hinweis, dass jedes Mitglied »natürlich das Gesetz beachten« müsse. Etwas klarer wurde er mit der Bemerkung, dass »die Möglichkeit, europaweit einzuschreiten, begrenzt ist«. Schließlich wurde Frattini ganz deutlich: »Meine persönliche Meinung ist restriktiv, aber ich habe keine Macht.«

Samstag, 24. Juni 2006

Vorfahrt für die Straße - EU-Kommission empfiehlt Kehrtwende in der Verkehrspolitik

Die bisherigen Maßnahmen in der Europäischen Verkehrspolitik hatten nach Ansicht der EU-Kommission nicht den gewünschten Effekt, mehr Verkehr auf umweltfreundliche Transportmittel zu bringen. Jetzt soll es einen Strategiewechsel geben.

In einem neuen Strategiepapier zur Halbzeitbilanz des Weißbuches von 2001 gibt die EU-Kommission das Ziel einer Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene nahezu auf. Erwartet wird darin ein Anstieg des Lkw-Güterverkehrs zwischen 2000 und 2020 um 55 Prozent, beim Schienengüterverkehr dagegen nur um 13 Prozent. Die Eisenbahnen sollen dann nur noch einen Marktanteil von acht Prozent bei der Fracht und fünf Prozent bei Passagieren haben. Nur auf Langstrecken, in städtischen Gebieten und in überlasteten Korridoren wolle man weiter auf umweltfreundliche Transporte setzen, sagte EU-Verkehrskommissar Jacques Barrot am Donnerstag bei der Vorstellung des Papiers in Brüssel. Alle Verkehrsträger sollten künftig gleichermaßen gefördert werden.
Die Allianz pro Schiene sieht den Zwischenbericht mit gemischten Gefühlen. Positiv sei die Empfehlung der EU-Kommission, den Öffentlichen Nahverkehr stärker zu fördern, während die Bundesregierung in Deutschland das Gegenteil praktiziere. Für Unverständnis sorgt dagegen bei dem Bündnis aus Gewerkschaften, Umwelt- und Verkehrsverbänden, dass Brüssel von einem sinkenden Marktanteil der Schiene ausgehe. Wenn die EU diesen Verkehrsträger mit gerechten Wettbewerbsbedingungen stärke, werde er seinen Marktanteil in Europa weiter ausbauen.

Ganz ohne Folgenabschätzung

Für den stellvertretenden Vorsitzenden des Verkehrsausschusses im Europaparlament, Gilles Savary, ist nun klar, dass die EU das große Projekt aufgegeben hat, ein nachhaltiges Verkehrssystem zu schaffen. »Ich akzeptiere die Art und Weise nicht, wie die Kommission ein Thema mit solch schwerwiegenden Konsequenzen und ohne die geringsten Folgenabschätzungen vorantreibt«, sagte Savary. Er vertrat die Auffassung, dass die von Brüssel gewünschte Liberalisierung der Bahn dazu führen werde, dass großen Unternehmen wie die Deutschen Bahn oder die französische SNCF kleinere Firmen in Osteuropa schlucken. Dann müsse mit dem Verlust von Arbeitsplätzen in diesen Ländern gerechnet werden.
Die grüne Europaabgeordnete Eva Lichtenberger kritisiert, Kommissar Barrot sei »vor der Straßenlobby in die Knie gegangen«. Die Grünen wollten im Parlament nun alles tun, »um einen fatalen Schwenk in der Verkehrspolitik zu verhindern«. Helmuth Markov von der Linken im Europäischen Parlament erinnerte die Kommission an ihre ursprüngliche Zielstellung, das Verkehrsaufkommen bei einer gleichzeitigen Sicherung des allgemeinen Zugangs zu kostengünstigen und qualitativ hochwertigen Verkehrsdienstleitungen, auch in den ländlichen Regionen, zu reduzieren. Mit den neuen Prioritäten rücke dies genauso in weite Ferne wie das ehrgeizige Ziel, die Zahl der Verkehrstoten von 2001 bis 2010 zu halbieren.

Dagegen schwärmt der Vorsitzende der CSU-Europagruppe Markus Ferber von dem bevorstehenden Kurswechsel in der Verkehrspolitik. Jahrelange Subventionen hätten den Verkehr nicht von der Straße auf die Schiene umleiten können. Das Auto müsse »Teil des Mobilitätskonzepts für das 21. Jahrhundert« werden. Eine einseitige Förderung der Schiene bringe nichts.

Als Hoffnungsschimmer bezeichnen es die Grünen, dass die Kommission wenigstens daran festhält, die Verursacher von Umweltschäden an den entstehenden Kosten zu beteiligen. So werde eine Erhöhung der Maut bei besonders sensiblen Strecken wie den Alpenübergängen ebenso nicht mehr ausgeschlossen wie ein Handel mit Transitrechten, erklärte Eva Lichtenberger. Damit werde die Einrichtung einer »Alpentransitbörse« möglich, wie sie die Grünen und Umweltschützer seit langem fordern. Ob hiermit Lenkungseffekte erzielt werden können, hänge jedoch von der Menge der vergebenen Transitrechte ab. »Diese muss stark beschränkt werden, damit der Alpentransit ein knappes Gut wird.«

Sinn der Eurovignette aufgeweicht

Von anderen Experten wird indes die Zukunft der »Eurovignette« bezweifelt. Nach monatelangen Verhandlungen sei ihr ursprünglicher Zweck, die Finanzierung alternativer Verkehrsmittel, aufgeweicht worden. Nach derzeitigem Stand der Dinge sei die Vignette allenfalls noch eine Gebühr zur Finanzierung des Straßenverkehrs, meinen die Kritiker: Die Verkehrspolitik der EU sei deshalb auf bestem Weg, einen »großen Glaubwürdigkeitsverlust« zu erleiden.

Freitag, 23. Juni 2006

Würfe mit Mozartkugeln - Die Bilanz der österreichischen EU-Präsidentschaft fällt mager aus

Österreichs Regierungschef Wolfgang Schüssel musste am Dienstag im Europäischen Parlament bei der Debatte über die Ergebnisse des jüngsten EU-Gipfels und über den Ratsvorsitz ein Wechselbad der Gefühle erdulden. Neben zahlreichen Lobeshymnen gab es auch heftige Kritik aus der parlamentarischen Opposition.

Die Vorwürfe, die sich Schüssel gefallen lassen musste, waren zum Teil sehr derb. Schüssels »Landsfrau« Eva Lichtenberger (Grüne) sprach etwa davon, dass es im vergangenen halben Jahr »außer Showelementen« überhaupt nur sehr »magere Resultate« gegeben habe. Dagegen sei »mit Mozartkugeln geradezu herumgeworfen« worden, meinte sie in Anspielung darauf, dass die Regierungschefs bei der Ankunft zu den Gipfeltreffen unter österreichischer Ratspräsidentschaft mit derlei Köstlichkeiten bei Laune gehalten wurden.
Die kritischen Abgeordneten benannten zudem die Punkte, die unter Schüssels halbjähriger Regentschaft unterbelichtet geblieben sind: In der Verfassungsdiskussion habe sich Österreich »mit einer Lightversion von Debatten zufrieden« gegeben, meinte Eva Lichtenberger. SPÖ-Delegationsleiterin Maria Berger erinnerte an die starken Kürzungen im europäischen Sozialfonds, zudem habe es keine Fortschritte bei der Arbeitszeitrichtlinie gegeben. Nicht zuletzt seien die Beschäftigungsziele, jährlich zwei Millionen zusätzliche Jobs bis 2010 schaffen zu wollen, »so bescheiden, dass sie durch die Realität schon überholt worden sind«. Schüssel habe die »Latte so niedrig gelegt, dass man nicht darüber stolpern kann«. Andere Redner verwiesen auf weiter fehlende Initiativen der Ratspräsidentschaft bei Frauenpolitik, Gleichstellung und Entwicklungspolitik.

Die Abgeordnete Gabriele Zimmer, die sich als Rednerin der Linksfraktion im Europäischen Parlament zu Wort gemeldet hatte, verwies zunächst auf einen positiven Aspekt, nämlich, dass der Rat in der Vorwoche beschlossen hatte, künftig in Mitentscheidungsverfahren öffentlich zu tagen. Damit komme das Gremium endlich einer wichtigen Forderung ihrer Fraktion nach, sagte sie. Doch konterkarierten die Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten diesen Vorstoß gleich wieder selbst, indem sie genau das Gegenteil von Nachdenklichkeit, Einsicht und Korrektur bisheriger Politik den EU-Bürgern verkünden würden.

Zimmer bezog sich in ihrer Kritik auf die »Schlussfolgerungen des Vorsitzes«, die unter den Überschriften »Europa hört zu«, »Europa handelt« und »Ausblick in die Zukunft« veröffentlicht wurden. Mit »Europa« seien demnach die in der EU Regierenden gemeint, nicht etwa alle in der EU lebenden Menschen, argumentierte sie. Eben diese Regierenden »setzen ihre bisherige Politik fort und dabei auf ein ›schneller, weiter, besser‹ in der Umsetzung«. Tatsächlich würden aber so die sozialen, ökologischen und globalen Probleme zugespitzt. Und unter dem Begriff »Zukunft« werde einzig und allein verstanden, den »Herausforderungen der Globalisierung und des demographischen Wandels« zu entsprechen und erfolgreich die Lissabon-Strategie umzusetzen.

Als besonders alarmierend bezeichnete es die deutsche Abgeordnete, dass unter der Zwischenüberschrift »Förderung von Freiheit, Sicherheit und Recht« nun Maßnahmen überwiegen, »die auf mehr Überwachung, mehr Repression, mehr Abschottung bzw. auf eine Festung Europa zielen, auf die Durchsetzung einer Migrationspolitik, in deren Mittelpunkt eben der Mensch als Wirtschaftsgut steht«. Die Antwort des Rates auf die Flüchtlingsdramen im Mittelmeerraum sei nun die Schaffung so genannter »schneller Grenzeinsatzteams« gewesen.

Dass sich an diesem Kurs unter der kommenden finnischen Ratspräsidentschaft etwas ändern wird, ist kaum zu erwarten. Dagegen hofft Helsinki darauf, die Fortsetzung des EU-Verfassungsprozesses einleiten zu können. Das hatte die finnische Präsidentin Tarja Halonen am Dienstag nach einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin deutlich gemacht. Nach der sechsmonatigen Ratspräsidentschaft Finnlands übernimmt Deutschland am 1. Januar 2007 die EU-Führung.

Ein weiterer Schwerpunkt der EU-Politik unter der Ägide Helsinkis wird die künftige Energieversorgung Europas sein. Angesichts der Abhängigkeit von Öl- und Gas-importen müsse die EU eine gemeinsame Strategie entwerfen, sagte Halonen. In diesem Zusammenhang sollten auch die Beziehungen zu Russland auf eine festere Grundlage gestellt werden.

Donnerstag, 22. Juni 2006

EU-Forschung im Netzwerk - Zentrales Institut für Technologie soll Defizite Europas beseitigen

In der EU soll ein zentrales Institut für Technologie geschaffen werden. Die Pläne der Kommission sind indes nicht unumstritten.

»Europa hinkt hinterher in Forschung, Bildung und Innovation«, meint EU-Komissar Jan Figel. Um die Defizite zu beseitigen, ist die Einrichtung eines »European Institute of Technology« (EIT) geplant. Man wolle die »Wissensgemeinschaften« von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Wirtschaft miteinander verknüpfen, um Spitzenforschung betreiben zu können, so Figel. Es gehe um »einen schnellen Wissenstransfer zur Wirtschaft«.
Nach Prüfung von über 740 Wortmeldungen aus Organisationen und Verbänden hat die EU-Kommission unlängst ihren Entscheidungsprozess abgeschlossen und will ihre Pläne demnächst dem Ministerrat vorlegen. Außerdem sollen Studien zu den Auswirkungen und den rechtlichen Bedingungen erstellt werden.

Worüber der tschechische EU-Kommissar indes nicht gerne spricht, ist der Streit hinter den Kulissen. Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte beispielsweise völlig andere Pläne. Er wollte eine selbstständige Elite-Universität nach amerikanischen Vorbild, scheiterte aber damit bereits im Vorfeld. Die EU-Regierungen wiesen die Pläne von Barroso als »unfinanzierbar« zurück, und auch die großen Forschungsorganisationen lehnten die Idee ab.
Die abgespeckte Variante begründet man in Brüssel nun mit der dem EIT zugedachten Netzwerk-Funktion. Das Institut soll sich aus Teams zusammensetzen, die aus verschiedenen Universitäten, privaten Unternehmen und Forschungszentren kommen. Diese Teams und auch die Ressourcen werden nur für eine bestimmte Zeit an das EIT ausgelagert.

Von welcher europäischen Stadt aus das Institut operieren soll, ist nach wie vor unklar. Es gibt aber Spekulationen im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion um den parlamentarischen Tagungsort Straßburg. Viele Europa-Abgeordnete möchten eine Verlagerung der Parlamentswochen nach Brüssel. Straßburg könnte dann das neue Institut beherbergen.

Auch wenn Barrosos Plan von der selbstständigen Elite-Uni vom Tisch ist, so stellt sich noch immer die Frage nach der Finanzierbarkeit des Instituts. In den vergangenen Wochen war von einer Anschubfinanzierung in Höhe von zwei Millionen Euro die Rede. EU-Kommissar Figel nennt aber bisher keine konkreten Zahlen. Die Frage ist nämlich heikel, denn bestehende Forschungseinrichtungen befürchten, mit der Einrichtung des EIT könnte bereits bestehenden Projekten das Geld gestrichen werden. Ohnehin kürzt die Kommission die Ausgaben für Forschung drastisch zusammen: Statt ursprünglich 70 Milliarden sind jetzt nur noch 42 Milliarden Euro für die Periode 2007-2013 vorgesehen.

Die Idee der Gründung eines EU- Instituts für Technologie kam erstmals im Februar 2005 bei der Halbzeitbewertung des Lissabon-Prozesses auf. Die Kommission konstatierte, dass Europa Schwierigkeiten habe, seine zahlreichen Erfolge in Forschung und Lehre in Wettbewerbsvorteile für europäische Unternehmen umzumünzen. Mit wenigen Ausnahmen hinke Europa bei der Schaffung, Verbreitung und Anwendung von neuem Wissen hinterher.

Dienstag, 20. Juni 2006

Europas Wanderzirkus (Das Blättchen)

Auf Außenstehende wirkt der Vorgang etwas eigenartig: Wenige Tage vor einer Sitzung des Europäischen Parlaments beginnen rund 1300 Eurokraten und deren rund 750 Mitarbeiter mit dem Packen der notwendigsten Utensilien. Sie werden fein säuberlich in mehr als 4000 Kisten verpackt und mit Namensschildchen versehen. Bis zu zehn Lastwagen manövrieren die parlamentarischen Inhalte dann die vierhundert Kilometer lange Strecke von Brüssel nach Straßburg. Nach ein paar Tagen geht die Fuhre wieder zurück in die belgische Metropole.

Alljährlich, ganz in der Nähe der Sommermonate, kommt dann die Diskussion darüber auf, ob sich das zwölf Mal wiederholende Schauspiel eigentlich lohne und ob nicht die zweihundert Millionen Euro, die der »Wanderzirkus« den europäischen Steuerzahlern kostet, an anderer Stelle besser aufgehoben sein könnten. Zumeist gibt es dann einige Initiativen, die ein Ende der Praxis verlangen. So haben die liberalen Parlamentarier in diesem Jahr öffentlichkeitswirksam eine Protestaktion via Internet inszeniert, die zur Läuterung der Verantwortungsträger und zu einem Ablassen vom »nationalstaatlich legitimierten« parlamentarischen Unfug beitragen sollte. Das Interesse schien anfangs rege. Inzwischen ist die Online-Revolution – erwartungsgemäß – wieder etwas abgeebbt.

Nationalstaatlich legitimiert? Bisweilen geht die Allgemeinheit davon aus, daß nur der europäische Verbund der Volksvertreter darüber entscheiden könne, wo sie ihre Sitzungen abhalten. So gesehen hätten also die Abgeordneten gegen sich selbst protestiert und sich in die Enge getrieben. Auch die deutsche Bundeskanzlerin hatte seinerzeit offenbar keine Kenntnis darüber, wer eigentlich ein derartiges Procedere in Gang setzen darf, um die Verschwendung von jährlich etwa zweihundert Millionen Euro zu stoppen. Angela Merkel meinte vor einem Mikrophon, daß über die Zukunft der Tagungsstätten bitte Brüssel entscheiden solle.

Frau Merkel befand sich – wie Millionen ihrer deutschen Landsleute – in dem irrigen Glauben, daß tatsächlich eine parlamentarische Demokratie, zumal auf europäischer Ebene, eine solche Entscheidungsbefugnis besitzt. Die Bilder der unwissenden Kanzlerin huschten über die Bildschirme und offenbarten, daß auch eine Frau Merkel inzwischen gelernt hat, ihre Unwissenheit mit einer gewissen Selbstverständlichkeit auszutragen. Das suggeriert Glaubwürdigkeit. Vor Monaten hätte sie in einer solchen Situation die unsichere Pfarrerstochter gemimt. Glückwunsch. Ihre Berater haben erfolgreiche Arbeit geleistet.

Inzwischen durfte Angela Merkel zum Gipfeltreffen nach Brüssel reisen und inmitten ihrer männlichen Kollegen über das Schicksal Europas referieren und über folgenschwere Entscheidungen brüten. Derweil wird sie auch erfahren haben, was das Blut einiger Parlamentarier in Wallung gebracht haben dürfte, außer der Tatsache, daß mancher einfach die Nase voll hatte vom ewigen Pendelverkehr zwischen der belgischen Hauptstadt und der französischen Kleinstadt. Für die Mieten der parlamentarischen Gebäude soll Straßburg nämlich über Jahre weit mehr verlangt haben, als sie an den Eigentümer, einer Immobilien-Holding, weiterreichte. Etliche Millionen sollen dem Steuerzahler auf diese Weise abhanden gekommen sein und sich nun in den Kassen der Stadt wiederfinden lassen. Ob die Vorwürfe stimmen, wird noch genau zu bestimmen sein. Und man wird der Neuen aus Deutschland sicher auch gesteckt haben, daß nicht das Parlament selbst, sondern nur die Regierungschefs auf einem ihrer Gipfeltreffen eine Entscheidung darüber herbeiführen können, wo die Volksvertreter tagen dürfen und wo nicht.

Zwar wissen die europäischen Regierungschefs noch immer nicht, wie sie in der verfahrenen Verfassungsfrage weiter operieren sollen, und entschieden sich daher, den Prozeß des Nachdenkens fortzuführen und ihn mit Aktionen zu garnieren, dafür waren sie sich in der Frage Straßburg oder Brüssel einig. Man hatte sich zu einem Schweigegelübde verabredet. Selbst Josep Borrell Fontelles, seit zwei Jahren der Präsident des Europäischen Parlaments und zuvor in Spanien Staatssekretär für Finanzen und Minister für Infrastruktur, Transport und Umwelt, fühlte sich diesem Gelübde verpflichtet, obwohl er zum Gipfel die Interessen seiner mehr als siebenhundert Abgeordneten zu vertreten hatte. Nein, sagte er gegenüber der Presse, man habe nicht über den künftigen Sitz des Parlaments gesprochen. Das Straßburg-Thema rangiere im Vergleich mit anderen Problemen, denen sich die EU und die Welt stellen müßten, nicht an erster Stelle. Außerdem sei der Parlamentssitz in Straßburg ein »historisches Symbol«.

Da also die Reflexionsphase weitergehen wird, werden die Staatsleute sicher noch einige Zeit zur Verfügung haben, um über den Zusammenhang von angeblicher politischer Verdrossenheit der europäischen Bürger und einem gescheiterten Verfassungsentwurf nachzudenken. Und darüber, warum in den »alten« EU-Staaten gerade noch 37 Prozent der Menschen der Union vertrauen, wie eine Umfrage der US-Kommunikationsberater Penn, Schoen & Berland für das Wochenmagazin European Voice ergab. Wenig Verständnis hatten demnach die Befragten auch für den »Wanderzirkus« des EU-Parlaments: 68 Prozent sprachen sich für einen einzigen Sitz der Institution aus, davon hielten 76 Prozent Brüssel für geeigneter als die Repräsentanz im französischen Straßburg.

Die Fragen unnachgiebiger Journalisten würgte Parlamentschef Borrell übrigens ab, indem er Paul-Henri Spaaks zitierte: »Aber wenn Schwierigkeiten auftraten, zogen wir aus unseren gemeinsamen Überzeugungen die Phantasie, die notwendig war, um sie zu überwinden.« Für die Zukunft Straßburgs bedeutet dies: Die Wähler spielen keine Rolle, wenn Millionenbeträge wegen des einstmals geschlossenen und mehr als zweifelhaften Vertrages von Amsterdam fließen. Die Phantasie bedeutet in diesem Fall nichts anderes als aussitzen – und damit haben wir Deutschen ja bereits unsere Erfahrungen gemacht.

Freitag, 16. Juni 2006

»Erhebliche Schwankungen« - EU-Bericht: Neue Bundesländer gehören zu schwächsten Regionen

Die ärmeren Regionen in der EU zeigen »bemerkenswerte Fortschritte bei der Entfaltung ihrer Wirtschaftskraft«, doch es gibt »weiterhin große Diskrepanzen bei der für Wachstum und Beschäftigung notwendigen Infrastruktur«. Zu diesem Ergebnis kam die EU-Kommission in ihrem Fortschrittsbericht zum wirtschaftlichen Zusammenhalt in der Union, der jetzt in Brüssel vorgestellt wurde.

Der »Vierte Fortschrittsbericht zur Kohäsion« zeigt nach Ansicht der zuständigen EU-Kommissarin Danuta Hübner, dass wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten in der EU abnehmen und die Wirtschaft in den ärmsten Mitgliedstaaten rasch und nachhaltig wächst. Auf regionaler Ebene bleibt jedoch ein enormes ungenutztes Potenzial: Die in den ärmsten Regionen der EU lebenden zehn Prozent der Bevölkerung generieren nur 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die betroffenen 13 am »wenigsten wohlhabenden Länder«, die vom Kohäsionsfonds unterstützt werden, verzeichneten jedoch über den Zeitraum 1995 bis 2005 ein Wachstum von 3,6 Prozent. Damit liegen sie über dem europäischen Durchschnitt von 2,2 Prozent pro Jahr. Allerdings verweist das EU-Papier auch auf die großen Lücken in der modernen Infrastruktur, die diese Regionen schließen sollten, wenn sie dauerhaft aufholen wollen.

Im vergangenen Monat hatte das europäische Statistikamt Eurostat bereits interessante Zahlen herausgegeben, die Auskunft über das regionale Bruttoinlandsprodukt lieferten. Jede siebente Region liegt demnach über 125 Prozent des Durchschnitts der EU-25, hieß es, und jede vierte unter 75 Prozent. Auf gerade 33 Prozent des Durchschnitts kam die polnische Region um Lublin. Für die englische Metropole London wurden dagegen 278 Prozent ausgewiesen. Von den 37 Regionen, in denen das BIP je Einwohner die 125-Prozent-Grenze überschritt, lagen sieben in Deutschland (Stuttgart, Karlsruhe, Oberbayern, Mittelfranken, Bremen, Hamburg, Darmstadt).

Als Regionen mit dem niedrigsten lokalen Bruttoinlandsprodukt in Deutschland werden in dem Bericht erwartungsgemäß ausschließlich ostdeutsche aufgelistet: Dessau (70,9 Prozent) hat demnach das niedrigste BIP, gefolgt von Brandenburg-Nordost (72,2), Mecklenburg-Vorpommern (73,5), Chemnitz (74,8) und Thüringen (75,2). Den niedrigsten Wert in den alten Mitgliedstaaten weist die Region Norte in Portugal mit nur 57 Prozent auf.
Auch der vierte Fortschrittsbericht der EU-Kommission stellte daher »erhebliche Schwankungen« zwischen den einzelnen Ländern fest. Staaten mit dem geringsten Wohlstand, zu denen auch die Beitrittskandidaten Rumänien und Bulgarien zählen, hätten die größten Wachstumsraten verzeichnen können, hieß es. Dagegen stagnierte das Wachstum in den »wohlhabenden« Ländern. Nach den Vorausberechnungen der Kommission wird zwischen 2005 und 2007 EU-weit mit einem Anstieg des Wachstums auf über zwei Prozent gerechnet. Die Behörde geht davon aus, dass der Anstieg in 16 der 25 Mitgliedstaaten sowie in Rumänien und Bulgarien sogar über drei Prozent betragen könnte. Für Deutschland rechnet die Kommission mit einem Ergebnis knapp über der Zwei-Prozent-Marke.

»Europa braucht Wachstum von unten, und alle Regionen müssen dazu beitragen, wenn wir Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung in der EU insgesamt stärken wollen«, erklärte Hübner. Die vorgelegten Ergebnisse offenbarten »ein beunruhigendes Ungleichgewicht in der modernen Infrastruktur, in Forschung und Bildung, die unsere Fähigkeit für Exzellenz und Innovation begrenzen«. Deshalb werde die Regionalpolitik auch »im nächsten Jahrzehnt eine wichtige Rolle bei der Schließung dieser Lücken spielen und der europäischen Wirtschaft helfen, ihr Potenzial umfassend zu verwirklichen«. Wie die Kommission jedoch trotz der erwarteten relativ geringen Steigerung des BIP ihr erklärte Ziel erreichen will, innerhalb der nächsten vier Jahre 24 Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen, verriet Hübner nicht.

Donnerstag, 15. Juni 2006

EU-Spitze will eingefrorene Verfassung neu aufwärmen - Selbstverordnete »Denkpause« soll offenbar verlängert werden

Die Zukunft der Europäischen Verfassung bleibt weiter ungewiss. Die EU-Ratspräsidentschaft geht davon aus, dass die Staats- und Regierungschefs auf dem am heutigen Donnerstag beginnenden Gipfel in Brüssel die so genannte Reflexionsphase zur Verfassungskrise um ein weiteres Jahr verlängern werden.

»Es zeichnet sich ab, dass die Mitgliedstaaten die Reflexionsphase um ein Jahr verlängern wollen«, sagte der Vertreter der österreichischen Ratspräsidentschaft, Hans Winkler, am Mittwoch vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. In der Hauptdebatte ging es um den bevorstehenden EU-Gipfel in Brüssel. Dagegen dürften die Staats- und Regierungschefs das vor wenigen Wochen auf einem Außenministertreffen vereinbarte allgemeine Ziel bekräftigen, der EU bis 2009 eine gemeinsame Vertragsgrundlage zu geben.

»Aus den bisherigen Planungen und Überlegungen zum bevorstehenden Gipfel ist erkennbar, dass dieser der Öffentlichkeit den Eindruck vermitteln soll, dass man das Nein zur Verfassung als Kritik am Politikstil begriffen habe, aber nicht an der offiziellen Politik und ihren Prioritäten«, äußerte die Abgeordnete der Linkspartei.PDS Gabriele Zimmer am Mittwoch in ihrer Rede vor dem Europäischen Parlament. Es habe im vergangenen Jahr keine verantwortungsvolle Reflexion gegeben, sondern »eine Artikulation von Arroganz der Macht und Unbelehrbarkeit«. Die Bürgerinnen und Bürger hätten schon längst begonnen, ihre eigenen Vorstellungen von einer anderen EU zu entwickeln und diese auch einzufordern.

Von Uneinsichtigkeit zeugt nach Ansicht von Gabriele Zimmer beispielsweise der kürzlich vorgelegte Vorschlag der österreichischen Ratspräsidentschaft, den alten Verfassungstext unverändert zur direkten Abstimmung in den EU-Mitgliedstaaten vorzulegen. »Ohne eine Aufnahme der Proteste, Kritiken und Vorstellungen, die auf eine demokratische, soziale, friedliche und ökologische EU zielen, wird das europäische Integrationsprojekt keine wachsende Akzeptanz finden«, warnte die Politikerin. Sie regte an, die Arbeit an den verschiedenen europäischen Richtlinien bis zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge ruhen zu lassen. Statt dessen sollte es »demokratische Aussprachen geben und die Offenlegung dessen, was seit Juni 2005 in der EU wirklich geschehen ist«.
Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments und Abgeordnete der Linkspartei.PDS, Sylvia-Yvonne Kaufmann, kritisierte ihrerseits die Forderung von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso nach »wirkungsvoller Ausschöpfung geltenden Verträge«. Gemeint sei der »Murksvertrag« von Nizza, sagte sie. »Das verwundert nicht, denn im Unterschied zur Verfassung, die die Sozialstaatlichkeit auf europäischer Ebene stärkt, bietet Nizza den Neoliberalen eine gute Handhabe, um auch die sensiblen Bereiche der öffentlichen Daseinsfürsorge dem freien Wettbewerb zu unterwerfen.«

Barroso blieb auch vor dem Parlament am Mittwoch seiner Linie treu. Er forderte die Staats- und Regierungschefs noch einmal auf, endlich den »Teufelskreis der europäischen Skepsis zu verlassen«. Er sehe die Chance, den Diskussionsprozess 2007 »wieder anzukurbeln« und von »der Phase der Reflexion zur Etappe des Engagements überzugehen«. Barroso wolle sich das Recht nehmen, »die Partner abzufragen, ob sie das gemeinsame Projekt noch wollen«.
Der Kommissionspräsident hatte sich in den vergangenen Tagen aber nicht nur zum Verfassungswerk geäußert. Besonders heftig wurde der Portugiese immer dann, wenn es um die Grundzüge einer gemeinsamen Außenpolitik ging. Europa verkaufe sich unter Wert, schimpfte er kürzlich. »Das politische Gewicht der EU in der Welt entspricht nicht der wirtschaftlichen Dimension.«

In Brüssel werden die EU-Spitzen deshalb über ein Strategiepapier beraten, in dem Barroso eine Reihe von Thesen unterbreiten wird. Der Kommissionschef beklagt u.a. eine »unbefriedigende Abstimmung zwischen den verschiedenen Akteuren und Politikfeldern«, die dazu führe, »dass die EU politisch wie wirtschaftlich an Einflussmöglichkeiten verliert«. Geschwächt werde die Wirkung der EU-Politik auch dadurch, »dass es ihrer Vertretung nach außen an Profil und Kontinuität fehlt«. So sei die EU-Außenpolitik durch uneinheitliche Aussagen der Akteure und Mitgliedstaaten sowie durch langsame und komplizierte Durchführungsverfahren negativ beeinflusst worden. Das Strategiepapier mit dem Titel »Europa in der Welt – Praktische Vorschläge für mehr Kohärenz, Effizienz und Sichtbarkeit« geht deshalb besonders auf die Frage ein, wie sich die gemeinsame Außenpolitik auch ohne Ratifizierung der EU-Verfassung fortschreiben lässt.

Samstag, 10. Juni 2006

Badegewässer aus Liste gestrichen - EU-Kommission leitet auch gegen Deutschland rechtliche Schritte ein

Die EU-Kommission hat gegen elf Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, rechtliche Schritte eingeleitet.

Elf EU-Länder sollen seit den 90er Jahren rund 7000 Badegebiete aus ihrer amtlichen Badegewässerliste gestrichen haben, um Verschmutzungsprobleme zu kaschieren und die Konformitätswerte künstlich zu verbessern, erklärte Umweltkommissar Stavros Dimas am Freitag in Brüssel. »Da werden wir sehr streng sein.«

2005 nahmen die Mitgliedstaaten weitere 103 Küstenbadegebiete und 223 Inlandsbadegebiete von ihrer jeweiligen Badegewässerliste, sagte Dimas. Deshalb habe die Kommission einen Warnbrief nach Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, den Niederlanden, Portugal, Spanien, Schweden und Deutschland gesandt. Darin werden die Staaten aufgefordert, die Badegewässer wieder einzusetzen oder der Kommission eine befriedigende Erklärung zu übersenden.

Gemäß einer 1992 erlassenen Rechtsvorschrift haben die Mitgliedstaaten genaue geografische Angaben für jedes Badegewässer zu liefern, sagte Dimas anlässlich der Vorstellung des jährlichen Berichts zur Wasserqualität an EU-Badestränden und -seen. Für den Bericht 2005 hätten für 2300 Badegebiete, also rund elf Prozent sämtlicher Gebiete, keine Angaben vorgelegen. Infolgedessen konnten diese Badestrände nicht in die Wasserqualitäts-Karten eingetragen werden, die die Kommission für die Mitgliedstaaten erstellt.

An der Küste erfüllen 96,1 Prozent der Badestrände die Normen (2004 waren es 96,7 Prozent). Die Anzahl der Küstengewässer, die auch den strengen, aber nicht bindenden Vorgaben der EU-Richtlinie entsprechen, stieg von 88,5 (2004) auf 89,1 Prozent.
Die Ergebnisse bei den Badegebieten im Inland bezeichnete Dimas als »weniger zufriedenstellend«. Die Konformitätsquote lag hier bei 85,6 Prozent, was einen weiteren Rückgang gegenüber 2004 (89,4 Prozent) und 2003 (92,4 Prozent) bedeutete. Die europäischen Richtwerte erfüllten 2005 gerade 63,1 Prozent.

In Deutschland gelten dem Bericht zufolge 57 Badestrände als Gewässer, die die obligatorischen Werte nicht erfüllen. Hinzu kommen fünf Gewässer, die aufgrund zu seltener Prüfungen nicht bewertet werden konnten. An 36 deutschen Stränden wurde in den vergangenen Jahren das Baden aufgrund der Verschmutzung verboten. Allein in Schleswig-Holstein erfüllen 32 Strände nicht die erforderlichen Werte. Zehn Badegewässer mussten in den vergangenen Jahren bereits geschlossen werden, teilte die EU-Kommission mit.

Freitag, 2. Juni 2006

Gestörte Harmonie - Diskriminierungsvorwürfe auf Religionstreffen

Ein gemeinsames »Brainstorming« hatte sich EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gewünscht, als er am Mittwoch führende Vertreter der Weltreligionen zu Gast hatte.

Das Motto der Veranstaltung »Grundrechte und gegenseitiger Respekt« sollte Basis für einen Dialog sein. Eingeladen waren Vertreter christlicher Kirchen, muslimischer und jüdischer Gemeinden sowie das Oberhaupt der tibetischen Buddhisten, der Dalai Lama. Er habe »wertvolle Diskussionen geführt«, meinte dieser nach der Konferenz. Die Menschheit brauche Religion und müsse sich für »eine Harmonie einsetzen«.

Dass diese Harmonie auf der Konferenz nicht ganz zustande kommen konnte, lag vor allem an der Wortmeldung der europäischen Rabbiner, die sich diskriminiert fühlten. Während aus den anderen Weltreligionen jeweils drei Vertreter eingeladen wurden, seien für das Judentum nur zwei Rabbiner vertreten gewesen, kritisierten sie. Er sei »verwundert über diese offenkundige Diskriminierung des jüdischen Glaubens«, zitierte die Vereinigung den Oberrabbiner von Israel, Yona Metzger. Der britische Rabbiner und Sprecher der europäischen Rabbinervereinigung RCE, Yitzhak Shochet, sprach von einem »furchtbaren Ungleichgewicht«. Kritik übte er vor allem am politischen Berater für den Dialog mit den Religionen im Büro des EU-Kommissionspräsidenten, dem Österreicher Michael Weninger, der das Treffen organisiert hat. Weninger habe in Vorbesprechungen erklärt, dass von jeder Glaubensgemeinschaft nur zwei Vertreter eingeladen worden seien.

Die Kommission hält die Vorwürfe für ungerechtfertigt. »Die Auswahl der Teilnehmer ist repräsentativ«, sagte der Sprecher Barrosos, Johannes Laitenberger. Man habe auf gerechte Verteilung geachtet und deshalb drei Katholiken, drei Protestanten, drei Orthodoxe, zwei jüdische Rabbiner, zwei Sunniten, zwei Schiiten und den Dalai Lama eingeladen. Ein konstruktives »Brainstorming« brauche einen überschaubaren Rahmen.

Das Thema Religion wird kaum an Bedeutung verlieren. So hatten sich erst am Wochenende der österreichische Regierungschef Schüssel und die deutsche Kanzlerin Merkel für einen Gottesbezug in der EU-Verfassung ausgesprochen. Dabei dürfen Schüssel und Merkel auf jeden Fall auf die Unterstützung vieler Parlamentarier hoffen. Denn der religiöse Einfluss im europäischen Abgeordnetenhaus ist nach der EU-Erweiterung kräftig gewachsen.

Donnerstag, 1. Juni 2006

Gefährliche Medikamente - Neue EU-Verordnung zu Arzneimitteln speziell für Kinder

Das Europaparlament in Brüssel stimmt heute über eine Verordnung ab, nach der Kindern künftig spezifische Arzneimittel zur Verfügung stehen sollen.

Anders als bei Arzneimitteln für Erwachsene ist über die Hälfte der in Europa zur Behandlung von Kindern eingesetzten Medikamente nicht an Minderjährigen geprüft. Daher fehlt es an kindgerechten Zulassungen, was zum Teil lebensbedrohliche Risiken für die jungen Patienten birgt. Medikamente können sich daher als unwirksam erweisen, unzureichende Informationen zu Dosierungen verstärken das Risiko von Nebenwirkungen.

Das Europaparlament will heute in zweiter Lesung über eine Verordnung abstimmen, die Anreize für die Industrie schafft, um die Erforschung, Entwicklung und Zulassung von Arzneimitteln speziell für Kinder zu intensivieren. Die EU-Kommission ist der Ansicht, dass Marktkräfte allein nicht zur Entwicklung der erforderlichen Arzneien ausreichen.

Zur Kontrolle und Umsetzung der Verordnung soll ein so genannter Pädiatrieausschuss innerhalb der Europäischen Arzneimittel-Agentur eingerichtet werden. Dieser ist damit beauftragt, ein Prüfkonzept zu entwickeln, auf das sich Studien an Kindern stützen. Der Ausschuss bestimmt zudem, in welchen Fällen durch spezifische Medikamente ein therapeutischer Nutzen für Kinder entstehen könnte.

Nach Ansicht der EU-Kommission könnte das Zulassungsverfahren für neue Medikamente ohne unnötige klinische Prüfungen an Kindern und in Übereinstimmung mit EU-Richtlinien verwirklicht werden. Dazu wäre aber ein besserer Informationsaustausch über die Verwendung von Arzneimitteln notwendig.

Der Umweltausschuss des Europaparlamentes, der nun vor der zweiten Lesung noch einige Änderungen in den Entwurf eingebracht hatte, fordert die Festschreibung der Unabhängigkeit der Pädiatrieausschuss-Mitglieder. Sie sollten »keinerlei finanzielle oder sonstige Interessen in der pharmazeutischen Industrie haben, die ihre Unparteilichkeit beeinflussen könnten«, heißt es. Auch sollte sich der Personenkreis dazu verpflichten, »unabhängig und im Interesse des Gemeinwohls zu handeln und jährlich eine Erklärung über ihre finanziellen Interessen abgeben«.

Nach den Vorstellungen der Abgeordneten darf die Zulassung eines Arzneimittels für Kinder nur erteilt werden, wenn das betreffende Pharmaunternehmen ein Risikomanagementsystem eingerichtet hat, das eine Reihe von Maßnahmen beinhaltet, durch die Risiken vermieden oder minimiert werden sollen. Gegebenenfalls kann auch die Durchführung spezifischer Studien verlangt werden.

Künftig sollen Arzneimittel für Kinder, die krebserzeugende, erbgutverändernde oder fortpflanzungsgefährdende Stoffe besitzen, generell aus dem Verkehr gezogen werden. Es stünden, so die Auffassung der Ausschussmitglieder, alternative Arzneimittel für die gleiche Behandlung zur Verfügung. Die Hersteller könnten dann allerdings beantragen, die Genehmigung abzuändern, damit sie weiterhin ein Arzneimittel verkaufen können, das keine derartigen gefährlichen Stoffe enthält.