Donnerstag, 31. Juli 2008

Flugverbot für unsichere Airlines

Die Europäische Kommission hat eine weitere Aktualisierung der »Schwarzen Liste« von Luftfahrtunternehmen verabschiedet, für die in der EU ein Flugverbot gilt, weil gravierende Sicherheitsbedenken bestehen.

Nach der Liste dürfen nun beispielsweise nur noch zwei Airlines aus Gabun europäische Flughäfen anfliegen oder von dort aus starten. Die Kommission habe sich zu diesem Schritt entschieden, weil ein Bericht der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) »besorgniserregende Ergebnisse« zutage befördert hatte, erklärte Antonio Tajana, Vizepräsident und für Verkehr zuständiges Mitglied der EU-Kommission (Foto: EU-Kommission). Die Luftfahrtunternehmen Gabon Airlines und Afrijet sind zwar von dem Verbot ausgenommen, dürften jedoch ihre Flugdienste nicht ausweiten und müssten sich »systematischer und rigoroser Inspektionen« vor dem Abflug unterziehen. Beide Linien bieten Flugtransporte zwischen Gabun und europäischen Airports, etwa Paris und Marseille, an.
Bedeutende Mängel bestehen weiterhin bei der Ukraine Cargo Airways, so dass die Kommission das Verbot des gesamten Flugbetriebs in der EU bestätigte. Tajana begründete den Schritt damit, dass die Airline den Maßnahmeplan zur Abhilfe der Mängel noch nicht abgeschlossen habe. Außerdem sind den Unternehmen Ukrainian Mediterranean und Volare Aviation Enterprice Starts und Landungen auf europäischen Flughäfen untersagt. Auch im Fall der drei indonesischen Luftfahrtunternehmen Garuda, Mandala und Air Fast habe die Kommission die Flugverbote aufrechterhalten, so Tajana. Nach einer Anhörung sei eingeschätzt worden, dass die indonesischen Behörden noch immer kein effizientes Aufsichtsprogramm erarbeitet und umgesetzt haben.

Zum jetzigen Zeitpunkt gilt aufgrund der gemeinschaftlichen Liste weiterhin ein Flugverbot für alle Luftfahrtunternehmen aus Äquatorialguinea, Kirgistan, Liberia, Sierra Leone, Swasiland und der DR Kongo sowie Gabun. Außerdem wird acht weiteren Luftfahrtunternehmen der Flugbetrieb in der Europäischen Union vollständig untersagt. Aufgehoben wurde dagegen das Betriebsverbot für das iranische Luftfahrtunternehmen Mahan Airlines. Dieses Unternehmen habe erhebliche Anstrengungen unternommen und Fortschritte erzielt.

Riss durch das Parlament

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering (CDU), hat sich in die in Europa laufende China-Debatte eingemischt und erntet für seinen Aufruf zum Boykott der Olympia-Eröffnung nicht nur Beifall.

Vor allem die deutschen Sportfunktionäre zeigten sich wegen Pötterings Boykottaufruf verschnupft. Der EP-Präsident hatte öffentlich erklärt, wegen des Abbruchs der Gespräche zwischen der chinesischen Regierung und dem Dalai Lama »nicht an der Eröffnungsfeier« teilnehmen zu wollen. Wie aber könne es sein, dass ein Politiker, der sich monatelang vergeblich um eine Einladung zur Eröffnung der Spiele bemüht hatte, nun den Eindruck nährt, er habe die Reise nach Peking abgesagt? Michael Vesper, Generalsekretär des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), vermutet hinter der Attacke Pötterings lediglich einen Versuch, sich auf Kosten des Sports zu profilieren.

Das Lager der EU-Parlamentarier, die vor den Olympischen Spielen den öffentlichen Druck gegenüber China schürten und sogar einen generellen Boykott in Erwägung zogen, ist recht groß und machte auch vor den Sozialdemokraten nicht halt. Zwar warb deren Fraktionschef Martin Schulz erst vor wenigen Tagen dafür, dem »ehrlichen und direkten Dialog« keine zusätzlichen Steine in den Weg zu legen, weil Europa auf China als Gesprächspartner für alle globalen Probleme nicht verzichten könne. Werfe man Sand ins Getriebe, müsse man sich nicht wundern, wenn die Chinesen dicht machten. Fraktionskollege Jo Leinen sieht das aber offenbar völlig anders: Er forderte »spürbaren politischen Druck sowohl im Vorfeld als auch während der Spiele«. Außerdem könnten bei »der Eröffnungsveranstaltung oder bei anderen offiziellen Anlässen« deutliche Zeichen gegen die Menschenrechtsverletzungen in China gesetzt werden«. Auch der Grünen- Vizefraktionschef Daniel Cohn-Bendit schimpfte über Reisepläne von Regierungschefs zur Eröffnungsfeier: Sie seien »beschämend und armselig«.

Bereits im vergangenen November waren die unterschiedlichen Standpunkte im Europäischen Parlament deutlich geworden. Während einer Anhörung im Unterausschuss für Menschenrechte und einer Konferenz zu Tibet wurde darüber diskutiert, ob der internationale Sport Druck auf China ausüben könne und solle. Der konservative ungarische EU-Abgeordnete Pál Schmitt, der bei der Anhörung das Internationale Olympische Komitee vertrat, meinte etwa, das IOC sei nicht in einer Position, die Menschenrechtslage in China zu beurteilen oder die chinesische Führung unter Druck zu setzen. Schmitt hatte sich während der Konferenz gegen einen Boykott von Olympia in Peking ausgesprochen. Dies würde »nichts lösen, aber die Karrieren von Sportlern unwiederbringlich schädigen«.

Die Sprecherin der Delegation der deutschen Linken im Europaparlament, Gabi Zimmer, verwies gegenüber ND darauf, dass die EU fast alle Fragen, und insbesondere die Menschenrechtsproblematik, »immer wieder unter ihre wirtschaftlichen Interessen stellt«. Daher sei diese Debatte nicht frei von einer Instrumentalisierung. »Es ist richtig«, betonte Zimmer, »dass die chinesische Führung deutlich zur Einhaltung von Menschenrechtsstandards aufgefordert werden muss. Ich glaube aber nicht, dass es hilfreich ist, ständig mit einem Damoklesschwert zu drohen und auf Peking beispielsweise mit Boykottdiskussionen gegenüber den Olympischen Spielen Druck auszuüben.«

Die EU-Kommission hielt sich in den vergangenen Monaten mit öffentlicher Kritik an China zurück. Viel zu groß ist die Angst, dass unbedachte Äußerungen zur Menschenrechtsproblematik die chinesischen Gesprächspartner verärgern könnten. Die wirtschaftlichen Beziehungen haben in den vergangenen Jahren an Fahrt gewonnen und könnten im ungünstigsten Falle einen Rückschlag erleiden.

Donnerstag, 24. Juli 2008

Zulassung von Steaks geklonter Tiere?

In der EU wird über die Zulassung von Importen von Lebensmitteln beraten, die aus geklonten Tieren gewonnen wurden. Noch ist die Entscheidung nicht gefallen. Auch bei den Lebensmittelkontrolleuren gibt es ein Hin und Her.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat am Donnerstag ihr Gutachten zu Lebensmitteln aus geklonten Rindern und Schweinen vorgelegt. Darin kommt die EFSA zu dem Ergebnis, dass es Risiken für Klone und ihre Mütter gebe. Die geringe Anzahl aussagekräftiger Studien lasse aber nur eine »unzureichende Risikobewertung« zu. Außerdem gebe es »keine Anzeichen dafür, dass es Unterschiede im Hinblick auf die Lebensmittelsicherheit für Fleisch und Milch von geklonten Tieren und deren Nachkommen im Vergleich mit konventionell gezüchteten Tieren gibt«, erklärte der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Ausschusses der EFSA, Vittorio Silano. Die Behörde empfiehlt, die Gesundheit von Klonen weiter zu untersuchen. Auch sollte man weitere für die Nahrungsmittelproduktion genutzte Tierarten beobachten, von denen Klone produziert werden. Das Votum der EFSA ist Grundlage für die Entscheidung der EU-Kommission. Gesundheitskommissarin Androula Vassiliou will laut einer Sprecherin zunächst eine Meinungsumfrage bei europäischen Bürgern abwarten und sich dann im Herbst äußern.

Es gibt kaum Zweifel, dass das für September angekündigte Eurobarometer zum Thema eine klare Ablehnung genmanipulierter Produkte zutage fördern wird. Ob dies aber entscheidend sein wird, bleibt fraglich. Denn sollten sich die Europäer gegen den Import geklonter Lebensmittel entscheiden, droht ein Handelsstreit mit den USA. Dort dürfen die umstrittenen Produkte seit Januar in Supermärkten verkauft werden. Experten zufolge dürfte es aber noch Jahre dauern, bis wirklich Milch und Fleisch von geklonten Tieren in die Kühltheken der Läden kommen.

Die in Bologna ansässige EFSA hatte sich schon im Vorfeld des Gutachtens wankelmütig präsentiert. In ihrer ersten Stellungnahme von Mitte Januar dieses Jahres hieß es, es gebe keine gesundheitlichen Risiken beim Genuss von Klonprodukten. Kurze Zeit später drang aus der Zentrale, dass man doch Bedenken habe. Zumindest könne dies aufgrund der dünnen Datenlage nicht ausgeschlossen werden.

Eindeutig kritisch äußerte sich die von der EU-Kommission eingesetzte »Ethikgruppe für Wissenschaft und neue Technologien« (EGE): Klontiere seien häufig gesundheitlich beeinträchtigt und die Erfolgsquote beim Klonen sei sehr gering. Außerdem lehnte die Gruppe das Klonen von Tieren für die Lebensmittelproduktion aus ethischen Erwägungen ab.

Das Hin und Her in der Lebensmittelbehörde erklärt sich wohl auch aus der Uneinigkeit der EU-Kommissare. Diese sind sich durchaus bewusst darüber, dass man, egal welche Entscheidung letztendlich gefällt wird, nur verlieren kann: Respektiert man die Skepsis der Bürger, droht ein Konflikt mit den USA. Erlaubt die Kommission hingegen die Einfuhr von Steaks geklonter Tiere, dann fügt sie ihrem angekratzten Image nach dem irischen Nein zum EU-Vertrag eine weitere Schramme hinzu.

Es gibt bereits einen Hinweis darauf, dass sich die Kommission wohl für letzteren Weg entscheiden wird: Anfang des Jahres hatte sie angekündigt, den Marktzulassungsprozess für »exotische« Lebensmittel beschleunigen zu wollen. In bestimmten Fällen könnten für deren Zulassung auch in Drittstaaten ausgestellte Zertifikate ausreichen. Nach Einschätzung der EU-Kommission gehört die deutsche Regierung zu den Befürwortern einer beschleunigten Marktzulassung für genmanipulierte Lebensmittel, auch wenn sich Minister Horst Seehofer (CSU) bisweilen als Bedenkenträger präsentiert.

Der Bundesverband »Menschen für Tierrechte« kritisierte am Donnerstag, dass mit der EFSA-Äußerung »der Weg zur Markteinführung von Klon-Produkten, die niemand braucht und die erhebliches Tierleid bedeuten, geebnet« werde. Es sei jetzt »notwendig, dieser Entwicklung einen Riegel vorzuschieben und das Klonen von Tieren zur Lebensmittelproduktion zu verbieten, und nicht – wie die EFSA fordere – noch mehr Forschung zu betreiben«, erklärte der Verbandsvorsitzende Kurt Simons. So hätten fast 3400 Versuche, Rinder zu klonen, nur in neun Prozent der Fälle zur Geburt lebender Kälber geführt, von denen mehrere kurz nach der Geburt gestorben seien.

Flickenteppich Forschung

Forschung ist immer noch zu stark auf den nationalen Rahmen beschränkt. Aus diesem Grund hat EU-Forschungskommissar Janez Potocnik jetzt ein neues Konzept zur Bündelung der Programmplanungen im Wissenschaftsbereich vorgeschlagen: Herausforderungen wie Lebensmittelsicherheit, Gesundheit, Klimawandel und Energieversorgung seien grenzübergreifend, daher sollte diesbezügliche Forschung gemeinsam anstatt auf einzelstaatlicher Ebene durchgeführt werden.

In dem Kommissionspapier »Gemeinsame Planung der Forschungsprogramme: bessere Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen durch Zusammenarbeit« ist unter anderem von einem Beispiel die Rede, das die Folgen der bisherigen zersplitterten Politik verdeutlicht, nämlich die Zunahme von Patienten, die an der Alzheimer-Krankheit und anderen Formen der Demenz erkranken. Potocnik kritisiert neben der fehlenden Vorsorge die Tatsache, dass die öffentlichen Mittel, die in Europa für die Alzheimer-Forschung bereitgestellt werden, im Vergleich zu den in den USA verfügbaren Mitteln extrem gering seien. Außerdem gebe es keine bedeutende institutionelle Stelle für die Alzheimer-Forschung in Europa. In den Vereinigten Staaten würden die Forschungsaktivitäten in diesem Bereich in zwei Instituten konzentriert, in Europa werden hingegen die Ressourcen von zahlreichen und vielfältigen Förderstellen in allen 27 EU-Mitgliedstaaten bereitgestellt.

Potocnik sieht in der Zunahme von Demenz-Erkrankungen eine besondere Herausforderung: Unter den Über-65-Jährigen erkrankt eine von 20 Personen an Demenz. Die Anzahl der Europäer, die an Demenz leiden – 50 bis 70 Prozent davon Alzheimer-Patienten – beträgt etwa 5,5 Millionen. Die Kommission schätzt, dass diese Zahl bis 2040 auf 10,7 Millionen ansteigen dürfte.

Heute werden insgesamt 85 Prozent der öffentlichen Forschung auf nationaler Ebene geplant, finanziert, überwacht und evaluiert, heißt es in dem Bericht. Weniger als sechs Prozent der gesamten Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen und nur 15 Prozent der öffentlich finanzierten nichtmilitärischen Forschung in Europa (zehn Prozent davon entfallen auf zwischenstaatliche Einrichtungen bzw. Programme, fünf Prozent auf das Rahmenprogramm) werden im Rahmen einer Kooperation länderübergreifend finanziert. Trotz der Bemühungen um die Lösung dieses Problems zeige sich die europäische Forschungslandschaft nach wie vor »stark zersplittert«.

Der EU-Kommissar schlägt vor, dass sich die Mitgliedstaaten künftig auf zentrale Herausforderungen konzentrieren, auf eine gemeinsame Perspektive einigen und dann einen Forschungsplan entwerfen. Eine solche Gemeinschaftsinitiative könnte die Bedeutung eines Rahmenprogramms erlangen und die Forschungsansätze europäischer gestalten. Außerdem führe eine koordinierten Zusammenarbeit zu einer effizienteren Ressourcennutzung und Fortschrittsüberwachung. Potocnik betonte jedoch, dass es sich hierbei um einen freiwilligen Prozess handele, in dem nicht alle an jeder Initiative mitwirken müssten.

Donnerstag, 17. Juli 2008

Nebelkerzen im EU-Parlament

Unmittelbar nach Gründung der Mittelmeerunion befasste sich das Europäische Parlament mit der EU-Erweiterungsstrategie. Nach dem Nein der Iren zum EU-Reformvertrag forderte Berichterstatter Elmar Brok (CDU), künftig die »Integrationsfähigkeit« der Beitrittskandidaten »umfassend zu berücksichtigen«. Jedes Land müsse vor einem Beitritt seine internen Probleme lösen.

»Die bisherigen Erweiterungen der Europäischen Union waren ein großer politischer und ökonomischer Erfolg«, erklärte Brok vor dem Plenum in Straßburg. Allerdings müsse in der EU nach einer fast erfolgten Verdopplung der Anzahl ihrer Mitgliedstaaten seit 2004 nun eine Phase der Konsolidierung eintreten. Die Erweiterungsstrategie sollte »deswegen überdacht und mit neuen Instrumenten ausgestattet« werden. Erweiterungen dürften kein Automatismus sein.

Brok forderte, dass bereits laufende Beitrittsverhandlungen weitergeführt werden müssten, ohne den bestehenden Kandidatenstatus in Frage zu stellen. »Wir wollen die Europäische Union nicht als eine Freihandelszone haben, sondern als eine politisch handlungsfähige Einheit«, sagte er. Das bedeute, dass die interne Reformfähigkeit in gleicher Weise Bedingung für zukünftige Erweiterungen sei wie die Beitrittsfähigkeit von Neumitgliedern. Man könne auch zu den Nachbarn »sehr enge Beziehungen« entwickeln, ohne sie institutionell zu integrieren. Brok sprach von einem »freiwilligen Zwischenschritt zur Vollmitgliedschaft« und brachte diese Variante auch als Dauerlösung ins Gespräch.

Die EU müsse einen Weg neben der Vollmitgliedschaft finden, der ihre Nachbarn am Wohlstand der Gemeinschaft teilhaben lasse. Dadurch würde die Stabilität der gesamten EU und ihrer Nachbarn gestärkt. »Gerade diejenigen, die sich kritisch mit dem Vertrag von Lissabon auseinandersetzen, gleichzeitig aber mit der Erweiterung unverändert fortfahren wollen, befinden sich hier in einem eklatanten Widerspruch«, erklärte Brok.

Der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, Klaus Hänsch, kritisierte das Brok-Papier als »Strategievernebelungsbericht«. Er könne sich nicht entscheiden, ob es eine Strategie zur Erweiterung oder zur Verhinderung von Erweiterung sein soll, sagte Hänsch. Zudem lasse er die Klarheit der Optionen vermissen, die jede Strategie haben müsse. Außerdem fehle eine klare Definition, warum Europa ein Interesse an Erweiterung haben sollte. Auch sage der Bericht nach Ansicht des SPD-Europaabgeordneten nichts über die institutionellen Voraussetzungen für die Vergrößerung der EU: »Der Bericht verschweigt, dass die EU auf der Grundlage der heute geltenden Verträge nicht mehr erweiterbar ist«, so Hänsch. »Die Erweiterungserfolge vergangener Zeiten sind keine Garantie, dass sich Europa mit weiteren Runden nicht hoffnungslos übernimmt!«

Auch die Grünen-Abgeordnete Gisela Kallenbach erinnerte daran, dass die beitrittswilligen Länder die Gemeinschaft als verlässlichen Partner benötigen, der nicht alle paar Monate seine Strategie ändert. »Dazu gehört, dass die Union zu ihren gegebenen Zusagen, sowohl für die drei derzeitigen Beitrittskandidaten – einschließlich der Türkei – und auch für neue Kandidaten, etwa auf dem Westbalkan, steht«, sagte sie. Ein vereintes Europa ohne diese Region sei nicht vorstellbar.

Erweiterungsstrategie bedeute aber auch, dass die EU ihre eigenen Hausaufgaben erledigt und sich für neue Mitglieder fit machen müsse, sagte Kallenbach in Straßburg. »Wenn der Prozess der Erweiterung nun durch das irische Nein und andere Mitgliedstaaten wieder in Frage gestellt wird, dann gehört eine selbstkritische Analyse umso mehr dazu.« Sie bezeichnete es als fahrlässig und falsch, wenn jedes Signal von Euroskepsis auf eine angebliche Erweiterungsmüdigkeit zurückgeführt werde. Auch Erik Meijer von der linken Fraktion GUE/NGL warnte vor einer Art »Superstaat«, der keine Erweiterung auf der Basis einer Gleichberechtigung ermögliche, sondern ein solche verhindere.

Dienstag, 8. Juli 2008

Umstrittenes Bauwerk: Ostseepipeline

Nahezu 30.000 Bürger haben Petitionen beim Europaparlament eingereicht, die sich gegen die geplante Erdgas-Pipeline durch die Ostsee richten, deren Bau im Jahr 2005 mit Unterstützung der damaligen Bundesregierung beschlossen worden war. Der Petitionsausschuss legte am Dienstag einen Bericht vor, der durch den geplanten Verlauf auf dem Meeresgrund groβe Risiken für die Umwelt sieht und eine eingehende, unabhängige Prüfung fordert. Die Abstimmung über den Bericht findet am Mittwochmittag statt.

Der Bericht des polnischen Parlamentariers Marcin Libicki (Union für das Europa der Nationen) spricht sich dagegen aus, dass das Pipeline-Projekt „in seinem geplanten Umfang ohne die Zustimmung aller Ostseeanrainerstaaten durchgeführt wird“. Er dringt auf „eine wirklich unabhängige Umweltverträglichkeitsprüfung“ verbunden mit der Zustimmung aller Ostsee-Anrainer. Rat, Kommission und Mitgliedsstaaten werden aufgefordert, „alle verfügbaren rechtlichen Mittel einzusetzen“, um den Bau der Nordstream-Gaspipeline „in dem geplanten Ausmaß zu verhindern, falls offensichtlich werden sollte, dass das Risiko einer ökologischen Katastrophe im Ostseeraum besteht".

Aus Sicht des Petitionsausschusses, der zur Vorbereitung des Berichts auch eine Anhörung durchgeführt hatte, stellen insbesondere die „Bauarbeiten auf einer Gesamtfläche von 2.400 Quadratkilometern eine ernsthafte Bedrohung“ für die Artenvielfalt und eine reibungslose und sichere Schifffahrt in der Ostsee dar. Alternativ-Routen über Land seien nicht wirklich ernsthaft in Erwägung gezogen worden. Große Sorgen bereiten zudem die rund 80.000 Tonnen Munition, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs in der Ostsee versenkt wurden, und die durch die Bauarbeiten zu einer akuten Gefahr werden könnten.

In der Debatte am Dienstag wurde allerdings auch deutlich, dass die Abgeordneten dem Projekt auch in Hinsicht auf eine Unabhängigkeit der EU-Energieversorgung skeptisch gegenüber stehen. Die Pipeline zementiere eine zunehmende Vormachtstellung der russischen Gazprom auf dem europäischen Gasmarkt, hieß es. Der Konzern ist mit 51 Prozent Haupteigner des Nord-Stream-Konsortiums, zu dem noch BASF-Wintershall, EON und die niederländische Gasunie gehören. Der Bau der rund 1200 Kilometer langen Pipeline, die jährlich bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Gas von der russischen Stadt Wyborg bis ins deutsche Greifswald liefern soll und dabei durch die Wirtschaftszonen von Russland, Finnland, Schweden, Dänemark und Deutschland führt, würde Schätzungen zufolge mehr als 12 Milliarden Euro verschlingen.

Berichterstatter Marcin Libicki bezeichnete die Ergebnisse der Debatte im EU-Parlament als eine Zusammenfassung der „Stimme des Volkes“. An Umweltkommissar Stavros Dimas gewandt sagte er: „Sie sollten das als Warnung verstehen: Politiker sollten sehen, wem sie wirklich zu dienen haben.“ Es sei unter anderem vorgeschlagen worden, eine Pipeline auf dem Land zu bauen. Die Kommission habe allerdings zu diesem Vorschlag bislang geschwiegen.

Unmittelbar vor dem am Donnerstag beginnenden EU-Russland-Gipfel hat der Europaabgeordnete André Brie (GUE/NGL) vor einer Verengung der Gespräche auf das Thema Energiesicherheit gewarnt. Die ultimative Forderung des EU-Verhandlungsführer Eneko Landaburu nach „schriftlichen Zusagen“ für die Lieferung von Energieträgern bezeichnete Brie als kontraproduktiv: „Mit solch einem konfrontativen Vorgehen wird Moskau von vornherein in die Ecke eines vertragsbrüchigen 'Partners' gestellt. An stabilen Lieferbeziehungen haben aber nicht nur die EU-Staaten, sondern ebenso die russischen Unternehmen und die Regierung Medwedew Interesse.“ Die EU bezieht gegenwärtig etwa 44 Prozent ihres Erdgases und 27 Prozent ihres Erdöls aus Russland.

Montag, 7. Juli 2008

Spidla droht mit Roter Karte

Die Glaubwürdigkeit der EU-Kommission steht auf dem Spiel: Ausgerechnet der Weltfußballverband FIFA will das vor 13 Jahren vom Europäischen Gerichtshof gefällte Bosman-Urteil kippen und eine Begrenzung von ausländischen Spielern in nationalen Klubs erreichen.

Wenn es nach dem Willen der FIFA-Verantwortlichen geht, dann wären in Kürze in den Fußballteams nur noch fünf ausländische Spieler zugelassen. Anlässlich des Kongresses in Sydney sprach sich die Mehrzahl der FIFA-Delegierten für die Einführung einer sogenannten 6+5-Regel aus. Demnach dürften in einem Team von 2012 an höchstens fünf ausländische Spieler stehen, die Mehrzahl der Kicker muss einen nationalen Pass vorweisen können. Auf diese Weise will der Weltverband die Qualität der nationalen Nachwuchsförderung verbessern helfen.

Und die Argumente der FIFA-Verantwortlichen sind nachvollziehbar: Die Ausbildung junger Spieler kostet den Vereinen – über die Jahre gerechnet – sehr, sehr viel Geld. Einige gutbetuchte Klubs haben seit dem Bosman-Urteil verständlicherweise auf dem Gebiet der Nachwuchsförderung ihr Engagement klammheimlich zurückgefahren und investieren vor allem in fertige ausländische Profis. Legionäre sind inzwischen auch für „ärmere“ Profivereine aufgrund des grenzenlosen Fußballer-Tourismus in Europa erschwinglich und rechnen sich letztlich günstiger als eine jahrzehntelange Anlage in eigene Talente. So lässt sich auch erklären, dass die Reserveteams internationaler Spitzenvereine in ihren Ligen eine eher durchschnittliche Rolle spielen. Sie werden teilweise nur noch künstlich und mit Alibifunktion am Leben erhalten. Der Grund: Die Nachwuchsförderung steht in den nationalen Statuten festgeschrieben und kann im Verletzungsfalle Millionenstrafen nach sich ziehen.

Unter dem Deckmäntelchen einer angeblichen „Diskriminierung“ zieht nun die EU-Kommission gegen die Pläne der FIFA zu Felde und kündigte an, sich gegen den neuen „Protektionismus“ wehren zu wollen. So soll das Thema nach ND-Informationen bei einem Treffen eines neuen Ausschuss, der Fragen der Arbeitswelt im Profifußball diskutieren soll, in dieser Woche in Brüssel eine wichtige Rolle gespielt haben, obwohl es zunächst nicht auf der Tagesordnung zu finden war. Ursprünglich sollte es in der Debatte am Dienstag, an der neben den EU-Kommissaren Vladimír Špidla (Beschäftigung und Soziales) und Ján Figel (Bildung, Kultur und Jugend) Vertreter der internationalen Spielergewerkschaft FIFPro, des Verbandes der europäischen Profi-Fußball-Ligen EPFL sowie der Vereinigung der Europäischen Fußballvereine (ECA) teilnahmen, über Mindestanforderungen für die Verträge von Profisportlern gehen.

Doch die Ankündigung der FIFA brachte nun Unruhe und verwies die eigentliche Tagesordnung zur Nebensache, zumal auch UEFA-Präsident Michel Platini im Vorfeld der FIFA-Tagung seine Unterstützung für eine Begrenzung von ausländischen Spielern in nationalen Vereinen signalisierte. Mit Blick auf unseren ostdeutschen Bundesligisten Energie Cottbus, bei dem zeitweilig nicht ein einziger deutscher Spieler in Pflichtspielen zum Einsatz kam, regte Platini in seiner sarkastischen Art an, darüber nachzudenken, ob Cottbus nicht auch in der polnischen Liga antreten könne...

Spidla machte unterdessen deutlich, dass die Kommission einer Beschränkung des Einsatzes von ausländischen Spielern nicht tatenlos zusehen werde. Sie torpediere den freien Verkehr von Arbeitskräften in Europa, begründete er und kündigte Vertragsverletzungsverfahren gegen jene Mitgliedsstaaten an, die der Einführung dieser Regel zustimmen sollten.

Mittwoch, 2. Juli 2008

Schwule weiter diskriminiert

Die EU-Kommission will benachteiligte Minderheiten besser vor Diskriminierung schützen. EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla stellte hierzu am Mittwoch Gesetzesvorschläge im Rahmen eines Sozialpakets vor. Behinderten, alten Menschen, Homosexuellen und Andersgläubigen will die Europäische Union (EU) das Alltagsleben erleichtern: Sie sollen nicht mehr ungerechtfertigt benachteiligt werden, wenn sie etwa eine Wohnung mieten, etwas einkaufen oder eine Versicherung abschließen wollen.

Dass insbesondere gleichberechtigter Schutz für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle durch die EU-Antidiskriminierungsgesetze in vielen Teilen der EU bislang mehr Ideal als Wirklichkeit ist, belegte eine am Montag in Wien vorgestellte Studie der EU-Agentur für Grundrechte (FRA). Die Analyse der 27 EU-Mitgliedstaaten zeigt nicht nur Unterschiede in der rechtlichen Behandlung und im Rechtsschutz auf, sondern belegt auch mangelnde Gleichberechtigung in Bereichen des Gemeinschaftsrechts, insbesondere im Hinblick auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Nach Informationen des ND laufen derzeit 20 Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Mitgliedstaaten wegen mangelhafter Umsetzung der bestehenden EU-Antidiskriminierungsrichtlinie.

Gegen eine neue geplante EU-Richtlinie wehren sich vor allem die konservativen Abgeordneten im Europäischen Parlament und warnen vor einer »Überregulierung«. Die SPD-Abgeordnete Karin Jöns bezeichnete dagegen den neuen Vorschlag der Kommission als »vage und stark von Einschränkungen und Ausnahmen durchlöchert«.

Scharfe Kritik kommt auch aus Deutschland. Für die Union ist die neue EU-Richtlinie »überflüssig wie ein Kropf« und ein »Irrsinn«, wie der familienpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Johannes Singhammer, in Berlin erklärte. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hatte zuvor »allergrößte Sorgen« über die neuen Vorgaben geäußert.

Dem Bericht der Wiener Agentur zufolge aber genießen Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle nur in 18 EU-Mitgliedstaaten Rechtsschutz und Rechte in den Bereichen Beschäftigung, Zugang zu öffentlichen Gütern und Dienstleistungen, Wohnungswesen und Sozialleistungen. Auch Deutschland zählt der Studie zufolge neben Dänemark, Estland, Griechenland, Frankreich, Italien, Zypern, Malta, Polen und Portugal zu den »Musterschülern«, obwohl sich CDU/CSU und FDP im Vorfeld der Verabschiedung des Antidiskriminierungsgesetzes 2006 aus wirtschaftlichen Gründen für eine Diskriminierungs-Hierarchie ausgesprochen hatten.

Der FRA-Bericht legt zudem offen, dass »homophobe Hassparolen und Hassverbrechen« in EU-Mitgliedstaaten die Betroffenen in ihrer Möglichkeit behinderten, ihr Recht auf Freizügigkeit und andere Rechte ohne Diskriminierung wahrzunehmen. Dagegen könne durch eine EU-weite Strafgesetzgebung vorgegangen werden, heißt es. Dokumentiert werden außerdem Fälle, in denen Demonstrationen von Homosexuellen wie die »Pride-Parades« in Mitgliedstaaten verboten wurden.

Ferner müssen der FRA zufolge anhaltende Missverständnisse bei der Sammlung und Zusammenstellung statistischer Daten ausgeräumt werden, damit die verfügbaren Instrumente sowie fundierte Statistiken bei der Bekämpfung von Diskriminierung in vollem Umfang genutzt werden können, wird in dem Bericht gefordert.

Die EU-Agentur für Grundrechte fordert auch, dass die Rechte und Vorteile von Ehepaaren auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften ausgeweitet werden sollten. »Gleichbehandlung ist ein Grundrecht, das für alle Mitglieder unserer Gesellschaft gelten sollte«, erklärte der Direktor der FRA, Morten Kjaerum, in Wien. »Dass Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle in Teilen des Gemeinschaftsrechts nicht gleichberechtigt behandelt werden, insbesondere im Hinblick auf Partnerschaften, sollte für uns alle Grund zur Sorge sein. Was hier Not tut, sind ein umfassenderer Rechtsschutz und mehr Kompetenzen und Ressourcen für Gleichbehandlungsstellen.«