Montag, 29. Oktober 2007

Millionenschweres Finanzloch

Das Hickhack um die Ausrichtung des Hessentages 2010 geht in eine neue Runde. Die Hessische Landesregierung schiebt die Kandidaten hin und her: Alsfeld ist raus, Stadtallendorf heißt der neue Favorit. Die LINKE kritisierte das Vorgehen und wies zudem auf die finanziellen Risiken für die Kommunen hin.

Die Landesregierung hat der Stadt Alsfeld die Ausrichtung des Hessentags 2010 entzogen und wenige Stunden später bereits die Kandidatur von Stadtallendorf befürwortet. DIE LINKE kritisierte dabei die Vorgehensweise, weil die Landesregierung in Hessen nicht einmal eine endgültige Entscheidung des städtischen Parlaments abgewartet hatte. Staatskanzleichef Stefan Grüttner (CDU) begründete die Haltung mit den aktuellen Verbindlichkeiten der Stadt Alsfeld, die sich auf rund 60 Millionen Euro belaufen. »Mit einer Vertagung wird die desolate Haushaltslage der Stadt Alsfeld nicht besser, aber die Vorbereitungszeit einer Ersatz-Austragungsstadt kürzer«, sagte Grüttner.

Die stellvertretende Landesvorsitzende der hessischen LINKEN, Marjana Schott, wies im ND-Gespräch auf die finanziellen Risiken hin, welche die Ausrichter des Hessentages auf sich nähmen. So offenbarte der Hessentag vor zwei Jahren, der von der Stadt Hessisch-Lichtenau ausgerichtet worden war, aufgrund des Wetters am Ende der Kommune ein millionenschweres Finanzloch. Schott kritisierte die Entwicklung des Hessentages hin zu einem gigantischen Event. »Inzwischen wälzen sich jeweils über eine Million Menschen durch die Orte, aber es gibt kaum noch etwas, was mit der Region in Verbindung steht. Der Ort fungiert nur noch als Kulisse.« Sie fordert ein zeitgemäßes Konzept mit einem klaren regionalen Bezug.

Unterdessen forderte auch der Steuerzahlerbund, das Konzept der Hessentage zu überprüfen. »Die Hessentage sollen die Identifikation der Hessen mit ihrem Bundesland stärken«, äußerte Steuerzahlerbund-Vorsitzender Ulrich Fried. »Das geht auch ohne überdimensionierte Großveranstaltungen mit internationalen Stars und kilometerlange Rummelplatzmeilen.« Denkbar sei, das bislang zehntägige Fest auf ein verlängertes Wochenende zu begrenzen, es nur noch alle zwei Jahre statt jährlich auszurichten und den Schwerpunkt auf Veranstaltungen mit hessischen Vereinen und Künstlern zu legen.

Marjana Schott, zugleich Kandidatin zur Hessenwahl am 27. Januar 2008 auf Listenplatz 2 ihrer Partei DIE LINKE, macht im Zusammenhang mit der Lage der Stadt Alsfeld auf die finanzielle Situation der hessischen Kommunen aufmerksam. Mit der Gewerbesteuerreform würden die hessischen Städte und Gemeinden etwa in eine noch schlechtere Situation kommen, sagte sie.

Auch das von Ministerpräsident Koch (CDU) inszenierte Bambini-Modell, in dem es um eine gerechte Finanzierung der Kindergärten gehen sollte, habe zunächst suggeriert, dass das Land die Kommunen großzügig unterstützen wolle. »Wir haben genauer hingeschaut und festgestellt, dass den ärmeren Kommunen lediglich Geld entzogen wird und die anderen ein wenig mehr bekommen«, sagte Schott.

Freitag, 19. Oktober 2007

EU-Gericht hat kein Problem mit Zwangsverrentung

Eine Entscheidung mit unabsehbaren Folgen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg in dieser Woche gefällt. In einem sogenannten Vorabentscheidungsersuchen wollte ein spanisches Sozialgericht vom Gerichtshof wissen, ob das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters einer nationalen Vorschrift entgegensteht, welche die Aufnahme von Klauseln in Tarifverträgen über die Zwangsversetzung in den Ruhestand gestattet.

Diese Frage hatte sich im Rahmen einer privatrechtlichen Streitigkeit über die Entlassung eines Arbeitnehmers wegen Erreichung der im Tarifvertrag festgelegten Altersgrenze für die Zwangsversetzung in den Ruhestand gestellt. Der EuGH-Generalanwalt hatte in seinen Schlussanträgen die Auffassung vertreten, dass das in der Richtlinie 2000/78/EG formulierte Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters einem nationalen Gesetz nicht entgegensteht, wenn dort tarifvertragliche Klauseln für gültig erklärt werden, die eine Zwangsversetzung in den Ruhestand gestatten. Die spanische Regelung verlangt als Voraussetzung lediglich, dass der Arbeitnehmer die – auf 65 Jahre festgesetzte – Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand erreicht hat und die übrigen sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bezug einer beitragsbezogenen Altersrente erfüllt.

Der EuGH bestätigte diese Rechtsauffassung am Dienstag inhaltlich. In der Begründung hieß es, dass das aus dem allgemeinen Kontext einer nationalen Regelung abgeleitete Ziel, über eine bessere Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen den Berufszugang zu fördern, grundsätzlich als eine »im Rahmen des nationalen Rechts objektive und angemessene« Rechtfertigung für eine von den Mitgliedstaaten angeordnete Ungleichbehandlung wegen des Alters angesehen werden könne.

Félix Palacios de la Villa war seit 1981 als Organisationsleiter bei der Firma Cortefiel Servicios SA beschäftigt. Im Jahr 2005 teilte ihm die Firmenleitung mit, dass sein Arbeitsvertrag aufgelöst sei, weil er das Alter für eine Zwangsversetzung in den Ruhestand erreicht habe. Zum Zeitpunkt der Mitteilung hatte de la Villa die erforderlichen Beschäftigungszeiten zurückgelegt, um eine einhundertprozentige Altersrente aus der Sozialversicherung beanspruchen zu können. De la Villa erhob dennoch Klage wegen Diskriminierung bei einem spanischen Gericht, das den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege des Vorabentscheidungsersuchens hinsichtlich der Auslegung der Richtlinie anrief.

Die europäische Richtlinie aus dem Jahr 2000 bezweckt die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung bestimmter Formen der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, zu denen auch die Diskriminierung wegen des Alters gehört. Eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung stellt grundsätzlich eine vom Gemeinschaftsrecht verbotene Diskriminierung dar. Im vorliegenden Fall begründet der Gerichtshof aber, dass die spanische Regelung auf Betreiben der Sozialpartner als Teil eines nationalen Programms verabschiedet wurde, mit dem über eine bessere Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen der Beschäftigungszugang gefördert werden sollte. Sie ziele, so der EuGH, darauf ab, den nationalen Arbeitsmarkt zu regulieren, um u. a. die Arbeitslosigkeit einzudämmen. Die Rechtmäßigkeit eines solchen im Allgemeininteresse liegenden Ziels könne in Anbetracht der Richtlinie und des EU- sowie des EG-Vertrags nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Schließlich stelle die Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus eines der Ziele dar, die sowohl von der Europäischen Union als auch von der Gemeinschaft verfolgt werden.

Darüber hinaus, meinte der EuGH, könne die Maßnahme auch nicht als übermäßige Beeinträchtigung der berechtigten Erwartungen der Arbeitnehmer angesehen werden, die wegen Erreichens der festgelegten Altersgrenze zwangsweise in den Ruhestand versetzt worden sind. Es sei der Umstand berücksichtigt worden, dass den Betroffenen am Ende ihrer beruflichen Laufbahn ein finanzieller Ausgleich in Form einer Altersrente zugute kommt, deren Höhe nicht als unangemessen betrachtet werden kann.

Auf eine Anfrage der Europaabgeordneten Elisabeth Schroedter (Grüne) hatte die Europäische Kommission kürzlich mitgeteilt, dass der Stand der Umsetzung der Richtlinie durch die EU-Mitgliedstaaten derzeit analysiert werde. Die Verordnung des Rates müsse in den EU-Staaten bis spätestens 21. Dezember 2007 vollständig umgesetzt worden sein, hieß es.

Freitag, 12. Oktober 2007

»Peitschenhieb« für die Wirtschaft

Ausländische Investoren fragen sich nicht, ob sie in Frankreich oder in Schweden investieren sollen, sondern sie wählen zwischen den Gegenden um Stockholm oder Turin. Denn heute spiele sich der Wettbewerb nicht mehr zwischen Ländern, sondern zwischen Gebieten ab, hieß es während der Europäischen Woche der Regionen und Städte in Brüssel. Diese allein brächten Wachstum und Jobs.

Es war bereits die fünfte Woche der Regionen, die durch den Ausschuss der Regionen organisiert und durchgeführt wurde. Während eines Offenen Tages in Brüssel und zahlreicher Seminare äußerten sich regionale Entscheidungsträger, EU-Politiker, Geschäftsleute, Interessenvertreter und Banker. Es ging um Ideen und Erkenntnisse zur regionalen Entwicklung und um die neuen EU-Programme, die von 2007 bis 2013 laufen. Über 212 Regionen und Städte aus 33 Ländern wurden in die Analysen einbezogen.

Die Probleme, über die in Brüssel diskutiert wurde, sind auch in Deutschland nicht neu. Vor allem die Frage, wie derzeit noch immer »unterentwickelte« Städte und Regionen an den wirtschaftlichen Fortschritt angekoppelt werden können, interessierte die Vertreter aus den betroffenen Regionen. Trotz guter Investitionsbedingungen und Wirtschaftswachstums würden Unternehmen nur sehr zögerlich dort tätig, hieß es. Auch anderswo hielten sich Banken mit Kreditzusagen zurück, obwohl Kofinanzierungen für Investitionsvorhaben bereits zugesagt wurden.

Der italienische Ministerpräsident Romano Prodi, der selbst mehrere Jahre als EU-Kommissionspräsident in Brüssel residierte, wollte aber keinesfalls die Wirtschaftsunternehmen aus ihrer Verantwortung entlassen. Er forderte sie auf, »endlich einen Sprung« zu machen. »Man muss unserer Wirtschaft einen Peitschenhieb verpassen«, sagte er wörtlich und fügte bedauernd hinzu, dass der derzeitig starke Euro die Ausfuhren tatsächlich stark behindere. Dennoch meinte er, dass auch Italien eine Zukunft als Industrieland besitze. Die Innovation müsse durch Clusterbildung forciert werden, so Prodi, und die Politik müsse durch eine »strenge und zusammenhängende Politik« sowie durch die Sanierung der öffentlichen Finanzen zu diesem Prozess beitragen. Auch die Entscheidungsfindung auf der regionalen Ebene müsse gestärkt werden, forderte Prodi.

Wie schwierig bisweilen die praktische Umsetzung ist, zeigte ein dieser Tage veröffentlichtes Interview mit José Manuel Barroso. Der EU-Kommissionspräsident hatte in dem Beitrag das Verständnis Deutschlands vom Subsidiaritätsprinzip kritisiert. Laut diesem soll eine staatliche Aufgabe soweit wie möglich »an der Basis« wahrgenommen werden. Barroso warf nun der Bundesregierung vor, dass diese mit der Betonung des im EU-Vertrag festgeschriebenen Prinzips in Wirklichkeit die europäischen Institutionen schwächen wolle. Die CSU-Europaabgeordnete Gabriele Stauner belehrte den Kommissionschef daraufhin, dass das Subsidiaritätsprinzip sozusagen das Korrektiv für den nicht vorhandenen Kompetenzkatalog in den EU-Verträgen darstelle.

EU-Parlament gegen die Todesstrafe

Gegen den Widerstand Polens hat der Europarat den 10. Oktober zum Tag gegen die Todesstrafe erklärt. In Rat der EU, wo Einstimmigkeit erforderlich ist, hatte Warschaus Blockade zunächst die Ausrufung eines »Europäischen Tages gegen die Todesstrafe« verhindert. Die Regierung Polens vertritt die Auffassung, dass eine Diskussion mit einer Debatte über Abtreibung und Euthanasie verbunden werden sollte.

Zu Beginn der Sitzung des Europäischen Parlaments hatte in dieser Woche dessen Präsident Hans-Gert Pöttering (CDU) eine Erklärung zum »Tag gegen die Todesstrafe« abgegeben. »Wir fordern alle Länder auf, schaffen Sie die Todesstrafe ab«, so Pöttering. »Die EU ist bereit und willens, Sie dabei zu unterstützen.« Die Abgeordneten bedauerten in einer Erklärung, dass im EU-Ministerrat keine Einstimmigkeit in dieser Frage zustande kam und forderten die künftige polnische Regierung auf, diese Initiative, »die die Grundwerte der EU widerspiegelt, uneingeschränkt zu unterstützen«. Alle Organe und Mitgliedstaaten der EU müssten sich gemeinsam mit dem Europarat weiterhin für diese Aktion einsetzen.

Pöttering erinnerte daran, dass in 25 Ländern weltweit nach wie vor die Todesstrafe vollstreckt wird. Entsprechend der Regelungen innerhalb der EU darf kein Staat der Union beitreten, der die Todesstrafe befürwortet oder praktiziert. Einige Bevölkerungsgruppen in Europa verlangen aber die Wiedereinführung dieser Strafe. In Polen wurde ein entsprechender Gesetzesvorschlag im Jahr 2004 nur mit knapper Mehrheit abgelehnt. Nach neuen Umfragen sprechen sich inzwischen 77 Prozent der polnischen Bevölkerung für die Todesstrafe aus, allerdings soll diese dann nur für Völkermord und besonders grausamen Mord angewendet werden. Auch in den Niederlanden wird die Todesstrafe öffentlich verlangt, vor allem, »um islamische Terroristen« abzuschrecken. Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung unterstützen diese Idee.

»Die Todesstrafe ist mit der Menschenwürde unvereinbar«, hatte bereits Kommissionspräsident José Manuel Barroso die Haltung der EU deutlich gemacht. »Wir unterstützen die Bemühungen vieler Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen, die sich unermüdlich für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzen.« Der für Justiz zuständige Kommissionsvizepräsident Franco Frattini bezeichnete die Todesstrafe als »grausame Parodie auf die Gerechtigkeit«. Die EU-Kommission hat seit 1994 weltweit etwa 30 Projekte zur Abschaffung der Todesstrafe finanziell unterstützt: Insgesamt flossen rund 15 Millionen Euro, erklärte Barroso.