Donnerstag, 14. September 2006

Nächste Runde im Uranstreit - Oldenburger Gericht legt im Streit um Uran-Zylinder EU-Recht zugrunde

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat der europäischen Atomwirtschaft Geschäfte mit Drittländern erleichtert. Nach einem am Dienstag in Luxemburg verkündeten Urteil begründen reine Dienstleistungen wie die Anreicherung und Lagerung von Uran kein Zugriffsrecht der Europäischen Atomgemeinschaft. Der EuGH beendete damit einen jahrzehntelangen Streit.

Das Oberlandesgericht Oldenburg (OLG) hatte 2004 das Luxemburger Gericht angerufen, um Rechtstreitigkeiten zwischen den Kernbrennstoffproduzenten und -händlern Industrias Nucleares do Brasil SA (INB), Siemens AG, UBS AG und Texas Utilities Electric Corporation (TUEC) über die Herausgabe von Zylindern mit angereichertem Uran klären zu können. Hubert Daum vom Oberlandesgericht sagte gestern gegenüber ND, dass der »vorliegende Beschluss des Gerichtshofes nun vom OLG geprüft und der Entscheidung zu Grunde gelegt« werde. Voraussichtliche Termine für die Urteilsverkündung konnte Daum nicht nennen.

Die Vorgeschichte: Die brasilianische INB sollte Kernbrennstoff für heimische Kraftwerke beschaffen. Dazu lieferte sie Roh-Uran an das britische Unternehmen Urenco. Urenco habe so im Jahr 1984 Uran für INB auftragsgemäß angereichert und aufgrund eines Vertrages bei einer Siemenstochter im hessischen Hanau zwischengelagert. Da INB dann jedoch zeitweilig keine Verwendung für das angereicherte Uran hatte, versuchte das brasilianische Unternehmen 1993 einen Teil davon los zu werden. Den Zuschlag erhielt die Schweizer Firma Nuexco Exchange AG (NEAG). Später sollte die NEAG sechs Partien Uran an INB zurückgeben und eine Vergütung zahlen. Die NEAG war dazu – wohl wegen ihres Konkurses – nicht mehr in der Lage. Offenbar wegen der Pleite war auch der Kernbrennstoff gar nicht an NEAG geliefert worden, sondern lagerte noch bei Siemens.

Deshalb erhob INB beim Landgericht Osnabrück Klage gegen Siemens und forderte die Herausgabe. Siemens lehnte ab. Die Schweizer Bank UBS wiederum klagte, weil sie 1989 von der NEAG das Pfandrecht an 14 Zylindern erworben haben will. Das Landgericht Osnabrück urteilte im März 2000, dass INB keinen Anspruch gegenüber Siemens habe. Indes wurde Siemens verurteilt, 14 Zylinder mit angereichertem Uran an UBS und 11 Zylinder an den AKW-Betreiber TUEC herauszugeben. INB legte Berufung beim OLG Oldenburg ein.

Streitpunkt sind die Eigentumsrechte laut Euratom-Vertrag aus dem Jahr 1957. Der unterscheidet zwischen Eigentum und Besitz an spaltbarem Material: Sofern das spaltbare Material in Europa »erzeugt« wurde, besitzt Euratom als Eigentümer ein letztes Verfügungs- und Einspruchsrecht.

Seit Jahrzehnten ist nun umstritten, ob die Anreicherung von Uran zu nutzbaren Brennstäben als »Erzeugung« gilt und damit dem Zugriff durch Euratom unterliegt. Der EuGH verneinte dies allerdings: Wenn Uran eingeführt, in Europa angereichert und danach wieder ausgeführt werde, sei dies eine reine Weiterverarbeitung. Die Versorgung europäischer Kraftwerke sei nicht berührt.

Freitag, 8. September 2006

Einseitige Parteinahme - Leistete EU-Kommissar Wahlhilfe für Kabila?

Der für Entwicklung zuständige EU-Kommissar Louis Michel leistete im Europäischen Parlament bei der Debatte um die Situation in Kongo »Aufklärungsarbeit« besonderer Art.

Der parteilose Europaabgeordnete der Linkspartei Tobias Pflüger hatte dem Belgier in der Debatte am späten Dienstag Abend vorgeworfen, er habe sich im Vorfeld der Wahlen bereits sehr deutlich zu Gunsten von Joseph Kabila positioniert. Pflüger hatte deshalb den Rücktritt des Kommissars gefordert. Er sprach von »wirtschaftlichen Interessen« der EU-Staaten und nannte als Beispiel Michels Landsmann George Forrest, der 400 Millionen US-Dollar in eine Kupfermine in Kamato investiert und den Wahlkampf von Kabila »ganz wesentlich unterstützt« habe. Der Abgeordnete bezog sich auch auf einen Beitrag der »Neuen Zürcher Zeitung«, in dem nachgewiesen wurde, dass Kabila sich staatlicher Ressourcen bedient und Zuwendungen von ausländischen Minenunternehmen erhalten hat.

Obwohl für einen Außenstehenden kaum zu erkennen gewesen wäre, was einen EU-Kommissar an derlei Sätzen in Rage bringen könnte, wirkte Michel dennoch sichtlich genervt. Er sei in der Lage, mehr als zehn Interviews, die er europäischen und kongolesischen Zeitungen gewährt habe, vorzuweisen, »in denen sich meine vollkommene Neutralität ausdrückt«. Und Michel habe Vorwürfe sowohl gegen Kabila als auch gegen Bemba und andere Kandidaten auf den Wahllisten geäußert.

Doch offensichtlich war für Michel Pflügers Hinweis auf die »wirtschaftlichen Interessen« das eigentliche Reizthema. »Eines der ernsten Probleme, mit denen Kongo konfrontiert wird, ist das mangelnde Interesse von ausländischen Investoren«, versuchte Michel zu erklären. Es sei für jedes Land legitim, wirtschaftliche oder kommerzielle Zusammenarbeit unter der Voraussetzung zu pflegen, dass die natürlichen Ressourcen des Partners erhalten werden.

Obwohl Pflüger in seiner Rede keinesfalls von einer persönlichen Beziehung zwischen Michel und dem Unternehmer Forrest gesprochen hatte, zeigte sich der Kommissar vor allem diesbezüglich dünnhäutig. Man habe behauptet, seine Tochter sei in der Verwaltung in den Gesellschaften des Herrn Forrest tätig gewesen, sagte Michel, und also stehe er selbst mit Forrest in Verbindung. »In meinem Leben bin ich ihm vielleicht dreimal für einige Sekunden begegnet. Herr Forrest und ich waren in Gesellschaft einer belgischen parlamentarischen Delegation.« Zudem verwies Michel darauf, dass der Kupfermulti Forrest rund 630 Arbeitsplätze geschaffen habe und für Krankenhäuser und Schulen im Kongo sorge.

Brüssel bleibt auf neoliberalem Kurs - Trotz verbesserter Wirtschaftslage hat sich an Lebenssituation der Menschen nichts geändert

Die in dieser Woche gezogene Bilanz zur Hälfte der Amtszeit der Europäische Kommission fällt mager aus. Die stramm neoliberale Politik soll aber offensichtlich fortgesetzt werden.

Eigentlich sollten die vom EU-Statistikamt Eurostat herausgegebenen Zahlen den schwächelnden Optimismus wieder ein wenig auf die Beine helfen: Die Europäer befänden sich derzeit auf dem Weg, der sie näher an die wirtschaftlichen Wachstumsraten der konkurrierenden US-Amerikaner heranbringen könnte. Im ersten Quartal hatte die EU sogar die Nase leicht vor den USA. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs europaweit real um 3,6 Prozent, in den Mitgliedsstaaten registrierten die Statistiker in den meisten Fällen ebenfalls eine Zunahme.

Doch irgendwie bleibt die Freude über den europäischen Erfolg auf halbem Wege stecken. Denn trotz der Wirtschaftszahlen hat sich an der Lebenssituation der Menschen nichts geändert. Der Europaabgeordnete der Linkspartei.PDS Helmuth Markov erinnerte etwa daran, dass der Anteil der von Armut bedrohten Menschen keinesfalls sank. Er ist von 2000 bis heute bei 16 Prozent geblieben. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist in diesem Zeitraum sogar von 3,9 auf 4,1 Prozent gestiegen, die Beschäftigungsquote hat sich von 63 auf 64 Prozent nur geringfügig verbessert. »Wir liegen weitab von dem, was wir uns vorgenommen haben, und das, weil die Strategie falsch ist«, so Markov.

Auch die Verfassungskrise steckt den Politikern weiter wie ein dicker Klos im Halse. Selbst die eilig ausgerufene Reflexionsphase, in der über die Zukunft des europäischen Modells nachgedacht und das Vertrauen der Bürger zurückgewonnen werden sollte, vermochte die allgemeine Unsicherheit nicht aufzulösen. Im Gegenteil: Die letzten Meinungsumfragen verstärken den Eindruck, dass der Kreis der EU-Skeptiker keinesfalls kleiner geworden ist.
Ganz sicher mögen die »nationalen Egoismen« auch ein Grund dafür sein, dass es im gemeinsamen Europa nicht so recht vorangehen will. Ein Beispiel dafür liefert das alljährlich wiederkehrende Procedere um den EU-Haushalt des nächsten Jahres, das auch in dieser Woche zur Diskussion gestanden hatte. Für das Dokument von über 1800 Seiten mit mehr als 1500 Haushaltslinien hatte die Kommission im Mai ihren Vorentwurf verabschiedet, der für 2007 Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 116,4 Milliarden Euro vorsah, was knapp einem Prozent des Bruttonationaleinkommens der EU-Staaten entspricht. Mitte Juli hatten die EU-Finanzminister in der ersten Lesung des Rates beschlossen, mehrere Haushaltslinien zu kürzen. Der Streit um die Verteilung der Gelder ist nun im vollen Gange.

Auch die als Bolkestein-Hammer bezeichnete Dienstleistungsrichtlinie, die Millionen Europäer auf die Straßen gebracht hatte, offenbarte den Europäern nachhaltig, welche Rolle sie eigentlich im neoliberalen Europamodell spielen sollen. Nach dem halbherzigen Kompromiss, der zwischen Sozialdemokraten und Konservativen im Frühjahr ausgehandelt worden war, sollte das Papier eigentlich schon nach nur einer Lesung durchgepeitscht werden. Zwar setzte in dieser Woche der Binnenausschuss ein vorläufiges Stoppzeichen, doch verhindern wird er das weiterhin umstrittene Pamphlet nicht, zumal die Proteste abgeebbt sind. Die Parlamentarier setzten nämlich durch, die Änderungen, die der Rat in den Text zwischenzeitlich wieder eingefügt hatte, noch einmal prüfen zu können. Mitte September soll der Berichtsentwurf dann erneut diskutiert werden, die Entscheidung des Binnenmarktausschusses steht Ende Oktober auf der Tagesordnung. Schließlich wird über die Richtlinie im Straßburger Novemberplenum endgültig abgestimmt.

Freitag, 1. September 2006

Verheugens Mogelpackung - Brüssel will Größen von Verpackungen freigeben

Beim Abbau von Vorschriften setzt die EU-Kommission falsche Prioritäten und verletzt die Interessen von Verbrauchern. So könnten Fertigpackungen bald kleiner werden, die Preise aber gleich bleiben.

Es ist noch nicht allzu lang her, da kündigten EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und sein deutscher Binnenmarktkommissar Günther Verheugen vollmundig das Ende der EU-Regulierungswut an. Vor allem Verbraucherschützer ahnten, dass das angekündigte Entschlacken alter oder zweifelhafter Verordnungen ein anderes Extrem zeitigen und nur der ungehemmten Liberalisierung des Binnenmarktes dienen könnte. Und die Befürchtungen scheinen sich zu bestätigen.

Verheugen wurde Wochen später nämlich deutlicher. In einem Zeitungsinterview offenbarte der Sozialdemokrat, was er unter der Reformierung von Reformen versteht. In der EU gebe es beispielsweise rund 80 Vorschriften für verpackte Lebensmittel, schimpfte er. »Noch vor meiner Zeit entstand ein Vorschlag, das per Richtlinie auf knapp ein Dutzend zu beschränken. Ich habe jetzt aber vorgeschlagen, die Verpackungsgrößen mit Ausnahme für Alkohol ganz dem Handel zu überlassen«, sagte Verheugen. »Was erlebe ich? Das Europäische Parlament brachte eine Liste mit sieben Lebensmitteln auf den Tisch, die unbedingt weiter reguliert werden sollen.«

Was der Kommissar unmissverständlich einfordert, treibt den Verbraucherschützern die Schweißperlen auf die Stirn. Die geplante Abkehr von den bislang vorgeschriebenen Verpackungsgrößen und Füllmengen könne nur zu Lasten der Konsumenten gehen, vermuten sie, denn dann würden Täuschungsversuche quasi legitimiert. Die Verpackungen werden – für die Verbraucher kaum sichtbar – kleiner, der Preis bleibe aber unverändert. Das wäre gleichbedeutend mit versteckten Preiserhöhungen. Dass dies nicht etwa nur ein theoretisches Szenario darstellt, zeigten bereits heute die zahlreichen Stichproben in den Mitgliedsstaaten. Zahlreiche Fertigverpackungen, von Shampoo bis Müslis, enthielten nicht die geforderte Füllmenge. Daher sehen die Interessenverbände der Konsumenten in der geplanten Novellierung der europäischen Verpackungsverordnung eine Mogelpackung.

Dagegen scheinen sich EU-Kommission und Rat weitgehend darin einig zu sein, die Füllmengen für Fertigverpackungen freigeben zu wollen. Auch die Forderung des Parlaments, wenigstens für die Grundnahrungsmittel die Verpackungsgrößen vorzugeben, soll angeblich vom Tisch sein. Gefordert ist nun das Europaparlament: Dort wird die neue Richtlinie nach der Sommerpause wieder zur Beratung aufgerufen.

Polen sieht sich auf EU-Linie - Premier widersprach bei Kommission Kritik – mit mäßigem Erfolg

Polens Regierungschef Jaroslaw Kaczynski war am Mittwoch in Brüssel sichtlich bemüht, die Spannung zwischen der EU und Polen als »Missverständnis« herunterzuspielen, das aber nun »aufgeklärt« sei.

Gegenüber Kommissionspräsident José Manuel Barroso versicherte der Premier, dass die Kritik an seiner Regierung unbegründet sei. Polen stehe zu den gemeinsamen Werten der Europäischen Union, betonte Kaczynski. Gerade in den EU-Institutionen hatte es in den vergangenen Monaten heftige Kritik an verschiedenen Äußerungen von Mitgliedern der neuen polnischen Regierung gegeben. Barroso wollte zwar diese Zweifel über die »EU-Tauglichkeit« Polens nicht bestätigen, wies aber zwischen den Zeilen auf die guten Beziehungen zur Vorgängerregierung hin.

»In Polen gibt es nichts Böses und Schlimmes zu sehen«, sagte Kaczynski in Anspielung auf die Berichte über Antisemitismus und die Diskriminierung von Homosexuellen in seinem Land. »Ich möchte sie nach Polen einladen und dann werden sie nach einigen Tagen sehen, dass das völliger Quatsch ist«, tönte er vor der Presse. Kaczynski argumentierte mit dem Verbot der Diskriminierung von Homosexuellen, das bereits 1932 im polnischen Strafrecht eingeführt worden sei, deutlich früher als in anderen EU-Staaten. Und auch der Antisemitismus sei gesetzlich verboten. Polen unterhalte bessere Beziehungen zu Israel als die meisten europäischen Länder.

Kaczynski präsentierte sich in Brüssel als EU-Befürworter und verwies auf das Ergebnis einer Umfrage, in der der überwiegende Teil der Polen den Beitritt des Landes zur Gemeinschaft als Erfolg bewerteten. Diese sei ein Erfolg, der jedoch noch größer sein könnte, wenn »wir die gebotenen Chancen nutzen«, sagte er. Nach dem Gespräch mit Barroso sei er nun »viel ruhiger und überzeugter« davon, dass »wir vor Jahren die richtige Entscheidung getroffen haben.

Bei seinem ersten Auslandsbesuch überhaupt sei es allerdings auch um konkrete Probleme gegangen, so der Premierminister. So habe man über mögliche Subventionen für die Werft in Gdansk gesprochen. Brüssel wirft Warschau schon lange eine verbotene Unterstützung ohne begleitende Strukturreformen vor und prüft die Finanzierung derzeit. In die Gdansker Werft fließen bereits seit Jahren allerlei Beihilfen. Bis Ende August hatte die polnische Regierung Zeit, eine Stellungnahme zu den Vorwürfen nach Brüssel zu schicken. Zuvor hatten polnische Politiker die EU-Kommission regelrecht davor gewarnt, sich an den polnischen Schiffswerften »zu vergreifen«. Barroso stellte klar, dass die EU prinzipiell nichts gegen Gelder zur Unterstützung der Werften habe. Die Vorgaben seien allerdings »streng gefasst und müssen durch alle Mitgliedsstaaten eingehalten werden«. Dennoch sei man dem Problem gegenüber aufgeschlossen und wolle sich gemeinsam Gedanken machen. Im Gespräch mit Barroso sei es zudem um den künftigen Sitz des Europäischen Technologiezentrums gegangen, um das sich auch Wroclaw bewirbt, teilte Kaczynski mit.

Einen Zungenschlag Kaczynskis wird man in Deutschland mit einem gewissen Unwohlsein zur Kenntnis nehmen. Der Regierungschef verwies auf die geografische Lage seines Landes »mit schwierigen Nachbarn im Osten« und dem »großen Nachbar Deutschland« im Westen, den er als »nicht ganz einfachen Partner« bezeichnete. Kaczynski spielte damit auf die gespannten Beziehungen an, die sich u. a. aus dem geplanten Bau der Ostsee-Pipeline unter Umgehung Polens entwickelt haben. Und auch im Nachdenken über die Zukunft der europäischen Verfassung zeichnen sich deutliche Differenzen zwischen Polen und Deutschen ab, die sich unter der Berliner Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr noch verstärken könnten.